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Othello

Historischer Hintergrund und Epoche

Die erste nachgewiesene Aufführung des Stückes fand am 1. November 1604 in der königlichen Residenz in Whitehall, London, statt. Es spielte Shakespeares Schauspieltruppe. Zum Beleg dient ein Eintrag in dem Rechnungsbuch (Accounts Book) des Masters of the Revels Sir Edmund Tillney. Dort heißt es über eine Aufführung im großen Festsaal (Banqueting House) des Palasts an Allerheiligen: »By the Kings Maiesties plaiers. Hallamas Day being the first of Nouember. A play in the Banketing house at Whitehall called the Moor of Venis. Shaxbred.« (Cambridge Shakespeare Othello 1)
Als Entstehungszeitraum werden die Jahre 1603/1604 veranschlagt. Die Tragödie wäre nach »Troilus und Cressida« und »Maß für Maß« und vor »King Lear« und »Macbeth« entstanden.
Überliefert sind zwei verlässliche Ausgaben: im Einzeldruck eine Quartoausgabe (Q) von 1622, die vermutlich auf einer Abschrift von Shakespeares Manuskript basiert, und die das gesammelte Werk Shakespeares enthaltende Folioausgabe (F) von 1623, deren Grundlage eventuell Shakespeares eigene Abschrift des überarbeiteten Manuskripts ist.
Die Drucke weisen erhebliche Unterschiede auf. F enthält ungefähr 160 Zeilen, die in Q fehlen, und unterscheidet sich in rund 1000 Formulierungen von Q. Zu den bedeutenden Ergänzungen, die F vornimmt, gehören: Roderigos Bericht von Desdemonas heimlicher Flucht (I/1); Zusätze in Othellos Text, die seine Sorge um Desdemonas Treue differenzierter formulieren (z.B. in III/3, IV/1); Desdemonas Willow Lied (IV/3); Emilias protofeministische Kritik (IV/3) sowie ihre Verurteilung von Othello und Jago in der Schlussszene.

    Moderne Texteditionen ziehen die F-Varianten vor, ergänzen diese jedoch durch einige Eigenarten von Q: die für Shakespeare typische Rechtschreibung und Zeichensetzung, die ausführlicheren Regieanweisungen, die vermutlich vom Autor stammen, sowie die mehr als 50 Flüche, die in F fehlen oder durch weniger anstößige Worte ersetzt wurden. Dies wird im Allgemeinen durch den Profanity Act von 1606 erklärt, der Flüche auf der Bühne verbot. (Shakespeare-Handbuch 544)

Im Ergebnis ist jeder Herausgeber gezwungen, seinen Text aus den beiden Drucken zu kompilieren. Textgrundlage der Übersetzung Frank Günthers ist der »New Penguin Shakespeare« von 1968, Herausgeber war Kenneth Muir.
Wichtigste Vorlage des Stücks ist die siebte Erzählung der dritten Dekade von G. Cinthios Novellenzyklus »Gli Hecatommithi« (Venedig 1566). Eine französische Übersetzung war ab 1584 in Paris greifbar. Die erste englische Übersetzung erschien erst 1753. Ob Shakespeare die italienische oder die französische Version benutzte, ist unbekannt. Vielleicht gab es auch doch eine verschollene englische Adaption oder Übersetzung.
Shakespeare übernimmt das Personal und den Verlauf der Intrige (das Taschentuch). Es gibt aber auch wichtige Änderungen: Bei Cinzio will die Jago-Figur sich an Desdemona rächen, weil sie seine Liebe nicht erwidert. Dort gibt es keine Roderigo entsprechende Figur. Der »Mohr« wird über seinen Irrtum nicht aufgeklärt, sondern von Disdemonas Verwandten getötet. Der Intrigant wird erst viel später überführt und bestraft.
Standardisiert und etabliert war zu Shakespeares Zeit die sogenannte Ehetragödie oder »domestic tragedy. Das tragische Personal kann in diesem Genre auf bürgerliche Schichten ausgeweitet werden. Die Ehefrau bricht aus der Ehe in eine flüchtige, leidenschaftliche Liebesbeziehung und wird vom Ehemann nicht körperlich attackiert, sondern mit dem totalen Ausstoß aus der Familie bestraft. Sie geht psychisch und körperlich zugrunde, erlangt aber auf dem Totenbett noch die Verzeihung ihres Mannes (vgl. Shakespeare-Handbuch 68). Dieses Handlungsmuster mag als Erwartungshintergrund des »Othello« gedient haben.
Hintergrund der Figur Jagos ist die Figur des »Vice«, des Lasters, in den »morality plays«, die sich im Laufe des 14. Jahrhunderts entwickelten und bis ins 16. Jahrhundert hinein sehr beliebt waren. Die Figur sollte den Menschen zum Laster verführen: Dazu musste sie schlau und erfindungsreich vorgehen, täuschen und sich verstellen und sich mit Witzen und Späßen der Figur »Mankind« (Menschheit) – und dem Publikum empfehlen. Die populäre Figur emigrierte rasch in andere dramatische Gattungen.

    Seine charakteristischen Verhaltensweisen sind die motivlose Lust am Bösen, das Anstiften anderer zu Verbrechen und die Vortäuschung von Freundschaft gegenüber seinen Opfern, während es gleichzeitig das Publikum über seine bösartigen Pläne offen informiert und nach gelungener Aufführung von ihm Beifall heischt. Seine Sprache ist geprägt von Doppeldeutigkeiten, vor allem in Form von Wortspielen. (Shakespeare-Handbuch 51)
Veröffentlicht am 17. Oktober 2023. Zuletzt aktualisiert am 17. Oktober 2023.