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Othello

Akt 3

Zusammenfassung

Szene 1: Vor Othellos Haus lässt Cassio am nächsten Morgen einige Musiker für das jung verheiratete Paar ein Morgenständchen aufführen. Der Narr Othellos erscheint und schickt die Musiker fort. Cassio beauftragt ihn, Emilia, die als Gesellschaftsdame Desdemonas fungiert, um eine Unterredung zu bitten. An Jago, der hinzukommt, richtet er dieselbe Bitte. Jago geht ins Haus und Emilia kommt heraus. Sie versichert Cassio, Desdemona habe sich für ihn bei Othello bereits stark gemacht. Cassio bittet dennoch darum, Gelegenheit für eine Unterredung mit Desdemona zu schaffen.

Szene 2: Othello betreut Jago mit Briefen, die dieser dem Steuermann aushändigen soll, damit der sie dem Dogen in Venedig liefert. Er bricht auf, um das Festungswerk zu begutachten und verabredet sich für dort mit Jago.

Szene 3: In Gegenwart Emilias gibt Desdemona Cassio die Versicherung, bei ihrem Gatten alles in ihrer Macht Stehende für seine Wiedereinsetzung zu tun. Als Othello und Jago erscheinen, geht Cassio ab.

Im Herannahen äußert Jago Othello gegenüber Missfallen an dem, was er sieht. Othello meint, in dem Davongehenden Cassio erkannt zu haben, doch Jago beteuert, so würde sich Cassio nicht davonschleichen. Desdemona sagt, er sei es gewesen, und bringt nun ihre Bitte um seine Wiedereinsetzung wortreich an. Othello sagt, er wolle ihr nichts verweigern, und bittet darum, alleingelassen zu werden.

Jago erkundigt sich bei ihm, ob Cassio von seiner Liebe zu Desdemona gewusst habe. Othello bekennt, dass Cassio als Vermittler von Anfang bis Ende involviert gewesen sei. Die Frage und das Missfallen, das Jago zuvor geäußert hatte, machen Othello glauben, Jago verberge Überlegungen vor ihm, und Jago verstärkt diesen Glauben, indem er sich seine Gedanken zu äußern sträubt. Dadurch, dass er Othello bittet, sich vor der Eifersucht zu hüten, bringt er ihn auf die Spur. Othello glaubt sich gegen Eifersucht gefeit. Jetzt zweifle er an Desdemonas Treue nicht, und sollte er einmal zweifeln, wolle er rasch handeln, und notfalls bei sich die Liebe zusammen mit der Eifersucht ausmerzen. Jago äußert sich darauf etwas freier und bittet Othello nur darum, seine Frau und Cassio sorgfältig zu beobachten. Er führt drei Argumente an: Typisch sei für die Venezianerinnen, dass sie ihr Gewissen rein glaubten, wenn sie ihr Verbrechen nur geheimhalten könnten; Desdemona habe schon ihren Vater zu täuschen gewusst; und dass sie die vielen ihr angetragenen Venezianer abgelehnt und Othello gewählt habe, deute auf eine lüsterne, verirrte Natur – wenn sie ihn nun mit Venezianern wieder vergliche, könnte sie ihre Wahl bereuen. Dabei bittet Jago, seinen Worten nicht zu viel Gewicht zu geben – was ihnen freilich desto mehr Gewicht verleiht. Er empfiehlt Othello, Cassio vorerst nicht zu rehabilitieren und die Situation zur Probe zu gebrauchen: Viel lasse sich daran erkennen, mit welchem Nachdruck Desdemona für ihn bitte.

Allein spricht sich Othello über Jagos Redlichkeit aus, und darüber, dass er Desdemona aus seinem Herzen lassen will, sollte sie ihn betrügen. Er überlegt, ob sein Alter oder seine groben Manieren der Grund seien und will sich durch das Umwandeln seiner Liebe in Hass trösten. Er sieht sich einem unausweichlichen Schicksal ausgeliefert.

Als Desdemona mit Emilia auftritt, um ihn zum Mittagessen mit den adligen Zyprioten zu bitten, die er eingeladen hatte, kommen ihn wieder Zweifel an ihrer Schuld an. Er agiert einsilbig und fahrig und wendet einen Kopfschmerz vor. Sie will ihm die Stirn mit einem Taschentuch verbinden, doch es ist zu klein und fällt unbemerkt zu Boden. Othello bricht mit ihr auf.

Emilia erblickt das Taschentuch und nimmt es an sich, weil Jago sie schon oft gebeten hat, es Desdemona zu stehlen. Es ist ihr erstes Liebespfand von Othello. Er hat sie beschworen, es gut zu bewahren, und sie hält es wert.

Als Jago dazukommt, händigt sie ihm das Taschentuch aus. Sie wüsste gerne, wozu er es gebrauchen will, doch er verweigert darüber die Auskunft.

Kurz alleine, spricht er das Vorhaben aus, das Taschentuch in Cassios Wohnung liegen zu lassen, damit Othello es dort findet. Er sieht Othello bereits im Griff der Eifersucht.

Othello spricht zu ihm von der Qual, die er leidet, weil er keine Gewissheit hat. Er droht Jago für den Fall, dass der Verdacht sich als falsch herausstellte, mit schwerer Strafe. Jago gibt sich beleidigt. Auf neuerliche Bitte hin, überzeugt er Othello, dass es unmöglich sei, Cassio und Desdemona beim Geschlechtsakt zu überraschen, und produziert zwei neue Indizien: Er habe neulich bei Cassio übernachtet, und weil er wegen Zahnweh nicht schlafen konnte, habe er gehört, wie Cassio im Traum mit Desdemona als seiner Geliebten gesprochen und Jagos Körper für ihren genommen habe. Zweitens habe er heute Cassio mit dem besagten Taschentuch sich den Bart wischen sehen. Othello ist jetzt überzeugt, schwört blutige Rache, beauftragt Jago mit der Ermordung Cassios und befördert ihn zum Leutnant.
Szene 4: Desdemona bittet den Narr, Cassios Wohnung ausfindig zu machen. Er solle herkommen, denn sie habe Othello seinetwegen umgestimmt. Der Narr macht spitzfindige Bemerkungen, geht dann aber los.

Emilia gegenüber, die hinzukommt, überlegt Desdemona, wo sie ihr Taschentuch verloren haben könnte: Dessen Verlust könnte Othello eifersüchtig machen, wenn er zur Eifersucht neigte – was er, ihrer Meinung nach, nicht tut.

Sie möchte Othello, der dazukommt, nicht loslassen, bis er ihr ihre Bitte wegen Cassio gewährt hat. Er macht zweideutige Kommentare über ihre warme, feuchte Hand und bittet, als sie die Sache mit Cassio anbringt, um ihr Taschentuch. Sie habe es nicht bei sich, sagt sie, und er berichtet von der Herkunft des Tuchs: Seine Mutter habe es von einer Ägypterin bekommen, die behauptete, solange sie das Tuch trüge, könne sie ihren Mann in Liebesfesseln schlagen, sobald sie es verlöre, würde er ihr untreu. Magie sei hineingewoben. Desdemona gibt nicht zu, dass sie es verloren hat, und kommt wieder auf Cassio zu sprechen. Er insistiert wegen des Taschentuchs und geht zornig weg.

Emilia sieht in diesem Verhalten das allgemeine Verhalten der Männer, die schnell die Lust an ihren Frauen verlören.

Jago und Cassio kommen dazu. Jago hat Cassio offenbar nochmals gemahnt, Desdemona wegen seiner Wiedereinsetzung zu bitten. Das tut er nun, und Desdemona berichtet von der Verstimmung ihres Mannes. Jago tut erstaunt und geht, ihn deswegen zu suchen. Desdemona versucht, Othello zu entschuldigen: Gewiss waren es Staatsgeschäfte, die ihn betrübt hatten. Grund zur Eifersucht habe sie ihm nie gegeben. Emilia meint, für Eifersucht brauche es keinen echten Grund. Desdemona geht mit Emilia ebenfalls los, Othello zu suchen, und bittet Cassio zu warten.

Bianca tritt zu ihm und schimpft wegen seiner siebentägigen Abwesenheit. Er führt seinen Kummer als Entschuldigung an und bittet sie, das Taschentuch, das er in seiner Wohnung gefunden habe und dessen Muster er möge, zu kopieren. Er könne jetzt nur ein kurzes Stück mit ihr gehen, weil er auf Abruf stünde. Sie gibt sich zufrieden.

Analyse

Die szenische Struktur der großen Szenen I/3, II/1 und II/3 wird im dritten Akt nicht wieder aufgegriffen. Es gibt – wie die nächtliche Ratssitzung (I/3), die Ankunft auf der Festung (II/1) und das allgemeine Freudenfest (II/3) – keinen öffentlichen, offiziellen Rahmen mehr für das Geschehen, sondern eine lange Kette von Zusammenkünften kleinerer Personengruppen an allgemein zugänglichen Orten ohne besondere Funktion. Strukturbildend ist nicht die Vermehrung des Personals, sondern eher dessen Verknappung: Im Zentrum des Akts stehen die längeren Unterredungen Othellos und Jagos in der dritten Szene. Im ersten und zweiten Akt hatte zu der offiziellen, figurenreichen Handlung das ›Übrigbleiben‹ Jagos auf leerer Bühne als Pendant gedient – auch dieses Strukturmoment entfällt jetzt: Es gibt von ihm keinen größeren Monolog.

Auf eine äußere Rahmung des Geschehens wird indes nicht völlig verzichtet. Der Akt beginnt am Morgen des der Ankunft und dem Freudenfest folgenden Tages: Cassio lässt vor dem Haus des jung verheirateten Paares ein Ständchen aufführen (III/1). Othello will die Festung inspizieren und gibt Briefe nach Venedig auf (III/2). In der dritten Szene ruft Desdemona Othello zum Festmahl, das er für die Adligen der Insel geben will. Auch die vierte Szene scheint mehr oder weniger direkt anzuschließen: »Where should I lose that handkerchief, Emilia?« / »Wo hab ich nur das Tuch verlorn, Emilia?« (154/155), fragt Desdemona, und Othellos Apart: »O, hardness to dissemble!« / »O, verstelln ist schwer!« (156/157) ist überzeugend nur zu geben, wenn er seine Frau das erste Mal, nachdem er den Verdacht gefasst hat, wiedersieht.

Die Bemühungen Cassios und Desdemonas um Cassios Wiedereinsetzung in seinen Rang bilden in direkter Kontinuität zum Ende des zweiten Akts die oberflächliche, die sichtbare Handlung des dritten Akts, unter die sich die heimliche Handlung von der ›Vergiftung‹ der Titelfigur schiebt. Dazu gehören das Ständchen (110/111), die Bitte Cassios an den Narren um ein Wort mit Emilia (112/113), die gleiche Bitte an Jago (112/113), die Auskunft Emilias und Cassios Bitte an sie um eine Unterredung mit Desdemona (114/115); die Unterredung Cassios und Desdemonas (116–118/117–119), die Bitte Desdemonas an Othello, Cassio sogleich zu begnadigen oder wenigstens eine Frist zu benennen (120–122/121–123); die Frage Desdemonas an den Narren nach der Unterkunft Cassios, um ihm von seiner unmittelbar bevorstehenden Wiedereinsetzung Nachricht zu geben (154/155), ihre abermalige, insistierende Bitte an Othello, die Wiedereinsetzung jetzt zu beschließen – doch Othello, inzwischen eifersüchtig, ist verstimmt und fragt nur nach dem Taschentuch (156–162/157/163); über welchen Fehlschlag sie – das letzte Glied in der langen Kette – Cassio informieren muss, dabei ihn bittend, vor Ort zu bleiben, weil sie noch Hoffnung hat, ihren Mann rasch umzustimmen (162–166/163–167).

Die Übersicht macht eine Zweiteilung des Akts kenntlich – Verdoppelungen sind sein wichtigstes formales Motiv. So können zwei ›Durchläufe‹ unterschieden werden, deren Beginn jeweils durch das Auftreten des Narren markiert wird, und die die Unterredungen Desdemonas und Othellos zum Ziel haben. Die Vorbereitungen dazu sind im ersten Durchlauf umständlicher, weil Cassio sich über den Narren und Jago zunächst an Emilia als eine Vermittlerin wendet.
Diese Zwischenstufen entfallen im zweiten Durchlauf, und die Kommunikation zwischen Cassio und Desdemona verändert ihren Charakter: Cassio muss sein Gesuch bei ihr nicht wiederholen, er wird jetzt nur noch über dessen Erfolg informiert.

Bedingung der Verdoppelungen ist das zweideutige Ergebnis des ersten ›Durchlaufs‹: »Prithee, no more: let him come when he will; | I will deny thee nothing.« / »Hör auf jetzt. Laß ihn kommen, wann er will. | Ich will dir nichts verweigern.« (122/123) – so lautet Othellos erste Antwort. Er wird Cassio also in seinen Rang wiedereinsetzen – wenn er zu ihm kommt und darum bittet. Deswegen schickt Desdemona nach ihm (154/155) und deswegen kann Othello sein Zugeständnis bei der zweiten Unterredung widerrufen.

Die ›Vergiftung‹ Othellos erfolgt in zwei Schüben – wieder eine Verdoppelung! – in dem Zeitraum zwischen dem ersten Gespräch Othellos und Desdemonas und ihrem Auftrag an den Narren. In der ersten Unterredung Jagos und Othellos erfindet Jago nichts. Die Art und Weise, wie Cassio fortgeht, als er mit Othello auftritt, beschreibt er vielleicht nicht einmal unzutreffend (»No, sure, I cannot think it | That he would sneak away so guilty-like, | Seeing your coming.« / »Nein, gewiß nicht, ich glaub nicht, | Daß der sich schleichen würde wie ertappt, | Wenn er Sie kommen sieht.« – 118/119), denn wirklich meidet Cassio die Begegnung mit dem Feldherrn, und wirklich meidet er sie wohl wegen schlechten Gewissens; nur der Grund für das schlechte Gewissen ist ein anderer, als Jago suggeriert. Cassios Rolle als Freiwerber ist Othello natürlich bewusst, und ebenso weiß er von Desdemonas Verhalten in Venedig: von ihrer Ablehnung der Venezianer, die ihr angetragen wurden, und davon, dass sie ihren Vater getäuscht hat.
Überzeugungskraft gewinnt Jago allein durch die Art und Weise, wie er diese Umstände vorbringt, und dadurch, dass er den Anschein erweckt, sie stünden synekdochisch, als bloßer Teil also, für weitere Beobachtungen, die er zurückhält. Jago bindet sich in dieser ersten Unterredung noch nicht an seine Erfindung, denn er kann, sollte Othello die Wahrheit herausfinden (dass Desdemona ihm treu ist), sich immer darauf berufen, nur Bekanntes falsch eingeschätzt zu haben.

Das ändert sich im zweiten ›Durchlauf‹ drastisch, und zwar aufgrund der Macht, die die Eifersucht über Othello bereits gewonnen hat. Von der eigenen Unsicherheit gequält, bedroht Othello ihn jetzt: »Make me to see’t: or, at the least, so prove it | That the probation bear no hinge nor loop | To hang a doubt on – or woe upon thy life!« / »Laß es mich sehn – zumindest sonst beweis | Mir’s so, daß am Beweis kein Häkchen bleibt, | Um Zweifel dranzuhängen – sonst zitter um dein Leben!« (144/145) Jago muss seine Verleumdung besser unterfüttern, und er muss die Intrige rasch zum Ziel führen, oder er droht zu ihrem Opfer zu werden.

Einen echten Beweis kann er nicht liefern, und er ist klug genug, die Forderung danach abzuwehren. Was er anbietet, sind »Hinweise und triftige Indizien« / »imputation and strong circumstance« (146/147). Den erotischen Traum Cassios und seine Reden im Schlaf kann er gefahrlos erfinden, denn Cassio könnte sie nicht ableugnen. Desdemonas Taschentuch hat Jago eben von Emilia bekommen, und er traut sich zu, es Cassio bald unterzuschieben (zurecht: in Szene III/4 hat Cassio es schon in seinem Zimmer gefunden – vgl. 168/169). Jagos Geschick besteht nun darin, dasjenige, was er beweisen kann – Desdemonas Taschentuch ist in Cassios Besitz –, was aber nicht eindeutig für den Ehebruch zeugt – denn es kann auf vielen Wegen dorthin gekommen sein –, mit dem zu kombinieren, was er nicht beweisen kann – Cassios Traum –, aber den Ehebruch unmissverständlich anzeigt.

Vom Taschentuch sagt er: »If it be that, or any that was hers, | It speaks against her with the other proofs.« / »Wenn es das wäre, oder sonst ein Tuch von ihr, | Spräch’s gegen sie, als weiterer Beweis.« (150/151) – »with the other proofs«, sagt er, obwohl er bisher nur von dem Traum gesprochen hatte. Doch Othello geht der Suggestion von einer ganzen Reihe von Beweisen, die nun von der Sache mit dem Taschentuch nur noch bestätigt würden, auf den Leim, bricht unvermittelt in Rachephantasien aus, fordert die Ermordung Cassios und befördert Jago zum Leutnant.

Veröffentlicht am 17. Oktober 2023. Zuletzt aktualisiert am 17. Oktober 2023.