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Othello

Akt 5

Zusammenfassung

1. Szene: Jago hat Roderigo zu dem Punkt geführt, wo er Cassio auflauern soll. Er ermuntert ihn zu dem Mord, verspricht seine Unterstützung und verbirgt sich dann. Roderigo kann sich nur widerwillig zu der Tat bequemen. Jago überlegt, was der Ausgang des Kampfes sein könnte; letztlich müssen nach seinem Willen aber beide sterben: Denn Roderigo könnte Geld und Juwelen von ihm zurückfordern und Cassio könnte ihn bei Othello verraten.

Cassio kommt des Weges: Roderigos Stoß fängt sein Rock auf, ihm aber gelingt es, Roderigo zu verwunden. Jago springt aus seinem Versteck und verwundet Cassio am Bein. Othello hat Cassios Schrei gehört und wird unbeobachtet Zeuge der Lage. Die pünktliche Umsetzung des mit Jago abgemachten Mords ermuntert Othello, auch bei Desdemona nicht zu zögern.

Das Schreien bringt auch die Venezianer Lodovico und Gratiano herbei. Sie trauen sich wegen der Dunkelheit erst nicht heran. Da kommt Jago mit einem Licht und tut so, als reagiere auch er auf die Hilferufe Cassios. Roderigo stöhnt, Cassio zeigt ihn als einen der Schufte an, die ihn überfallen haben, und Jago ersticht ihn. Nach und nach machen sich die Personen miteinander bekannt. Bianca kommt auch hinzu und beweint Cassio. Jago kümmert sich fleißig um die Versorgung Cassios und beleuchtet Roderigos Gesicht: Dann tut er so, als ob er ihn jetzt erst erkennte, und als ob er sein besonderer Freund gewesen sei. Cassio und Roderigos Leichnam werden weggetragen. Jago lenkt den Verdacht auf Bianca. Emilia kommt hinzu und fragt, was passiert sei. Jago schickt sie zu Othello und Desdemona in die Zitadelle vor, um sie über den Unfall zu informieren.

2. Szene: Vor der schlafenden Desdemona reflektiert Othello über die Notwendigkeit, sie zu töten, die Endgültigkeit des Todes und ihre Schönheit. Er küsst sie mehrfach, und sie wacht auf.

Er fordert sie auf, noch einmal zu beten und für ihre Sünden um Vergebung zu bitten; er wolle ihre Seele nicht der Verdammnis preisgeben. Sie weiß aber keine Sünde mehr, wegen der sie um Vergebung bitten müsste und entnimmt seinen Reden langsam, dass er sie töten will. Sie bittet um Erbarmen und beteuert ihre Unschuld. Er führt an, sie habe das Taschentuch, das er ihr einmal gegeben, Cassio geschenkt – was sie bestreitet. Sie bittet, ihn rufen zu lassen und zu befragen, doch er deutet an, dass er schon tot sei. Außerdem habe Cassio schon gestanden. Als sie sich wegen seines Tods erschüttert zeigt und weint, packt ihn über ihr Mitgefühl für Cassio die Wut und er erwürgt sie trotz ihrer Bitten um nur noch eine kurze Frist.

Emilia ruft von draußen nach ihm. Er vergewissert sich, dass Desdemona tot ist, und überlegt, ob er Emilia hineinlassen soll. Er zieht den Bettvorhang zu. Die Bedeutung seiner Tat wird ihm kurz bewusst.

Emilia, hineingelassen, teilt ihm mit, Roderigo sei von Cassio ermordet worden. Othello wundert sich, dass Cassio nicht tot ist. Desdemona ruft vom Bett aus, und Emilia zieht den Vorhang zurück und sieht, dass sie beinahe tot ist. Desdemona beteuert noch einmal ihre Unschuld. Auf die Frage, wer ihr das angetan habe, antwortet sie, niemand habe das getan, verabschiedet sich und bittet Emilia, sie ihrem lieben Herrn zu empfehlen.

Nachdem er kurz so tut, als sei er selbst von ihrem Tod überrascht, gibt Othello sich als ihr Mörder zu erkennen und begründet seine Tat mit ihrer Sünde. Emilia widerspricht, und als er sich auf ihren Ehemann, auf Jago, beruft, wird sie stutzig. Sie will den Mord öffentlich zur Anzeige bringen und ruft nach Hilfe.

Montano, Gratiano und Jago kommen dazu. Emilia konfrontiert Jago mit den Aussagen, die Othello nach und nach zu seiner Rechtfertigung macht. Jago versucht vergeblich, sie zum Schweigen zu bringen. Als das Taschentuch Thema wird, enthüllt Emilia, dass sie es einmal durch Zufall fand und Jago gegeben hat. Othello greift Jago an, Montano entwaffnet ihn, Jago ersticht Emilia hinterrücks und geht ab. Montano gibt Order, Jago nicht entkommen zu lassen und geht mit Gratiano ab. Othello ist erschüttert wegen der Leichtigkeit, mit der er entwaffnet wurde: Er sieht seine Ehre darnieder. Emilia erinnert sich sterbend des Lieds, das Desdemona beim Zu-Bett-Gehen gesungen hatte. Othello erinnert sich einer anderen Waffe, die er noch im Zimmer hat. Er ruft, als er sie gegriffen hat, nach Gratiano, der wieder hereinkommt. Othello spricht von seiner früheren Tapferkeit und geht zum Bett. Er sieht sich wegen des Mords an Desdemona schon in der Hölle.

Lodovico, Cassio auf einer Trage, Montano und Jago als sein Gefangener kommen dazu. Othello verwundet Jago. Lodovico befragt Othello, der angibt, alles um der Ehre Willen getan zu haben. Er gesteht, mit Jago Cassios Ermordung geplant zu haben, und bittet diesen um Vergebung. Er bittet darum, Jago nach dem Grund für seine Intrige zu fragen, doch Jago gibt an, von nun an nichts mehr sagen zu wollen. Lodovico zeigt zwei Briefe vor, die in Roderigos Tasche gefunden worden seien: Der eine handele von Cassios Ermordung, der andere sei voll mit Beschwerden.
Othello fragt Cassio, wie er zu dem Taschentuch gekommen sei: Der sagt, er habe es in seinem Zimmer gefunden und Jago habe gestanden, es dort platziert zu haben. Aus dem Beschwerdebrief Roderigos geht außerdem hervor, dass Jago die Absetzung Cassios betrieben habe und jetzt, bevor er starb, habe Roderigo noch ausgesagt, dass Jago ihn aufgehetzt und selbst erstochen habe.

Lodovico nimmt Othello in Haft, bis der Senat über ihn befinden soll. Jago soll der Folter überantwortet werden. Cassio wird das Kommando über die Insel übertragen.

Othello bittet noch um ein Wort. Der Bericht über ihn solle nicht beschönigt, nicht boshaft verfälscht werden. Er schildert sich als jemanden, der dem Übermaß einer Leidenschaft zum Opfer fiel, die sonst nicht in seiner Art lag. Er berichtet, wie er in Aleppo einen Türken, der einen Venezianer schlug und auf Venedig schimpfte, erstochen hat – so wie er sich nun ersticht. Seine letzten Worte gelten Desdemona, dem Kuss, den er ihr zuletzt gegeben, und den er, selbst sterbend, ihr nun auf sie fallend gibt.

Cassio sagt, er habe einen solchen Ausgang befürchtet, habe ihn aber für entwaffnet gehalten. Lodovico verwünscht noch einmal Jago, lässt den Bettvorhang zuziehen, weist Gratiano das Vermögen und Erbe Othellos und Cassio die Verurteilung und Bestrafung Jagos zu. Er selbst werde mit dem Schiff nach Venedig reisen, um dort zu berichten.

Analyse

Shakespeares Tragödien haben oft eine Art Coda: Die Katastrophe ist hereingebrochen, und nun suchen die Überlebenden nach Kräften, Ordnung wiederherzustellen. Sofern jemand Opfer der Katastrophe geworden ist, der politische Macht innehatte, muss diese auf jemand anderen übergehen: Fortinbras (im »Hamlet«), MacDuff (»MacBeth«), Albany (»King Lear«).

Auch im »Othello« gibt es dies restaurative Moment. Lodovico spricht als Bevollmächtigter der Republik Venedig. Er setzt Cassio zu Othellos Nachfolger als Kommandeur Zyperns ein, weist Othellos Erbe Gratiano zu und beauftragt Cassio mit der Verurteilung und Bestrafung Jagos: »Myself will straight aboard, and to the state | This heavy act with heavy heart relate.« / »Ich geh an Bord, daß ich dem Staat in Bälde | Die schwere Tat mit schwerem Herzen melde.« (268/269) Dies ist das Schlusscouplet des Stückes – und auch dies ist eine für Shakespeare typische Figur: Die Überlebenden sprechen von ihrer Aufgabe, das Geschehene in einer Erzählung oder einem Bericht wiederzugeben. Das Motiv hat eine finalisierende Funktion: Was als Bühnengeschehen Stück für Stück dem Zuschauer offenbart wurde, rundet sich zur Geschichte. Wer sie erzählt, mag von den Ereignissen erschüttert sein, er gewinnt doch durch die Form des Erzählens etwas Fassung.

Dass am Ende des vierten Akts der Katastrophe in der Zu-Bett-geh-Szene schon präludiert wurde, macht sich im fünften Akt bezahlt: Hier geht es nur noch um die Umsetzung der beiden Mordabsichten, und dann muss das recht ausführliche Nachspiel nicht durch eine Überlänge des letzten Akts erkauft werden; es bleibt dafür nach dem Tod Desdemonas genügend Raum.

Jago war im vierten Akt in dem für Othello inszenierten Zwiegespräch auf der Höhe seines intriganten Virtuosentums gezeigt worden – hier, im fünften Akt, hat ihn sein Glück verlassen. Ihm misslingt die Ermordung Cassios. Wenn er vor Montano, Gratiano, Lodovico und Cassio den Betroffenen spielt, den eifrig um Cassios Gesundheit Bemühten, betreibt er Schadensbegrenzung – das Momentum hat er da schon verloren. Emilia schickt er selbst zu Othello und Desdemona. Sie stört die Szene zwischen Othello und der noch gerade lebenden Desdemona als erstes auf und sie wird Jagos Intrige aufdecken. Die Morde an Roderigo und Emilia, die Jago noch verübt, sind nutzlos: Beide haben, bevor sie sterben, Gelegenheit, ihr Zeugnis abzugeben.

Jagos eigenes Schicksal am Ende des Stücks ist komplex. So wie Cassio, dessen Mord geplant war, stirbt er, dessen Tod der Zuschauer erwarten durfte, nicht. Die beiden Überlebenden sollen sich jenseits der Grenze der Tragödie als Richter und als Angeklagter gegenüberstehen: Kein Zweifel, wenn Jago nicht noch irgendetwas einfällt, wird er zum Tode verurteilt. Aber wer kann das garantieren? Die Aussicht auf seine rechtmäßige Bestrafung mit dem Tod wirkt merkwürdig blass gegen die Tatsache seines Überlebens innerhalb der Grenzen des Stückes. Othello attackiert ihn ja, doch kann er ihn nur verwunden, da er von Lodovico rechtzeitig entwaffnet wird (vgl. 262/263). Er selbst spekuliert: »If that thou be’st a devil, I cannot kill thee.« / »Bist du ein Teufel, kann ich dich nicht töten« (262/263), nachdem er nachgesehen hat, ob Jago einen Pferdefuß hat. Und Jagos Antwort: »I bleed sir, but not killed.« / »Ich blute, aber bin nicht tot.« (262/263), mutet an wie die trotzige Reaktion eines Kindes.

Berühmt ist sein, Jagos Schlusswort: »Demand me nothing; what you know, you know: | From this time forth I never will speak word.« / »Fragt mich nach nichts. Das, was ihr wißt, das wißt ihr. | Ich werd von jetzt an nicht ein Wort mehr sagen.« (264/265) Das mutwillige Verstummen stellt tatsächlich das zu der Erzählung der Katastrophe komplementäre Schlussmotiv dar – vgl. im »Hamlet«: »The rest is silence.« Jago, der nicht mehr spricht, ist freilich Jago nicht mehr. Und doch steht er mit diesen Worten würdevoller und selbstgewisser da, als noch kurz zuvor, da er seine Frau zum Schweigen bringen wollte.

Das alles also – die Verhaftung, die wahrscheinlich grausame Bestrafung durch Cassio, die Tatsache des Überlebens innerhalb des Stücks und die Selbstbehauptung in dem Beschluss, zu schweigen – gehört zu dem Schicksal dieser Figur; die Gewichtung der einzelnen Aspekte muss jeder Zuschauer selbst vornehmen.

Dass Emilia es ist, die Jagos Intrige schließlich aufdeckt, hat eine hohe Plausibilität. Sie liegt wie im toten Winkel seiner Intrige: Er weiht sie nicht ein (wie Macbeth seine Frau), schließt sie aber auch nicht konsequent aus seinem Tun aus, was sicher ratsamer gewesen wäre. Er unterlässt es nicht, sie mit der Beschaffung von Desdemonas Taschentuch zu beauftragen, das heißt er baut ohne weitere Vorkehrungen auf den Gehorsam, den sie ihm als seine Gattin schuldig sei. Tatsächlich gerät sie, sobald sie etwas von seinen Absichten errät, in einen Loyalitätskonflikt, denn sie ist nicht nur Jagos Ehefrau, sondern auch die vertraute Aufwärterin Desdemonas.

Ihr wiederholter Ausruf: »My housband!« / »Mein Mann?« (250/251), ist als Anzeichen für die nach und nach gewonnene Erkenntnis auf der Bühne ungeheuer wirkungsvoll, streift aber, gerade weil es um ein eheliches Verhältnis geht, und weil Jago und Emilia zuvor schon wie ein altes Ehepaar gestritten hatten (Szene II/1), das Komische. Freilich kehrt der Ernst spätestens dann zurück, wenn wahr wird, was sie, zu reden entschlossen, voraussieht: »‘Tis proper I obey him, but not now. | Perchance, Iago, I will ne’er go home.« / »Ich müßt ihm zwar gehorchen, doch nicht jetzt. | Vielleicht, Jago, geh ich nie mehr nach Haus.« (254/255)

Othellos tragische Größe hingegen drückt sich darin aus, dass der Erkenntnisvorgang bei ihm ein stummer ist. Von seiner Leidenschaft befreit, wird sein martialisches Selbst, das nie zu heiraten gedachte, wieder zur Orientierungsgröße. Er ist dies aber nicht mehr (vgl. 260/261). Er ist – nichts mehr, ist nichts als der Nachlassverwalter seiner zersprengten Persönlichkeit: »That’s he that was Othello: here I am.« / »Das ist der, der Othello war. Hier bin ich.« (262/263) – so antwortet er auf Lodovicos Frage nach dem Mörder Desdemonas. Für seinen Selbstmord nimmt er ein Erinnerungsfragment aus seiner kriegerischen Zeit auf, eine brutale Anekdote von einem kaltblütigen Mord an einem Türken, der Venedig nur mit Worten beleidigen und einen Venezianer schlagen musste, um, in seinen Augen, das Recht auf Leben zu verlieren. So kommt, nachdem er von sich durchaus apologetisch gesprochen hatte (»An honourable murderer, if you will: | For naught did I in hate, but all in honour.« / »Als ehrenhaften Mörder, wenn Sie wolln; | Denn nichts tat ich aus Haß; alles um Ehre.« – 264/265; vgl. auch 266–268/267–269), am Schluss eine eigenartige Selbstverachtung zum Zuge. Einerseits ist sie durch den unverzeihlichen Mord an der unschuldigen Gattin einfach zu motivieren. Andererseits zeigt die Anekdote noch auf eine andere, politisch-rassistische Dimension: Othello identifiziert sich mit dem »circumcisèd dog« / »beschnittnen Hund« (268/269), der Venedig wagte zu beleidigen. Die Analogie ergibt Sinn, wenn er den Mord an Desdemona auch als Beleidigung Venedigs versteht, und wenn er für sich, als einem Außenseiter in der venezianischen Gesellschaft, dieselbe Strafe vorgesehen sieht, die er an dem Türken in Aleppo vollzog.

Veröffentlicht am 17. Oktober 2023. Zuletzt aktualisiert am 17. Oktober 2023.