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Othello

Sprache und Stil

Versmaß des Stückes ist, wie in allen Stücken Shakespeares, der Blankvers, also ein ungereimter Pentameter (fünfhebiger Jambus) unregelmäßiger Kadenz. Reime gibt es aber – wie ebenfalls bei Shakespeare üblich – an Szenen- und Aktschlüssen.

Die stilistische Varianz des Stücks ist, bedingt durch das Übergreifen in die häusliche Sphäre, sehr groß. Dabei ist das stilistische Register nicht zwingend an den Stand der Figur gebunden. Der adlige Roderigo spricht einen niedrigen Stil (denn er taucht nur im Zusammenhang mit Jago auf; auch Cassio wechselt allein mit Jago das stilistische Register). Der Fähnrich Jago beherrscht praktisch alle Stillagen – von der wüsten, obszönen und rassistischen Beschimpfung (vgl. 16/17) zur wohlgesetzten Zeugenaussage (vgl. 98/99) und zum koketten Scherz (vgl. 66–70/67–71). Emilia, Cassio und Bianca würden auch in eine Komödie passen.

Da die Bühne, mit der Shakespeare arbeitete, keine Dekorationen kannte, blieb er zur Evokation räumlicher Verhältnisse auf die Gestaltungsmacht der Sprache angewiesen. Wenn in der dritten Szene des ersten Akts die Ratssitzung vorüber ist und Jago und Roderigo übrigbleiben, wechseln sie von dem Blankvers in Prosa. Dadurch ›verschwindet‹ der Ratssaal, der freilich streng genommen noch der Schauplatz ist, aus dem Bewusstsein der Zuschauer.

Überhaupt wird der Wechsel von Vers- zu Prosarede überaus variabel und virtuos eingesetzt. Bei Othello zum Beispiel markieren die ersten Passagen in Prosa in der ersten Szene des vierten Akts (174–176/175–177) seinen Niedergang: Unmittelbar nach der Passage erleidet er den epileptischen Anfall.

Zu einem gehäuften Einsatz rhetorischer Stilfiguren kommt es zu verschiedenen Gelegenheiten und in verschiedenen stilistischen Registern. Man denke an die obszönen Periphrasen des Beischlafs von Othello und Desdemona, mit denen Jago Brabantio aufhetzt (vgl. 14–16/15–17); an die Beschreibungen des Sturms von Seiten Montanos und der anonymen Edelleute am zyprischen Hafen (vgl. 58–60/59–61); an Othellos Reflexionen über den an Desdemona zu verübenden Mord (vgl. 236–238/237–239). Werden bei den genannten Beispielen vor allem Tropen eingesetzt – also Ersetzungsfiguren wie Periphrasen, Metonymien, Metaphern –, zeichnen sich Othellos Reden vor dem Rat (Szene I/3) vor allem durch Figuren der Anordnung aus. Ihre rhetorische Durchgestaltung hat eine klare, für das Rhetorische prototypische Wirkungsabsicht: die Gewinnung des Publikums für die eigene Sache.

Am Ende des vierten Akts gibt es mit dem berühmten Weidenlied Desdemonas den Einschub einer fremden lyrischen Form. Der Akt des Singens wird dabei selbst Gegenstand der Inszenierung, wenn Desdemona sich immer wieder unterbricht, um ihrer Kammerfrau Anweisungen zu geben und die Reihenfolge der Strophen durcheinanderbringt (vgl. 218/219).

Veröffentlicht am 17. Oktober 2023. Zuletzt aktualisiert am 17. Oktober 2023.