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Schachnovelle

Sprache und Stil

Der Ich-Erzähler erscheint innerhalb der »Schachnovelle« als sprachgewandte und gebildete Figur. Er verwendet wiederholt Fremdwörter, die auch eine gebildete Leserschaft voraussetzen, wie z. B.: »Abbreviatur« (19), »auffällige Züge von Phlegma und Imbezillität« (16), ebenso wie den Verweis auf Franz Josef Gall und seine Wissenschaft der Physiognomie (vgl. 23). Darüber hinaus bedient sich der Ich-Erzähler wiederholt lateinischen Ausdrücken wie »Homo obscurissimus« (96) oder »Anonymus« (102).

Obwohl die Leserschaft wenig über den Ich-Erzähler erfährt, lässt sich so auf eine gebildete und wissbegierige Person aus der Oberschicht schließen. Einen Kontrast dazu stellt die Sprache McConnors dar, die moderner und umgangssprachlich wirkt: »Wir werden uns nicht so leicht zu Brei schlagen lassen« (30). McConnor tritt zwar als erfolgreicher Ölmillionär auf, doch seine Sprache lässt darauf schließen, dass er, ebenso wie Czentovic, aus einer eher niedrigen Bildungsschicht stammt.

Czentovic charakterisiert sich als einziger nicht durch seine Sprache. Er vermeidet das öffentliche Sprechen, da er versucht, seine geringe Intelligenz zu verstecken (vgl. 17). Dr. B. lässt sich der Bildungsschicht des Ich-Erzählers zuordnen, wodurch sich zwei gebildete und zwei plump wirkende Figuren gegenüberstehen. Dr. B. spricht stets höflich, bescheiden und »in natürlicher Weise« (48). 

Die Sprache wird darüber hinaus als Instrument verwendet, um den wahnhaften Zustand Dr. B.s. zu veranschaulichen. Seine zwei Persönlichkeiten bedienen sich einer unterschiedlichen Sprache. Die erste und ursprüngliche Persönlichkeit Dr. B.s. spricht höflich und zurückhaltend, sobald die zweite Persönlichkeit, ausgelöst durch das Schachspiel, von ihm Besitz ergreift, verlieren sich diese Eigenschaften. Er »faucht« (105), lacht »boshaft« (ebd.) und beginnt zu schreien: »Schach! Schach dem König!« (107). 

Weiterhin schlägt sich Dr. B.s. mentale Verfassung innerhalb des gesamten Werkes in seiner Sprache nieder. Das Schachspiel beispielsweise verunsichert ihn, er spricht »nervös und sogar etwas stottrig« (95). Auch die Atmosphäre der Novelle wird maßgeblich von der bildhaften Sprache Dr. B.s. beeinflusst. Da sie seinem gegenwärtigen Gemütszustand entspringt, passt die Atmosphäre stets zu den geschilderten Ereignissen und der Leserschaft ist es ein Leichtes, Mitgefühl zu entwickeln.

Eine weitere Besonderheit des Sprachstils ist die Verwendung vieler Metaphern. Bsp.: »[...] zwei Stunden mir die Beine in den Leib stehen musste […] und ich vermag Ihnen nicht zu erklären, wie in meinem Hunger nach Gedrucktem, nach Geschriebenem [...]« (65). Darüber hinaus ist die Bereitstellung von Gegensätzen und Kontrasten ein zentrales stilistisches Merkmal innerhalb der Novelle. Die Persönlichkeiten, Vorgeschichten und Herangehensweisen an das Schachspiel bilden stets einen sehr markanten Gegensatz zueinander. Die Gegenüberstellung der Figuren Czentovic und Dr. B. ist eines der zentralen Themen des Werkes.

Das hervorstechende Leitmotiv innerhalb der Novelle ist das Schachspiel. Es begleitet das gesamte Werk und wirkt auf jede der Figuren in verschiedener Weise. Das Schachspiel steht für Komplexität und Strategie. Es übt einen erheblichen Einfluss auf den Handlungsverlauf aus. Zu beachten ist vor diesem Hintergrund ebenfalls das Dingsymbol des Schachbretts, welches durch seine Farbgebung auf die Polarität des Spiels hindeutet. Die Erzählung kennzeichnet sich fortwährend durch Dogmatismen und Widersprüchlichkeiten, wie das Spielbrett werden auch die Figuren und Eigenschaften in schwarz und weiß eingeordnet und sich gegenübergestellt.

Ein weiteres Motiv ist die Schifffahrt, welche für die raschen Entwicklungen und die sich zuspitzende Handlung in der Novelle steht. Die Erzählung endet vor der Ankunft in Buenos Aires, was symbolisch für ein offenes Ende steht.

Es liegt die Erzählperspektive des Ich-Erzählers vor. Eine Besonderheit ist, dass der Ich-Erzähler nicht der Protagonist der Erzählung ist, sondern eine externe dritte Person. Innerhalb der Rückblende über seine Vergangenheit tritt Dr. B. selbst als Ich-Erzähler auf, ebenso wie der Freund des Ich-Erzählers in der Vorgeschichte Czentovics zu Beginn der Novelle. 

Dennoch nimmt der Ich-Erzähler die übergeordnete Erzählperspektive ein. Wenn der Erzähler wechselt, geschieht dies nur, weil ihm etwas aus der Ich-Perspektive erzählt wird. Bei der gewählten Erzählperspektive handelt es sich um eine sehr subjektive Art des Erzählens. Die individuellen Gedanken und Gefühle des Erzählers werden detailliert dargestellt. Der Ich-Erzähler beobachtet seine Außenwelt und schildert sie aus seinen Augen. Sein Erzählstil ist stets wertend. Bsp.: »Bei einiger Feinfühligkeit hätte er meiner Meinung nach uns auf Fehler aufmerksam machen können oder durch ein freundliches Wort aufmuntern« (34). Dennoch gibt er weniger von seiner Gefühlswelt preis als Dr. B. während seiner Erzählung. Die übergeordnete Funktion des Ich-Erzählers ist demnach die des Beobachters.

Zweig setzt die Funktion der Sprache gekonnt ein und verwendet sie, um seine Figuren zu charakterisieren und sie einer entsprechenden Gesellschaftsschicht zuzuordnen. Es zeigt sich ein durchgängig bildhafter und einzigartiger Erzählstil, der dem Werk Spannung und Authentizität verleiht.

Veröffentlicht am 5. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 5. September 2023.