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Schachnovelle

Abschnitt 2 (S. 19-48)

Zusammenfassung

Die Neugierde des Ich-Erzählers ist geweckt und er möchte während der Überfahrt mehr über Czentovic erfahren. Sein Freund warnt ihn, dass dieser trotz allem intelligent genug sei, Gespräche zu vermeiden. So versuche er, seinen mangelnden Intellekt zu verstecken.

Nach drei Tagen wächst der Ärger des Ich-Erzählers, da jegliche Annäherungsversuche an Czentovic scheitern. Gemeinsam mit seiner Frau versucht er eine Falle zu inszenieren und beginnt mit ihr ein Schachspiel an Bord.

Schließlich fordert der Ölmillionär McConnor den Ich-Erzähler zu einer Partie heraus. Czentovic beobachtet eine Partie, zeigt jedoch kein weiteres Interesse. McConnor, der bisher nichts von Czentovics Anwesenheit auf dem Schiff gewusst hat, scheint besessen von Erfolg zu sein. Als er von dem Schachmeister erfährt, wird er vom Ehrgeiz gepackt und nimmt sich vor, Czentovic sodann bei einem Schachduell zu besiegen.

Nachdem ihm Czentovic auf seine Nachfrage mitteilt, dass er nicht ohne Honorar spielen dürfe, willigt McConnor ein, Czentovic 250 Dollar für eine Schachpartie zu zahlen. Als Voraussetzung möchte Czentovic gleichzeitig gegen eine ganze Gruppe der Reisenden spielen, um sein Honorar entsprechend zu erhöhen.

Czentovic gewinnt die erste Partie hochmütig und ohne Anstrengung. McConnor fordert eine Revanche. Ein unbekannter Mann greift plötzlich in das Spiel ein und gibt McConnor Anweisungen, die ihm zu einem Remis verhelfen. Der Fremde glänzt mit einem ausgeprägten Schachwissen. Nach dem Unentschieden breitet sich eine tiefe Stille aus. Czentovic bietet dem Fremden an, allein eine weitere Partie gegen ihn zu spielen. Dieser lehnt stotternd ab und erklärt, dass er seit 25 Jahren kein Schach mehr gespielt habe.

Am darauffolgenden Tag spricht der Ich-Erzähler den unbekannten Helfer, der Dr. B. genannt wird, auf seine ausgereiften Schachkenntnisse an, woraufhin ihm dieser von den Umständen erzählt, unter denen er begann, sich ausgiebig mit Schach zu beschäftigen.

Analyse

Die spannende Widersprüchlichkeit, die Mirko Czentovic in seiner Persönlichkeit vereint, weckt das Interesse des Ich-Erzählers. Durch sein wiederholtes Scheitern, Czentovic näherzukommen, inszeniert er mit seiner Frau ein Schachturnier an Bord, das wie ein Köder für Czentovic fungieren soll. Diese Inszenierung, ebenso wie die Gedankengänge des Ich-Erzählers deuten auf seine Zielstrebigkeit und Intelligenz hin. »In früheren Zeiten physiognomischer Leidenschaft hätte ein Gall vielleicht die Gehirne solcher Schachmeister seziert, um festzustellen, ob bei solchen Schachgenies eine besondere Windung der grauen Masse des Gehirns […] sich intensiver eingezeichnet fände« (23). Diese Intelligenz unterscheidet ihn von Czentovic.

Wichtig zu erwähnen sind die unterschiedlichen Funktionen, die das Schachspiel innerhalb der Novelle einnimmt, sowie die verschiedenen Sichtweisen, die beleuchtet werden. Dem Ich-Erzähler fällt es schwer, in Schach ein »Spiel« zu sehen. Für ihn ist es ein Zusammenspiel von Wissenschaft und Kunst. Auf der einen Seite empfindet er Bewunderung: »erwiesenermaßen dauerhafter in seinem Sein und Dasein als alle Bücher und Werke, das einzige Spiel, das allen Völkern und allen Zeiten zugehört« (ebd.), doch auf der anderen Seite sieht er das Schachspiel als seltsam unbefriedigend: »[...] ein Denken, das zu nichts führt, eine Mathematik, die nichts errechnet, eine Kunst ohne Werke« (ebd.).

Stefan Zweigs Novelle ist ein Werk voller Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten. Zu der ambivalenten Haltung des Ich-Erzählers gegenüber dem Schachspiel kommen die Charaktere Czentovic und Dr. B., welche einen großen Kontrast zueinander darstellen. Während Czentovic als »ungeschickt und geradezu schamlos plump« (17) beschrieben wird, erscheint Dr. B. als gebildete und höfliche Person. Auch die Herangehensweise an das Schachspiel unterscheidet sich maßgeblich. Während Czentovic unfähig ist »das Schlachtfeld in den unbegrenzten Raum der Phantasie zu stellen« (15), glänzt Dr. B. durch seine theoretische und imaginative Herangehensweise: »[...] auch wenn Sie mit dem Springer Schach sagen, verlieren Sie und sind nach neun bis zehn Zügen erledigt« (37).

McConnor nimmt für den Ich-Erzähler die Funktion ein, Kontakt zu Czentovic herzustellen. Der Erzähler nimmt McConnor als sehr derb und hart wahr und unterstellt ihm, ein Vorurteil über Schotten bedienend, einen erhöhten Whiskykonsum: »[...] und einer satten Gesichtsfarbe, deren prononcierte Rötlichkeit wahrscheinlich, zumindest teilweise, reichlichem Genuss von Whisky zu verdanken war« (26). Ebenso wie die anderen Figuren der Novelle erscheint McConnor recht einseitig. Wie Czentovic zeigt er keine Feinfühligkeit oder macht sich tiefergehende Gedanken, zumindest erfahren wir nicht davon. Der Ich-Erzähler schildert McConnors »ehrgeizige Verbissenheit« (27) sowie seine Unfähigkeit, mit Niederlagen umgehen zu können (vgl. 31), die dieser mit Czentovic teilt (vgl. 44).
Während der Partie wird Czentovic seine Menschlichkeit erneut von Seiten des Erzählers abgesprochen: »dieser unmenschliche Schachautomat« (34). Statt menschlichen Wesenszügen wie Feinfühligkeit sieht er in ihm ausschließlich den funktionierenden Schachspieler.
Das hastige Eingreifen von Dr. B. in die Partie lässt die Vermutung zu, dass er sich eigentlich aus dem Schachspiel zurückhalten wollte, jedoch nicht anders konnte als McConnor zur Hilfe zu eilen. Seine »kreidige Blässe« (37) deutet auf einen schlechten gesundheitlichen Zustand hin. Dr. B.s. Aufregung (vgl. 39) deutet weiterhin auf die große Wirkung hin, die das Schachspiel auf ihn hat. Der Ich-Erzähler vergleicht seine Sprache mit »chinesisch« (ebd.), wodurch Dr. B.s. Intelligenz deutlich wird, der die anderen nicht folgen können. Der Ich-Erzähler sieht in Dr. B. eine Möglichkeit den »kalten Hochmut Czentovics« (40) zu brechen.
Innerhalb kürzester Zeit wird Dr. B., aufgrund der positiven Emotionen, die er auslöst, zu einem »Freund« (40). Der Moment, in dem Czentovic sich hinsetzt, steht symbolisch für die schwindende Hierarchie zwischen ihm und seinen Gegnern. Durch Dr. B. findet das Spiel nun auf Augenhöhe statt.

Die seelische Belastung, die das Schachspiel Dr. B. bereitet, ist ihm deutlich anzusehen: »ich hatte […] den Eindruck, dieser Mann müsse plötzlich gealtert sein« (46). Auf die Aufforderung, allein gegen Czentovic zu spielen, reagiert er erschrocken (43). Die vielen Fragezeichen auf S. 45 verdeutlichen die Verwirrung, die Dr. B. bei den anderen Schachspielern auslöst. Ihm wohnt etwas Geheimnisvolles inne, das die Neugierde der Reisenden weckt. Im Gegensatz zu Czentovic und McConnor findet der Ich-Erzähler für Dr. B. positive Worte. Er ist »höflich« (46) und stimmt äußerst bescheiden und zögernd einem Duell mit Czentovic zu (47).

Veröffentlicht am 5. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 5. September 2023.