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Die Küchenuhr

Rezeption und Kritik

»Die Küchenuhr« gehört zu den bekannteren Kurzgeschichten Borcherts und ist häufig Gegenstand im Schulunterricht.

Die auf das Ende seines Lebens konzentrierten Veröffentlichungen machten Borchert rasch bekannt. Die rasche Neuauflage von »An diesem Dienstag« spricht für den Erfolg der Publikation. Über zehn Rezensionen besprechen den Band unter Überschriften wie »Verzweiflung in Prosa«, »Auf der Spur des Schicksals« oder »Verlorene Generation?« (vgl. Burgess 59). Tonangebend in der frühen Borchert-Rezeption ist aber sein einziges Drama, »Draußen vor der Tür«, das einen Tag nach Borcherts Tod in den Hamburger Kammerspielen uraufgeführt und zuvor als Hörspiel umgesetzt worden war.

Kennzeichnend für die Borchert-Rezeption ist ein ausgeprägter Biographismus, das heißt eine starke Identifizierung seines Werkes mit seiner Person. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Borchert war selbst in mehrfacher Hinsicht Opfer des Krieges geworden und er starb in dem Moment, als er berühmt wurde. Die Unmittelbarkeit, mit der die Kriegs- und Nachkriegserlebnisse in seinem Werk zur Sprache kamen, begründete seinen Ruhm, konnte aber seinem Ruf als Künstler auf lange Sicht schaden:

    Aus den zeitgenössischen Rezensionen geht klar hervor, daß der große Anklang, den »Draußen vor der Tür« beim damaligen Publikum fand, ausschließlich auf seinen zeittypischen Inhalt, sein zeitgemäßes Ethos zurückzuführen war. Ein Kritiker schrieb: »Das alles ist nicht Theater. Das ist Leben! Gegenwart! ist Wahrheit, ungeschminkt, … Der das aussagte, wollte kein Kunstwerk«; und ein anderer meinte, es sei ein Stück, das »die Mitleidlosigkeit, die Furcht und Verzweiflung, die heute den deutschen Alltag ausmachen« zum Inhalt habe. […] So wurde Borchert als Verfasser von »Draußen vor der Tür«, als Dichter eines Stücks Trümmerliteratur, das die Verzweiflung seiner Zeit ästhetisch zum Ausdruck brachte, bekannt und fixiert – und abgetan. (Burgess 34 f.)

 Demgegenüber zeigt unter anderem auch »Die Küchenuhr«, wie stark Borchert, bei aller Gebundenheit an den zeitlichen Kontext, mit Hilfe der der amerikanischen short story abgelernten Techniken des Lakonismus und der strukturellen Verknappung, quasi-universale Arrangements erschafft, die weithin anschlussfähig sind:

    Man denke etwa an den blassen jungen Mann, der unter den Ruinen seines Elternhauses eine Küchenuhr […] findet, bei deren Anblick es ihm schlagartig einleuchtet, daß seine Kindheit im Vergleich zu seinem späteren Leben ein Paradies war: bei wem hat nicht ein scheinbar unbedeutender Gegenstand eine solche plötzliche, womöglich lebensverändernde Erkenntnis ausgelöst? (Burgess 31)

Besondere Beachtung hat das Werk Borcherts in der ausländischen Germanistik gefunden. So gibt es – um nur zwei Beispiele zu nennen – aus dem Jahr 1980 eine bemerkenswert akribische semiotische Studie zu der Kurzgeschichte von dem ungarischen Germanisten Karoly Csúri, Universität Szeged (»Modell-Strukturen und mögliche Welten. Eine literaturtheoretische Untersuchung zu Borcherts Kurzgeschichte: Die Küchenuhr«) und, erschienen im »Yearbook of Transatlantic German Studies« 2018/19 eine auf moderne Traumatheorien abstellende Studie der amerikanischen Germanistin Vera B. Profit mit dem Titel »Wolfgang Borchert’s Die Küchenuhr. A Study in Responding to Injury«.

Veröffentlicht am 7. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 7. September 2023.