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Die Küchenuhr

Sprache und Stil

Typisch für eine Kurzgeschichte ist der direkte Texteinstieg, der so tut, als habe man es mit schon eingeführten Figuren und einer schon eingeführten Situation zu tun. Personalpronomen der dritten Person und entsprechende Objektpronomen verweisen eigentlich auf eine vorangegangene Nennung, auf die hier verzichtet wird: »Sie sahen ihn schon von weitem auf sich zukommen, […].« (201). So wird der Eindruck des schon Bekannten, des allgemein Gleichen erweckt, so als handele es sich um eine prototypische Situation, für deren Verständnis kein Vorwissen nötig ist.

Stilistisch ist zwischen Erzähler- und Figurenrede zu unterscheiden.

Die Syntax der Erzählerrede ist schlicht gehalten. Es gibt keine argumentierenden oder mehrere Beobachtungsebenen in einen syntaktischen Zusammenhang setzenden Passagen. Dennoch wäre es falsch, sie stilistisch als nüchtern oder karg zu beschreiben. Angesichts der geringen Textmenge ist die Dichte der rhetorischen Stilfiguren sogar relativ hoch. Der Rede von dem alten Gesicht liegt eine Hypallage (also ein mit eigentlich falschem Bezug eingesetztes Adjektiv) in Kombination mit einer Metapher zugrunde (nicht das Gesicht ist alt, sondern der Gesichtsausdruck; und der Gesichtsausdruck ist nicht eigentlich alt, sondern er ähnelt dem eines alten Menschen). Eine schwächere Hypallage findet sich auch bei dem »vorsichtigen Kreis« (202), den der junge Mann auf dem Rand der Telleruhr zeichnet: Nicht der Kreis ist vorsichtig, sondern seine Bewegung. Synekdochisch ist die Formulierung: »Er fand sie nicht« (203), für: Er fand ihre Blicke nicht. Das »weißblaue runde Gesicht« (203) der Uhr ist eine Metapher.

Für einen nüchternen oder kargen Text gibt es außerdem zu viele die Lesererwartungen lenkende, mit ihnen interagierende Konjunktionen. Das betrifft den Gebrauch von Und, Aber und Dann. Stark wirkt in dieser Hinsicht das »Und dann […]« (201) am Ende des ersten Absatzes. Die letzten fünf Sätze der Kurzgeschichte spielen mittels zweier Aber gewissermaßen zweimal über Bande, ehe sie in dem letzten Satz in einem einfachen Aussagesatz (in dem freilich ein »sondern« noch mitzudenken wäre) zur Ruhe kommen (die Satzanfänge: »Dann […]. Aber […]. Und […]. Aber […]. Er […].« – 204).

Bei der Figurenrede ist noch einmal zwischen der Figurenrede des jungen Mannes und der der anderen zu unterscheiden. Bei letzterer handelt es sich bis auf den Erklärungsversuch des Mannes um schlichte, einsätzige, ja syntaktisch unvollständige Fragen (»Und Ihre Familie?« – 203). Die Erklärung des Mannes ist von einer robusten Straffheit. Vermutung, Häufigkeit des Falls, der zentrale kausale Zusammenhang und die physikalische Erklärung werden in vier knappen Sätzen vorgetragen.

Die Figurenrede des jungen Mannes kennzeichnet eine viel größere Beweglichkeit, mitunter ein tastender, dann wieder ein insistierender Gestus. Die vielen Wiederholungen und die kurzen, den Gedankenzusammenhang nur Stück für Stück entfaltenden Sätze können als Simulation spezifisch mündlicher Rede gedeutet werden. Dabei steht die Wendigkeit, mit der der junge Mann auf die möglichen Einwände und Erwartungen seiner Zuhörer eingeht, in deutlichem Kontrast zu deren tatsächlicher Zurückhaltung: So benutzt er Worte und Wendungen wie »das weiß ich auch«, »so mit weißem Lack«, »finde ich«, »natürlich«, »Nein«, »das steht fest«, »Auch wenn«, »Ja, ja«, »denken Sie!«, »Nein, nein«, »das weiß ich wohl«, »noch überhaupt nicht«, »Denken Sie mal«, »das wissen Sie nur nicht«, »nämlich«, »meine ich«, »gerade«, »nicht wahr?«, »Und dann, dann«, »ja«, »doch«, »Jetzt, jetzt«, »Ach«, »stellen Sie sich vor« (201-204).

Indem er das zerstörte familiäre Leben und die für selbstverständlich gehaltene mütterliche Fürsorge als Paradies bezeichnet, installiert er die zentrale Metapher der Kurzgeschichte. Personifizierend ist außerdem die Rede davon, die Uhr sei »innerlich« (201) kaputt.

Veröffentlicht am 7. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 7. September 2023.