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Leonce und Lena

Sprache und Stil

Eines der wesentlichen Charakteristika des Dramas ist seine innovative und spielerische Sprache. »Leonce und Lena« gehört der Gattung der Komödie an, und dementsprechend sind auch die Dialoge seiner Figuren gestaltet. Der Fokus des Stücks ist weniger das Geschehen oder der Inhalt der Dialoge, sondern die Art und Weise, wie dieser Inhalt formuliert und dem Publikum nahegebracht wird (Grosse, 55). So bedienen sich gerade die Protagonisten zahlreicher Sprachspielereien.

Insbesondere die Gespräche Leonces und Valerios werden folglich zu einem cleveren Schlagabtausch voller Sprachwitz. Valerio sagt beispielsweise zu Leonce: »Das ist eine schlagende Antwort und ein triftiger Beweis.« (1.3) Dieser antwortet darauf: »Oder du bist eine geschlagene Antwort. Denn du bekommst Prügel für deine Antwort.« Mit der Umkehrung des aktiven Partizips »schlagend« in das passive Partizip »geschlagen« initiiert Leonce eine spielerische Wortattacke gegen seinen Freund.

Allgemein ist Valerio jedoch derjenige, der den meisten Wortwitz zum Drama beiträgt. An einer Stelle des Dramas bezeichnet Leonce Valerio sogar als »nichts als ein schlechtes Wortspiel« (1.3). Daraufhin antwortet Valerio sehr passend genau damit – einem Wortspiel:

    Es ist eine traurige Sache um das Wort kommen, will man ein Einkommen, so muß man stehlen, an ein Aufkommen ist nicht zu denken, als wenn man sich hängen läßt, ein Unterkommen findet man erst, wenn man begraben wird, und ein Auskommen hat man jeden Augenblick mit seinem Witz, wenn man nichts mehr zu sagen weiß, wie ich zum Beispiel eben, und Sie, ehe Sie noch etwas gesagt haben. Ihr Abkommen haben Sie gefunden und Ihr Fortkommen werden Sie jetzt zu suchen ersucht. (ebd.)

Indem er in seinen Satz mehrere Varianten des Wortes »kommen« integriert, pariert er nicht nur gekonnt Leonces Angriff, sondern beweist auch, dass er selbst tatsächlich ein eher geniales Wortspiel ist.

Wortspiele sind für die Protagonisten des Dramas eine Ablenkung von der Hoffnungslosigkeit ihrer Existenz. Leonce, Lena und Valerio sind geplagt von Langeweile und Melancholie; sie sehen sich als Gefangene in ihrem Leben. Alles, was sie tun, muss den Regeln und Normen der Gesellschaft entsprechen, für alternative Lebenswege bleibt kein Raum. Humor dient als Ablenkung von ihrem Leiden. Sprachlicher Witz bietet Leonce, Lena und Valerio einen letzten Rest von Freiheit in einer Welt, die ihnen keine Freiheit ermöglicht. Kurzum: Die Sprache wird symptomatisch für den Eskapismus der Protagonisten.

Ebenfalls bezeichnend für das Drama ist seine Dichte an literarischen und historischen Referenzen. Wenn König Peter sagt »Die Substanz ist das 'an sich', das bin ich« (1.2), weckt er Assoziationen mit dem berühmten Satz des französischen Königs Louis XIV: »L'État, c'est moi«, »Der Staat bin ich.« Da Peter aber scheitert und den Satz inkorrekt wiedergibt, erhebt er sich damit nicht zu einer Louis XIV ebenbürtigen Figur, sondern gibt sich lediglich als bemitleidenswert Parodie des berühmten Königs zu erkennen. Er dient Büchner als Spottbild, das die Lächerlichkeit des Absolutismus aufzeigt. Ein anderes Beispiel für eine historische Referenz ist das von Valerio gesungene Volkslied »Hei, da sitzt e Fleig an der Wand! Fleig an der Wand! Fleig an der Wand!« (1.1), das in den 1830ern häufig von den Gegnern der absolutistischen Herrschaftsform auf ihren Protesten gesungen wurde, wenn die Polizei in der Nähe war (Lyon, 206).

Das häufige Zitieren und Umformulieren von und Anspielen auf andere Texte und historische Begebenheiten ist sehr charakteristisch für Büchner (Lyon, 196) und wird sehr unterschiedlich bewertet. Früher wurde es häufig als »Krankheit« und »Missbrauch ›echter Dokumente‹« gesehen (ebd.). Erst in den letzten Jahren haben Literaturwissenschaftler begonnen, den künstlerischen Wert und die Originalität hinter Büchners ausgeprägter »Zitalität« zu sehen (ebd.). Lyon sieht Büchners Zitalität als Ausdruck eines Versuchs, politische Aussagen in seine Texte zu bringen und die vorherrschende politische Ordnung zu untergraben (Lyon, 200).

Veröffentlicht am 3. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 3. Juli 2023.