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Leonce und Lena

Zitate und Texstellen

  • »Mein Leben gähnt mich an, wie ein großer weißer Bogen Papier, den ich vollschreiben soll, aber ich bringe keinen Buchstaben heraus.«
    – Leonce, 1.3

    Leonce hat sich soeben aus Langeweile von seiner Geliebten Rosetta getrennt, da er festgestellt hat, dass er eine sterbende Liebe schöner findet als eine werdende. Nun ist er allein im Zimmer zurückgeblieben und philosophiert in einem an sich selbst gerichteten Monolog über sein Leben. Leonce ist verzweifelt: Er fühlt sich in seiner Existenz gefangen und spielt eine Rolle, welche er sich nicht ausgesucht hat und aus welcher er keinen Ausweg findet. Er fühlt sich eingeengt und gelähmt, und das bringt er zum Ausdruck, indem er sein Leben als Blatt Papier beschreibt und eingesteht, dass er nicht in der Lage ist, etwas darauf zu schreiben: In der Gesellschaft, in der er lebt, gibt es keinen Raum für Individualität.

  • »Und Sie Prinz, sind ein Buch ohne Buchstaben, mit nichts als Gedankenstrichen.«
    – Valerio, 1.3

    Diese Worte richtet Valerio an Leonce, nachdem dieser ihn ein »schlechtes Wortspiel« genannt hat. Indem er Leonce als ein »Buch ohne Buchstaben« bezeichnet, bringt Valerio hervorragend den grundlegenden inneren Konflikt seines Freundes auf den Punkt: Leonce verzweifelt daran, dass er sich seine Persönlichkeit nicht aussuchen kann, sondern festgefahrenen Karrierewegen folgen muss. Ohne es zu wissen, greift Valerio sogar einen Satz auf, den Leonce kurz zuvor zu sich selbst gesagt hatte: dass sein Leben ihn angähne wie ein großer weißer Bogen Papier, aber er bringe keinen Buchstaben heraus. Demnach sieht nicht nur Valerio seinen Freund als Buch ohne Buchstaben, sondern auch Leonce selbst sieht sich so.

  • »So wollen wir nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft werden.«
    – Valerio, 1.3

    Zum Ende dieser Szene gehen Leonce und Valerio ironisch der Reihe nach gängige Karrierebilder durch. Indem sie sie verwerfen, geben Leonce und Valerio diese Karrierewege der Lächerlichkeit preis. Insbesondere die Option, ein »nützliches Mitglied der Gesellschaft« zu werden, verspotten sie, indem sie sagen, sie wollten lieber mit dem Menschsein aufhören. Sie verspüren keinerlei Verlangen, sich den Erwartungen ihrer Gesellschaft zu fügen. So ist es auch wenig überraschend, dass sich Leonce wenige Sekunden später gegen die Hochzeit und für eine Flucht nach Italien entscheiden wird.

  • »Bin ich denn wie die arme, hülflose Quelle, die jedes Bild, das sich über sie bückt, in ihrem stillen Grund abspiegeln muß? Die Blumen öffnen und schließen, wie sie wollen, ihre Kelche der Morgensonne und dem Abendwind. Ist denn die Tochter eines Königs weniger, als eine Blume?«
    – Lena, 1.4

    Lena will einen Mann heiraten, den sie liebt, aber diese Freiheit ist selbst ihr als Königstochter nicht vergönnt. Sie ist in ihrer Rolle gefangen und muss dem gehorchen, was andere von ihr erwarten. Die Prinzessin verwendet ein sprachliches Bild, um das zum Ausdruck zu bringen: Sie besitzt weniger Freiheiten als eine Blume. Damit übt sie indirekte Kritik an einer Gesellschaft, die es einer jungen Frau nicht gestattet, ihr Schicksal selbst zu wählen.

  • »O sie ist schön und so weit, so unendlich weit. Ich möchte immer so fort gehen Tag und Nacht.«
    – Lena, 2.1

    Lena ist mit ihrer Gouvernante aus dem Königreich Pipi geflohen und kann nun zum ersten Mal die Weite der Welt genießen. Nun, da sie ihre alte Rolle als Königstochter hinter sich gelassen hat, kann sie sich endlich frei fühlen.

  • »Mensch, du hast mich um den schönsten Selbstmord gebracht.«
    – Leonce, 3.1

    Leonce will sich umbringen, da ihn das Zusammentreffen, insbesondere der Kuss, mit Lena emotional überwältigt hat. Valerio kann ihn gerade noch zurückhalten und Leonce klagt daraufhin, sein Freund habe ihn um den schönsten Selbstmord gebracht. Das mag zunächst seltsam klingen, ergibt im Falle des Prinzen aber viel Sinn: Leonce denkt viel über den Tod nach und scheint sich teilweise regelrecht auf ihn zu freuen. Für jemanden wie ihn, der sich schon so oft mit dem Sterben beschäftigt hat, muss der Moment des Sterbens entsprechend perfekt inszeniert sein. Leonce hat es ganz offensichtlich auf einen pathetischen und erhabenen Selbstmord abgesehen, den er auf dem Höhepunkt seiner Emotionen begehen will. Ein wenig möchte er damit auch Goethes Werther imitieren, wie er kurz darauf mit der Anspielung auf den »Kerl« mit »der gelben Weste« und den »himmelblauen Hosen« zu erkennen gibt. Diesen schönen Tod zu sterben, hat Valerio für ihn verhindert.

  • »Bin ich das? oder das? oder das? Wahrhaftig ich bekomme Angst, ich könnte mich so ganz auseinanderschälen und -blättern.«
    – Valerio, 3.3

    Valerio, Leonce, Lena und die Gouvernante sind maskiert bei der Hochzeitszeremonie eingetroffen. Auf König Peters Frage, wer sie seien, gibt Valerio diese Antwort. Dabei nimmt er nacheinander mehrere Masken von seinem Gesicht, die all die Rollen symbolisieren, die er in der Welt einnehmen könnte. Damit spielt Valerio auf die mangelnde Authentizität in der Gesellschaft an. Jeder spielt nur die Rolle, die von ihm erwartet wird, keiner aber kann seine Persönlichkeit frei entwickeln.

  • »Aber meine Herren hängen Sie alsdann die Spiegel herum und verstecken Sie Ihre blanken Knöpfe etwas und sehen Sie mich nicht so an, daß ich mich in Ihren Augen spiegeln muß, oder ich weiß wahrhaftig nicht mehr, wer ich eigentlich bin.«
    – Valerio, 3.3

    Valerio bringt scherzend seine Angst zum Ausdruck, dass er, wenn er sich zu sehr auf seine Spiegelung in den Augen der Umstehenden konzentriert, vergessen könnte, wer er eigentlich ist. Valerios Kritik ist auch hier wieder, dass er in der Gesellschaft, in der er lebt, überhaupt gar nicht erst die Möglichkeit hat, sich eine eigene Persönlichkeit zu suchen und authentisch zu leben. Die Erwartungen und Normen, die Rollenbilder und Karrierewege sind zu stark in die Köpfe der Leute eingeprägt, und auch das politische System lässt keinen Raum für individuelle Entwicklung.

  • »Aber eigentlich wollte ich einer hohen und geehrten Gesellschaft verkündigen, daß hiemit die zwei weltberühmten Automaten angekommen sind und daß ich vielleicht der dritte und merkwürdigste von beiden bin, wenn ich eigentlich selbst recht wüßte, wer ich wäre«
    – Valerio, 3.3

    Indem Valerio sowohl Leonce und Lena als auch sich selbst als Automaten bezeichnet, bringt er zum Ausdruck, wie wenig Freiheit ihnen dreien vergönnt ist. Als Mitglied der menschlichen Gesellschaft ist man nichts weiter als eine Marionette oder ein Automat, der all das ausführt, was von ihm verlangt wird. Automaten besitzen keine Persönlichkeit, genauso wenig wie die Menschen in den Königreichen Popo und Pipi eine Persönlichkeit besitzen.

  • »Sehen Sie hier meine Herren und Damen, zwei Personen beiderlei Geschlechts, ein Männchen und ein Weibchen, einen Herrn und eine Dame. Nichts als Kunst und Mechanismus, nichts als Pappendeckel und Uhrfedern.«
    – Valerio, 3.3

    Valerio stellt das Brautpaar den Anwesenden als Automaten vor, die aus Pappdeckeln und Uhrfedern gefertigt sind. Damit parodiert er die menschliche Gesellschaft: Ihre Mitglieder könnten genauso gut gegen Automaten ausgetauscht werden, und es würde keinen Unterschied machen. Die Königreiche Popo und Pipi bieten ihren Einwohnern so wenig Freiheit, dass sie keine komplexen Persönlichkeiten mit individuellen Idealen bilden können. Sie sind Automaten, mehr nicht.

Veröffentlicht am 3. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 3. Juli 2023.