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Geschichten aus dem Wiener Wald

Aufbau des Werkes

»Geschichten aus dem Wiener Wald« ist ein streng durchkomponiertes Drama. Sein Aufbau folgt einer präzise konstruierten Struktur. Es ist aus drei Teilen zusammengesetzt, wobei Teil 1 und 3 in »symmetrischer Fügung« den Mittelteil umrahmen (Bäuerle 140). Diese Symmetrie besteht darin, dass beide äußeren Teile jeweils vier Szenen enthalten und im ersten Teil die erste, im dritten Teil die letzte »Draußen in der Wachau« angesiedelt ist. Der zweite und damit mittlere Teil besteht aus sieben Szenen.

Trotz dieses ausgewogen kalkulierten Aufbaus hebt Horváth seine Komposition aber ganz bewusst von der klassischen Dramenform und ihrer Einteilung in fünf Akte mit Exposition, steigender Handlung, Peripetie, retardierendem Moment und Katastrophe ab. Die Abgrenzung vom klassischen Drama zeigt sich bereits darin, dass die Akte bei ihm als »Teile« bezeichnet werden, und dass es derer nicht fünf, sondern nur drei gibt. In Anlehnung an den Literaturwissenschaftler Volker Klotz sind die »Geschichten aus dem Wiener Wald« daher kein geschlossenes, sondern ein offenes Drama (Volker Klotz, Geschlossene und offene Form im Drama, zitiert nach Bäuerle).

Weitere Kennzeichen des offenen Dramas, die Klotz nennt und die sich in den »Geschichten aus dem Wiener Wald« finden lassen, sind die Vielfalt der Spielorte, die weite zeitliche Erstreckung, die lose Fügung der dargestellten Szenen und die Betonung von Nebenhandlungen. Im Unterschied zum klassischen Drama gibt es hier nicht die charakteristische »Dramenpyramide«, sondern stattdessen eine reihende Komposition ohne Hierarchie der Teile.

Vielmehr kann man die drei Teile mit ihren jeweils vier, sieben und wieder vier Szenen als »zirkulären Aufbau« (Reitzammer, Abschnitt 3.3.) betrachten. Die insgesamt 15 Szenen spielen an neun verschiedenen Handlungsorten, von denen sieben nur jeweils einmal, zwei Handlungsorte aber jeweils viermal vorkommen. Diese beiden, die »Stille Straße im achten Bezirk« und »Draußen in der Wachau«, sind nach Peter Wapnewski »Konstanten, […] einander kontrapunktisch zugeordnet und [sie] funktionieren als die eigentliche Bühne des Geschehens, als giftreicher Nährboden der Handelnden und Arena ihrer Kämpfe« (Peter Wapnewski, Ödön von Horváth und seine ›Geschichten aus dem Wienerwald‹, zitiert nach Krischke/Materialien). 

Der Handlungsort der letzten Szene ist identisch mit dem der ersten. Beide spielen darüber hinaus im Frühjahr, einer Zeit der Hoffnung und Erneuerung, die hier indes nur auf das Immergleiche hinweist: Der rosarote Rahmen kehrt Jahr für Jahr wieder, ohne dass sich die darin Handelnden verändert hätten. Hinter der scheinbar heiteren Frühlingsfassade verbirgt sich abgründige Bosheit. Die formale Kreisstruktur verweist damit auf den inhaltlichen Circulus vitiosus, in dem die Figuren sich befinden: »Alles ist am Ende, wie es war, eine Entwicklung hat nicht stattgefunden, die Menschen haben nichts dazugelernt.« (Manfred Eisenbeis, Lektüreschlüssel. Ödön von Horvath. Geschichten aus dem Wiener Wald, zitiert nach Bäuerle).

Veröffentlicht am 27. März 2023. Zuletzt aktualisiert am 27. März 2023.