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Geschichten aus dem Wiener Wald

Sprache und Stil

So wie die Lebenswelten, die im Stück präsentiert werden, der ›Welt des kleinen Mannes‹ entstammen, ist auch die Sprache der Figuren dem Kleinbürgertum ›aufs Maul geschaut‹. Mithin sprechen alle Personen im Stück hochdeutsch, um gebildet zu erscheinen, verfallen aber gelegentlich in Ansätze von Dialekt, wenn sie von Lust, Wut oder Gier getrieben werden. So schimpft der Zauberkönig, der kurz zuvor noch Juvenal zitiert hat, mit Marianne: »Und ich kann doch nicht mit rutschende Strümpf in die Totenmess! Weil du meine Garderob verschlampst!« (S. 18, 15–17)  

Hier bricht sich authentisches Sprechen Bahn, ebenso wie in den Flüchen, Zoten und Kraftausdrücken, die z. B. Havlitschek (»das dumme Luder«, S. 14, 19), Alfred (»Halts Maul«, S. 25, 7) oder die Großmutter (»Luder, dreckiges! […] Scheißkerl!« S. 86, 8f.) verwenden. Bei Havlitschek entsteht durch die Verbindung von vulgärer und pseudogebildeter Sprache Komik: »Herr Oskar, bittschön, nehmens Ihnen das nicht so zu Herzen mit ihrem gewesenen Fräulein Braut, schauns, Weiber gibts wie Mist!« (S. 44, 3–5)

Solange die Fassade aber gewahrt werden kann, sprechen alle Personen ausschließlich in höflichen Formeln, konventionellen Floskeln und Bildungszitaten. Christopher Balme benennt die Quellen dieses »uneigentliche[n] Sprechen[s]« als »Groschenromane, Operetten, Magazine, Volkslieder, Sprichwörter usw.« Er ergänzt: »Die Figuren sind sich der Provenienz sogar teilweise bewusst« (Christopher Balme, Horváths Theorie des Theaters, zitiert nach Streitler-Kastberger). Als Beleg verweist er auf Oskars Goethe-Zitat »Denn solang du dies nicht hast/ Dieses Stirb und Werde! […]«, das Oskar selbst mit dem Satz: »Das sind doch nur Kalendersprüch!« (S. 97, 21) erklärt. Die gehobene Bildungssprache, die selbst bereits von einem lediglich mittelbaren Zugang zur Erfahrungswelt zeugt, wird somit ihrerseits nur noch in vermittelter Form zugänglich. 

Indem die Kleinbürger diese Sprache verwenden, versuchen sie, sich dem Bildungsbürgertum anzugleichen, dem sie weder aufgrund echter Bildung noch aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation angehören. Umgekehrt heißt das nicht, dass Personen ›höheren Standes‹ wie der Rittmeister sich sprachlich anders verhielten. Auch sie halten an Floskeln und Klischees fest. Viele davon sind im allgemeinen Verständnis untrennbar mit Umgangsformen des alten Österreich verbunden, etwa »Zu charmant, gnädige Frau!« (Der Hierlinger Ferdinand, S. 10, 32f.), »Küss die Hand!« (Rittmeister, S. 59, 23) oder »Habe die Ehre« (Rittmeister, S. 70, 19f.). Gerade das im Stück immer wieder verwendete »Küss die Hand« zeigt angesichts des in Wahrheit äußerst geringschätzigen Umgangs der Sprecher mit Frauen die Aushöhlung solcher Formeln.

Christopher Balme stellt fest, »dass die Figuren im Stück nicht fähig sind, zu ihrer eigenen individuellen Sprache zu finden« (Christopher Balme, Horváths Theorie des Theaters, zitiert nach Streitler-Kastberger). Horváth selbst hat darauf hingewiesen, wie wichtig ein stark stilisiertes Spiel sei, um die intendierte Ironie zum Ausdruck zu bringen. Keinesfalls dürften die Figuren naturalistisch gespielt werden, denn dann näherten sie sich wieder den Charakteren des ursprünglichen Volksstückes an, statt Kritik an diesem Genre sichtbar zu machen: »Jedes Wort muss hochdeutsch gesprochen werden, allerdings so, wie jemand der sonst nur Dialekt spricht und sich nun zwingt, hochdeutsch zu reden.« (Martin Vejvar, Fassade, Meer, Eisberg. Zu Sprache und Textgenese bei Ödön von Horváth, zitiert nach Streitler-Kastberger)

Veröffentlicht am 27. März 2023. Zuletzt aktualisiert am 27. März 2023.