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Geschichten aus dem Wiener Wald

Zitate und Textstellen

  • Die Arbeit im alten Sinne rentiert sich nicht mehr. Wer heutzutag vorwärts kommen will, muss mit der Arbeit der anderen arbeiten.
    – Alfred zu seiner Mutter, S. 8, 17–20.

    Ausgelöst durch die Weltwirtschaftskrise, befanden sich viele Mittelständler und Kleinbürger Ende der 1920er-Jahre in finanzieller Not. Alfred verteidigt mit seiner Aussage genau das turbokapitalistische System, das erst die Krise hervorgebracht hat. Er bringt damit zum Ausdruck, dass sich Arbeit als solche nicht lohnt und man es ausschließlich durch Aktivitäten am Finanzmarkt zu Wohlstand bringen kann. Der weitere Verlauf der Handlung zeigt allerdings, dass er selbst dabei nicht zu den ›großen Fischen‹ gehört, sondern sich vor allem durch Glücksspiel, geliehenes Geld und kleine krumme Geschäfte über Wasser hält.

  • Papa sagt immer, die finanzielle Unabhängigkeit der Frau vom Mann ist der letzte Schritt zum Bolschewismus.
    – Marianne zu Alfred, S. 26, 7–9

    Marianne arbeitet im Geschäft ihres Vaters mit, muss sich von ihm herumkommandieren lassen und hat keine eigene Berufsausbildung. Die Einstellung des Zauberkönigs gegenüber der finanziellen Unabhängigkeit der Frau dient somit auch der Aufrechterhaltung ihrer Abhängigkeit von ihm. Dennoch gibt sie (zumindest noch zu diesem Zeitpunkt) seine Sprüche unreflektiert wieder, ohne deren Bedeutung für ihr eigenes Leben zu erfassen. Die von ihr ›nachgebetete‹ Meinung des Zauberkönigs deutet auf die Angst der Kleinbürger vor einem politischen Umbruch von Links hin.

  • Jetzt bricht der Sklave seine Fessel – da! […] Ich lass mir mein Leben nicht verhunzen, das ist mein Leben!
    – Marianne zu Oskar, S. 40, 3–6

    Mit diesen Worten wirft Marianne Oskar den Verlobungsring ins Gesicht. Es handelt sich um die entscheidende Szene, in der sie zum ersten Mal einen Ausbruchsversuch aus der vorgezeichneten weiblichen Biografie macht. Das Drama handelt vom Scheitern dieses Emanzipationsbestrebens, denn an die Stelle der Ehe mit dem groben Oskar tritt nun lediglich eine unglückliche Beziehung mit Alfred, der sie mit der Verantwortung für ihren gemeinsamen Sohn alleinlässt. Dadurch gerät sie in weitere Abhängigkeiten. Die »Fessel« wurde nicht gebrochen, zu keiner Zeit kann Marianne, die ohne Berufsausbildung ist, wirklich selbstbestimmt leben.

  • Die Weiber haben keine Seele, das ist nur äußerliches Fleisch! Und man soll so ein Weib auch nicht schonend behandeln […].
    – Havlitschek zu Oskar, S. 44, 9–11

    Havlitschek ist auf den ersten Blick die grausamste aller Männerfiguren im Drama. Er hat sadistische Gewaltfantasien, möchte die kleine Ida am liebsten »abstechen« und sieht Frauen ausschließlich als Sexualobjekte. Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass sein Charakter lediglich die äußerlich vulgärste Ausprägung einer frauenfeindlichen Einstellung ist, die alle Männerfiguren des Stückes teilen. Frauen werden verdinglicht und ausschließlich unter Nützlichkeitskriterien betrachtet: Sei es, dass sie einem Mann finanzielle Sicherheit bieten (Alfred–Valerie, Erich–Valerie), für ihn arbeiten (Zauberkönig–Marianne, Alfred–Marianne) oder ihm als Ehefrau bürgerliche Legitimation garantieren (Oskar–Marianne). Der letzte Punkt äußert sich sogar noch in den sentimentalen Lügen des Zauberkönigs über seine verstorbene Frau, mit der er in Wahrheit unglücklich war.

  • Ich hab grad das Skelett arrangiert, und da hast du an die Auslag geklopft. Und da hab ich die Rouleaus heruntergelassen, weil es mir plötzlich unheimlich geworden ist.
    – Marianne zu Alfred, S. 46, 27–30

    Marianne erinnert mit dieser Bemerkung an die Umstände, unter denen sie Alfred zum ersten Mal gesehen hat. Sie weisen darauf hin, dass die Beziehung von Anfang an unter einem bedrohlichen Stern steht. Das Skelett aus der Auslage des Spielwarenladens verweist auf den Tod. Marianne gesteht, dass es ihr bei Alfreds Anblick »unheimlich« gewesen sei, sie also eine Ahnung künftiger Bedrohungen gehabt habe. Anders als das spätere Gespräch der beiden auf der Verlobungsfeier glauben macht, ist diese erste Begegnung durchaus nicht romantisch. Das Herunterlassen der Jalousien könnte symbolisieren, dass Marianne vor dieser Erkenntnis die Augen verschließt, oder umgekehrt anzeigen, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt noch instinktiv vor Alfred schützen wollte.

  • Pardon! Das war jetzt ein Fauxpas! Ein Lapsus Linguae
    – Rittmeister zu Valerie, S. 61, 25f.

    Gleich drei Mal verwendet der Rittmeister in diesen kurzen Ausrufen Fremdwörter, die seine Bildung und seine Zugehörigkeit zur Oberschicht signalisieren sollen. »Fauxpas« und vor allem »Pardon« sind dabei zwar sehr geläufig und gehören eher in den Bereich der gehobenen Umgangsformen. Der »Lapsus Linguae«, also der Versprecher, ist aber eindeutig der Bildungssprache zuzuordnen. Durch die Anhäufung solcher Begriffe in nur einer Textzeile entsteht Komik. Unmittelbar zuvor hatte der Rittmeister in Valeries Gegenwart zu Erich gesagt, er solle sich nicht von »alten Trafikantinnen« aushalten lassen – ein Schnitzer, der ihm erst auffällt, als Valerie empört »Herr Rittmeister!« sagt. Somit entlarvt er sich selbst als unsensiblen und unaufmerksamen Gesprächspartner, und seine hastig angefügten Entschuldigungen sind reine Konvention.

  • Lieber Gott, ich bin im achten Bezirk geboren und hab die Bürgerschul besucht, ich bin kein schlechter Mensch – hörst du mich?
    – Marianne im Gebet, S. 67, 27–29

    Mariannes Gebet im Stephansdom ist Ausdruck ihres unschuldigen Kinderglaubens: Wer kein schlechter Mensch ist, dem muss der »liebe Gott« doch einfach helfen. Dieser schlichte Glaube verbindet sich mit kleinbürgerlichen Moralvorstellungen, an denen sie festhält, obwohl sie selbst bereits deren Opfer geworden ist. Im achten Bezirk, der Wiener »Josefstadt«, aufgewachsen zu sein und hier die Bürgerschule besucht, also eine solide Vorbereitung auf das praktische Leben erhalten zu haben, erscheint ihr als ausreichender Beleg gegenüber Gott für ihr anständiges Wesen. Es wirkt rührend, dass sie ihm diese Fakten wie einem menschlichen Gegenüber mitteilt, doch ihr verzweifeltes Rufen am Schluss, die Frage »[H]örst du mich?«, zeigt an, dass diese Vorstellung ins Wanken gerät.

  • Wir verstehen uns alle nicht mehr, liebe Frau Valerie! Oft verstehen wir uns schon selber nicht mehr.
    – Rittmeister zu Valerie, S. 72, 13f.

    Es liegt Ironie darin, dass ausgerechnet der Rittmeister darauf hinweist, wie schwierig die Kommunikation im gesellschaftlichen Miteinander geworden ist, denn er selbst trägt mit seinem in Konvention erstarrten Sprachverhalten deutlich dazu bei. Seine Bemerkung deutet aber an, dass es eine Zeit gab, in der diese Form der Kommunikation funktioniert haben könnte. Adressat und Adressant besaßen in der K.u.K.-Zeit möglicherweise eine stumme Übereinkunft über ihr konventionelles Sprechen und waren sich daher näher als in der Gegenwart, in der gesellschaftliche Veränderungen Floskeln wie »Küss die Hand« fragwürdig machen.

  • Es ist mir nämlich zu guter Letzt scheißwurscht – und das, was ich da tu, tu ich nur wegen dem kleinen Leopold, der doch nichts dafür kann.
    – Marianne zu Oskar, Alfred und Valerie, S. 98, 16–19

    Marianne zeigt mit diesem Satz, wie sehr sie sich durch ihre Lebenserfahrung verändert hat. Während Oskar, Alfred und Valerie sich miteinander verbünden und scheinbar wohlwollend auf sie einreden, damit sie zu Oskar und in das Geschäft ihres Vaters zurückkehrt, hat Marianne die schäbigen Beweggründe der drei längst durchschaut. Anders als in der letzten Szene des ersten Teils, in der sie Oskar den Ring zurückgibt und von Freiheit spricht (vgl. Zitat Nr. 3), zeigt sie hier wirklich eine Art innerer Freiheit, wenngleich diese aus tiefer Resignation geboren ist. Sie macht den anderen klar, dass es ihr bei ihrer Entscheidung ausschließlich um ihr Kind geht, sie diese also nicht aufgrund der verlogenen Überredungskünste, sondern aus freiem Entschluss trifft. Auf eigenes Glück hofft sie dabei nicht mehr.

  • Ich bin sehr traurig. Wirklich. Ich hab jetzt grad so gedacht – so ohne Kinder hört man eigentlich auf. Man setzt sich nicht fort und stirbt aus. Schad!
    – Alfred zu Valerie, S. 102, 11–13

    Hier bildet das Drama einen seiner zahlreichen Zirkelschlüsse. Bereits in der ersten Szene in der Wachau sagt Alfred zu seiner Mutter: »Manchmal möchte ich ja schon so Kinder um mich herum haben, aber dann denk ich mir immer wieder: nein, es soll halt nicht sein« (S. 9, 17–19). Als Marianne aber schwanger wird und er damit Verantwortung tragen muss, unternimmt er alles, um sie und das Kind loszuwerden. Dem Hierlinger Ferdinand erzählt er von einem Abtreibungsversuch: »Eine kostspielige Prozedur war das […] und dann wars doch nur für die Katz! Pech muss der Mensch haben« (S. 49, 16–19). Mit dem Tod des Kindes kann er zu seiner ursprünglichen Attitüde zurückkehren und genau wie vor dessen Geburt vorgeben, betrübt über seine Kinderlosigkeit zu sein. Statt aufrichtiger Trauer über den Verlust des eigenen Kindes zeigt Alfred nur eine Art Bedauern über die Tatsache, dass er sich nun nicht »fortsetzt«. Das lapidare Wort »Schad!« zeugt von verstörender Gefühllosigkeit.

Veröffentlicht am 27. März 2023. Zuletzt aktualisiert am 27. März 2023.