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Geschichten aus dem Wiener Wald

3. Teil, Szene III–IV

Zusammenfassung

III – Und abermals in der stillen Straße im achten Bezirk

Der Rittmeister und Valerie unterhalten sich über den Abend im »Maxim«. Valerie vertraut dem Rittmeister an, dass Marianne sie um Hilfe gebeten habe, nachdem sie inzwischen vier Wochen in Untersuchungshaft verbracht hat. Sie ist überzeugt davon, dass es ihr gelingen wird, den Zauberkönig wieder mit seiner Tochter zu versöhnen.

Erich taucht auf und verabschiedet sich mit großer Geste, weil er nach Kassel zurückkehren muss. Valerie reagiert kühl und zeigt deutlich, dass Erich ihr nichts mehr bedeutet. Der Zauberkönig hingegen wird beim Abschied von seinem Verwandten sentimental.

Oskar und Alfred treten im besten Einvernehmen aus der Fleischhauerei. Sie haben eine Art Handel über Marianne abgeschlossen. Alfred versichert Oskar, dass er sich für immer von ihr fernhalten werde. Oskar will Alfred im Gegenzug wieder mit Valerie zusammenbringen. Kurz darauf gibt Valerie Alfred bereits wieder Geld.

Valerie spricht mit dem Zauberkönig über Marianne. Sie überredet ihn zur Versöhnung, da er ohne die Mitarbeit seiner Tochter die Puppenklinik nicht mehr halten könne. Dieses Argument überzeugt ihn schließlich, auch wenn er kaum Mitgefühl für seine Tochter zeigt.

Marianne erscheint. Sie war vier Wochen in Untersuchungshaft und hat dort Schlimmes erlebt, über das sie nicht näher spricht. Sie signalisiert, dass sie aus Liebe zu ihrem Sohn zu jedem Arrangement bereit ist. Ihr persönliches Glück ist ihr gleichgültig geworden.

IV – Draußen in der Wachau

Alfreds Mutter und seine Großmutter sitzen im Garten zusammen und verfassen einen Brief an Marianne. Darin teilen sie ihr mit, dass ihr Sohn nicht mehr lebt. Sie begründen seinen Tod mit einer Erkältung, auf die sie keinen Einfluss gehabt hätten.

In diesem Moment erscheint Marianne bei ihnen, gefolgt vom Zauberkönig sowie von Valerie, Alfred und Oskar. Die Großmutter gibt ihr den Brief und fordert sie zum Lesen auf. Als Marianne den Inhalt begreift, versucht sie in wilder Verzweiflung, die Großmutter zu erschlagen. Oskar verhindert es, indem er Marianne würgt.

Nach diesem Ausbruch der Brutalität bekunden Alfred und Valerie oberflächlich ihre Trauer. Alle kehren sofort wieder zu ihrem gewohnt konventionellen Verhalten zurück. Valerie will dem Kind einen Grabstein kaufen. Marianne lässt sich regungslos, wie tot, von Oskar fortziehen.

Analyse

Als Valerie dem Rittmeister anvertraut, Marianne und den Zauberkönig versöhnen zu wollen, antwortet dieser wie gewohnt mit einem Klischee, nämlich mit »Ende gut, alles gut« (S.89, 8). Das ist ein Hinweis auf das Happy End des traditionellen Volksstücks. In Wahrheit wird dieses Drama alles andere als glücklich enden.

Der Abschied von Valerie und Erich ist so unsentimental wie der Beginn ihrer kurzen Liaison. Erich zeigt nun, da er Valerie nicht mehr braucht, seine ganze Spießigkeit. Er will ihr Zigaretten aus ihrem Laden erstatten, über die er Buch geführt hat: »Hier steht es genau notiert: Soll und Haben – jede Zigarette« (S. 90, 7f.). Als sie ihm die Zigaretten mit einer gewissen Verachtung ›erlässt‹ und weggeht, flucht er ihr hinterher: »Altes fünfzigjähriges Stück Scheiße –« (S. 90, 16f.).

Das Gespräch zwischen Oskar und Alfred zeigt, in welchem Ausmaß die dargestellte Welt von Männern dominiert wird. Ihre Vereinbarung wird von ihnen als eine Art ›Ehrensache‹ unter Männern betrachtet. Beide sprechen Marianne die Verantwortung für ihre unglückliche Lage zu. Dabei wird auch der zeittypische Topos der »Femme fatale« bedient, wenn Oskar sagt: »Der Mann ist ja nur der scheinbar aktive Teil und das Weib nur der scheinbar passive – wenn man da näher hineinleuchtet –« (S. 91, 8–10), und Alfred antwortet: »Abgründe tun sich auf.« (ebd., 11)

Jeder handelt hier also mit jedem, und die Ware ist die menschliche Beziehung. Nachdem sich Oskar und Alfred über Marianne einig geworden sind, finden auch Valerie und Alfred wieder zu ihrer alten ›Geschäfts-Beziehung‹ zurück. Dabei versteht Valerie es raffiniert, sich auch noch als Fürsprecherin Mariannes gegenüber dem schwachen Alfred zu geben und von »weibliche[m] Solidaritätsgefühl« (S. 95, 5f.) zu sprechen.

Als Marianne auftritt, stecken alle längst unter einer Decke, was sie allerdings durchschaut. Ihre bitteren Erfahrungen und der Aufenthalt im Gefängnis haben sie reifer gemacht. So erscheint sie an dieser Stelle des Dramas zum ersten und einzigen Mal tatsächlich auf eine gewisse Art frei, denn sie nimmt alles in Kauf, obwohl ihr die Beweggründe von Oskar, Alfred und Valerie vollkommen klar sind. Ihr geht es aber nur um ihr Kind, und es ist ihr inzwischen gleichgültig geworden, was andere von ihr denken. (vgl. Ausführungen zu Zitat Nr. 9)

So ist es folgerichtig, dass ihr Leben jeden Sinn verliert, als sie in der letzten Szene von Leopolds Tod erfährt. Willenlos lässt sie sich von Oskar davonschleifen, während alle anderen sich wieder einmal mit konventionellen Phrasen begnügen: »Meine innigste Kondolation« (Valerie, S. 102, 4). Und wen man im Leben nicht haben wollte, dem kann man zumindest »einen schönen Grabstein setzen. Vielleicht ein betendes Englein.« (dies. ebd., 9f.)

Veröffentlicht am 27. März 2023. Zuletzt aktualisiert am 27. März 2023.