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Geschichten aus dem Wiener Wald

1. Teil

Zusammenfassung

I – Draußen in der Wachau

Alfred besucht seine Mutter und seine Großmutter auf dem Land. Sie leben am Fuß einer historischen Burgruine. Die Mutter beklagt, dass Alfred nicht öfter zu ihnen komme. Er rechtfertigt sich mit seiner zeitraubenden Arbeit im Finanzsektor. Auch heute müsse er bald aufbrechen. Sein Freund, der Hierlinger Ferdinand, werde ihn abholen. Kurz darauf taucht dieser auf. Begleitet wird er von Valerie, einer stark zurechtgemachten älteren Frau.

Die Mutter bietet eine Führung durch die Ruine an. Während sie mit dem Hierlinger Ferdinand in den Turm hinaufsteigt, bleibt Valerie unten bei Alfred. Die beiden haben offenbar eine Liaison miteinander und streiten sich heftig um Geld. Anschließend verabschiedet sich Alfred von seiner Großmutter.

II – Stille Straße im achten Bezirk

Der Metzger Oskar steht mit seinem Gehilfen Havlitschek vor seiner Fleischhauerei. Neben seinem Laden befinden sich eine Puppenklinik und eine Tabak-Trafik. Havlitschek macht der kleinen Ida Angst, weil sie sich über die schlechte Qualität der Blutwurst beschwert. Ida rennt davon. Der Rittmeister flaniert vorbei und lobt überschwänglich Oskars Blutwurst. Anschließend unterhält er sich mit Valerie, der Inhaberin des Tabakgeschäfts.

Marianne begleitet eine Kundin eifrig zur Puppenklinik hinaus und versichert ihr, eine Bestellung für sie rechtzeitig aufzugeben. Der Rittmeister beobachtet die Szene und lobt ihren Fleiß, nachdem die Kundin die Szene verlassen hat. Vom über dem Laden liegenden Balkon aus hingegen beschimpft sie ihr Vater, der Zauberkönig, und stellt sie als faul und nutzlos hin.

Oskar nähert sich Marianne und will sie küssen. Er spricht über ihre geplante Verlobungsfeier, auf die er sich anscheinend schon sehr freut. Marianne reagiert verhalten und zieht sich in den Laden zurück. Von hier aus sieht sie Alfred, der auf dem Weg zu Valerie ist. Er schaut durch das Schaufenster zu ihr hinein. Beide sind fasziniert voneinander. Die Blicke des attraktiven Mannes verwirren Marianne.

III – Am nächsten Sonntag im Wiener Wald

Die Verlobungsfeier von Marianne und Oskar findet am Donauufer im Kreis von Familie und Freunden statt. Unter den Gästen sind auch Alfred, Valerie und Erich, ein entfernter Verwandter aus dem preußischen Kassel. Der Zauberkönig macht ein Gruppenfoto. Anschließend hält er eine Rede auf das Verlobungspaar. Die kleine Ida trägt ein Gedicht vor. Valerie und Alfred sind inzwischen getrennt und werfen sich Bosheiten an den Kopf.

Die Festgesellschaft beschließt, in der Donau zu baden. Der Zauberkönig beobachtet, wie Valerie sich auszieht. Unter Frivolitäten kommt er ihr näher. Die beiden werden von Erich gestört, der mit einem Luftgewehr herumspielt. Auch Erich macht Valerie Avancen und ist dabei erfolgreicher als der Zauberkönig.

IV – An der schönen blauen Donau

Zwischen Alfred und Marianne kommt es zu einer scheinbar romantischen Annäherung. Die beiden werden vom wütenden Zauberkönig überrascht. Auch Oskar taucht auf und erkennt die Situation. Marianne wirft ihm den Verlobungsring ins Gesicht. Die Feier endet im Eklat; der Zauberkönig sagt sich von seiner Tochter los. Marianne fühlt sich befreit und glaubt, mit Alfred die große Liebe gefunden zu haben. Als die Festgesellschaft sich aufgelöst hat, treffen sich die beiden am Ufer der Donau wieder. Marianne sagt Alfred, dass sie ein Kind von ihm haben möchte.

Analyse

Die erste Szene des ersten Teils ist »Draußen in der Wachau« situiert und ruft mit der schönen Landschaft und dem Blick auf eine Burgruine romantische Vorstellungen einer ländlichen Idylle hervor. Als Inbegriff des Wiener Heurigen-Klischees evoziert allein der Begriff »Wachau« Bilder weinseliger Zusammenkünfte in traumhafter Umgebung, was durch die zeitliche Ansiedlung im Frühling noch unterstrichen wird. Auch die musikalischen Anspielungen (vgl. Prüfungsaufgaben Nr. 10) tragen zu diesem idyllischen Bild bei.

Das in diesem scheinbar so harmonischen Umfeld agierende Personal steht mit seinem Verhalten in krassem Gegensatz zu der heiter-lieblichen Raum- und Zeitkonstellation und den musikalischen Zitaten. Während Alfred Essen in sich hineinschlingt und betont, dass er nicht lange bleiben könne, sondern »vor lauter Krise und Wirbel« (S. 7, 23) ständig arbeiten müsse (»Finanzierungsgeschäfte und so«, S. 8, 20f.), streiten Mutter und Großmutter.

Wenig später kommt es auch zu einer spitzzüngigen Auseinandersetzung zwischen Valerie und Alfred, in der es um Geld geht. Die Mittfünfzigerin ist Alfreds Geliebte und lässt ihm regelmäßig Finanzspritzen zukommen. Nachdem Alfred ihr einen größeren Gewinn beim Pferderennen verheimlicht hat, verlangt sie nun Quittungen für ihre Zuwendungen. Die ganze Beziehung besteht aus Berechnung und gegenseitigem Misstrauen, was Alfred gar nicht verhehlt, sondern sogar ganz selbstverständlich rechtfertigt: »[E]ine rein menschliche Beziehung wird erst dann echt, wenn man was voneinander hat. Alles andere ist larifari.« (S. 12, 3–5)

Auch in der zweiten Szene, die sich in einer Straße im kleinbürgerlichen achten Bezirk – einem ehemaligen Vorstadtviertel – abspielt, zeigen die handelnden Figuren nichts als Bosheit. Oskar und sein Metzgergehilfe Havlitschek haben ihren brutalen Spaß daran, die kleine Ida zu ängstigen, weil sie ihre Blutwurst kritisiert. Dem Rittmeister hingegen schmeicheln sie voller Falschheit, weil er dieselbe Blutwurst »First class!« (S. 14, 34) nennt: »Herr Rittmeister sind halt ein Kenner. Ein Gourmand. Ein Weltmann.« (S. 15, 6f.) Dass sich Weltläufigkeit ausgerechnet in der Beurteilung einer Blutwurst zeigen soll, entlarvt die Dummheit des Sprechers ebenso wie seine Verwechslung der Worte »Gourmand« und »Gourmet«.

Als Marianne eine Kundin hinausbegleitet, offenbart auch diese ihre Ignoranz, indem sie über Kriegsspielzeug spricht, als handele es sich um Teddybären: »[D]rei Schachteln Schwerverwundete und zwei Schachteln Fallende – auch Kavallerie bitte, nicht nur Infanterie – und dass ich sie nur übermorgen im Haus hab, sonst weint der Bubi. Er hat nämlich am Freitag Geburtstag.« (S. 17, 7–11) Das verwöhnte Kind und seine Wünsche stehen im makabren Kontrast zu den realen Schrecken des Ersten Weltkrieges, der nur rund ein Jahrzehnt zurückliegt und in dem Tausende junger Soldaten einen sinnlosen Tod starben. Über diesen Krieg sagt der Rittmeister kurz vorher, wenn er »vierzehn Tag länger gedauert hätt, dann hätt ich heute meine Majorspension« (S. 16. 27f.).

Brutalität und Dummheit zeigen sich auch in der Art, wie der Zauberkönig mit seiner Tochter umgeht. Er spricht mit ihr im Kommandoton, schreit sie an und hält es für selbstverständlich, dass sie ihm bei jeder Kleinigkeit zur Hand geht. Auch ihr zukünftiger Ehemann Oskar verhält sich ihr gegenüber kaum anders. Seine Rohheit leugnet er jedoch (»Du weißt, dass ich ein religiöser Mensch bin und dass ich es ernst nehme mit den christlichen Grundsätzen!«, S. 20, 18–20) und versucht, Marianne mit Geschenken für sich einzunehmen (»Darf ich dir diese Bonbons […], die im Goldpapier sind mit Likör«, S. 21, 5f.). Der Zauberkönig gönnt seiner Tochter nicht einmal diese Gaben, hält sie für übertrieben und macht Oskar seine eigenen reaktionären Eheprinzipien klar: »Nur niemals die Autorität verlieren! Abstand wahren! Patriarchat, kein Matriarchat! Kopf hoch! Daumen runter!« (S. 21, 26–28).

Vor diesem Hintergrund ist es nur allzu erklärlich, dass Marianne Alfreds simplen Verführungskünsten erliegt. Seine Blicke signalisieren ihr, dass er sie wahrnimmt. So steht die wenig später stattfindende Verlobung von Oskar und Marianne schon unter den Vorzeichen ihrer baldigen Wiederauflösung.

Doch zuvor nimmt die Feier im Wiener Wald ihren Lauf und spielt erneut mit allen Klischees von Wiener Gemütlichkeit und Walzerseligkeit, nur um diese durch das tatsächliche Verhalten der Figuren zu konterkarieren. Das Gruppenfoto der Festgesellschaft vereint Familienangehörige und Freunde in scheinbarer Harmonie; vor allem die Kinder, die »so herzig« (S. 24, 13) sind, werden immer wieder hervorgehoben. Oskar »gruppiert die Kinder und küsst die Kleinste« (Regieanweisung S. 24, 14f.) – derselbe Oskar, der noch vor Kurzem gelächelt hat, als sein Gehilfe Havlitschek die kleine Ida »am liebsten […] abstechen« (S. 14, 21) wollte.

Da Marianne neben der kleinen Ida die einzige unschuldige Figur im Drama ist, öffnet sie sich im Gespräch schnell gegenüber Alfred, angetan von vermeintlich tiefsinnigen Bemerkungen wie: »Ich meine, dass das halt alles Naturgesetze sind. Und Schicksal« (S. 26, 29f.) oder »Was haben wir aus unserer Natur gemacht? Eine Zwangsjacke. Keiner darf, wie er will.« (S. 37, 13f.) Was wie eine philosophische Betrachtung klingt, ist lediglich der Versuch, Marianne körperlich näherzukommen. Doch sie verklärt Alfred zum Seelenverwandten: »Ich bin nur froh, dass du nicht dumm bist – ich bin nämlich von lauter dummen Menschen umgeben« (ebd., 27f.), »[…] dich hat mir der Himmel gesandt, mein Schutzengel« (S. 39, 5f.). Bereits im ersten Austausch mit ihm sagt sie: »Von dir möcht ich ein Kind haben« (S. 41, 6) – Ausdruck grenzenloser Naivität und zugleich rührender Arglosigkeit und Hingabe. Dieser Satz ist der letzte des ersten Teils und weist auf die kommende Katastrophe voraus.

Veröffentlicht am 27. März 2023. Zuletzt aktualisiert am 27. März 2023.