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Geschichten aus dem Wiener Wald

2. Teil, Szene V–VII

Zusammenfassung

V – Draußen in der Wachau

Alfred hält sich bei seiner Mutter auf, zu der er den Säugling gebracht hat. Er gibt vor, dass es ihm dabei um die Gesundheit des Kindes gehe. Die Mutter scheint recht erfreut zu sein, auf den Kleinen aufpassen zu können. Zugleich äußert sie sich besorgt über Alfreds familiäre Situation und wünscht sich noch immer, dass er heiratet.

Als die Mutter kurz weggeht, bittet Alfred seine bösartige Großmutter um Geld. Diese weigert sich zunächst und macht abwertende Bemerkungen über Marianne. Solange er mit ihr zusammenlebe, wolle sie ihn finanziell nicht mehr unterstützen. Schließlich ist sie aber doch bereit, Alfred Geld zu geben. Sie macht dafür allerdings zur Bedingung, dass er sich von Marianne trennt. Außerdem empfiehlt sie ihm, sich nach Frankreich abzusetzen. Um das Kind, über das sie vollkommen emotionslos spricht, solle er sich in der Zwischenzeit keine Sorgen machen.

VI – Und wieder in der stillen Straße im achten Bezirk

Oskar steht vor der Tür seiner Metzgerei und plaudert mit dem vorbeigehenden Rittmeister, der wieder einmal seine Blutwurst lobt. Dieselbe Kundin, mit der Marianne in der zweiten Szene gesprochen hat, verlässt die Puppenklinik, diesmal in Begleitung des Zauberkönigs. Im Unterschied zu seiner Tochter zeigt dieser sich gegenüber der Kundin unwirsch und nachlässig. Er hat keine Lust, etwas für sie nachzubestellen, worauf sie verärgert den Laden verlässt.

Valerie und Erich treten hinzu. Mit dem Rittmeister führen sie einen scheinbar höflichen Small Talk voller versteckter Bosheit. Der Rittmeister weist Erich zurecht, weil er aufgrund seiner Jugend nicht am Ersten Weltkrieg teilgenommen hat. Dieser fühlt sich beleidigt. Es kommt zum Streit; Valerie fürchtet sogar, Erich könne den Rittmeister zum Duell fordern. Doch er verlässt lediglich entrüstet die Szene. Der Rittmeister bestellt anschließend Schweinenieren bei Oskar.

Alfred erscheint, und als er mit Valerie allein ist, erzählt er ihr von seinen Plänen, nach Frankreich zu gehen. Er will sie offenbar zurückerobern, um an Geld zu kommen. Valerie genießt ihren Triumph und bleibt ihm gegenüber auf Distanz. Anschließend berichtet sie Oskar, dass Alfred sich von Marianne trennen will. Oskar schöpft neue Hoffnung auf die Eheschließung mit Marianne.

VII – Im Stephansdom

Marianne hat gerade die Beichte abgelegt. Die Szene beginnt damit, dass ihr Beichtvater das Gehörte rekapituliert. Es geht um das Zusammenleben mit Alfred als unverheiratetes Paar und um das uneheliche, ungetaufte Kind. Der Beichtvater findet nur harte Worte für die Situation und verurteilt Marianne scharf. Diese ist bereit, vieles zu bereuen – nicht aber den Umstand, dass sie ihren Sohn zur Welt gebracht hat und ihn liebt. Sie sagt sogar, dass sie sehr glücklich sei, das Kind zu haben.

Daraufhin verweigert der Beichtvater ihr die Absolution. Er lässt Marianne allein zurück, die den Beichtstuhl verlässt und sich mit einem verzweifelten Gebet an Gott wendet.

Analyse

Mit der fünften Szene des zweiten Teils begibt sich die Handlung erneut in die Wachau zu Alfreds Mutter und Großmutter. Das Verhalten der beiden Frauen gegenüber dem Säugling, den Alfred inzwischen bei ihnen untergebracht hat, nimmt schon ihre späteren Aktionen voraus. Alfreds Mutter sagt: »Er sieht dir sehr ähnlich, der kleine Leopold – und er schreit auch nicht viel. Auch du warst so ein sanftes Kind.« (S. 56, 5–7) Sie scheint also Gefallen an dem Kind zu finden und geht zumindest nicht schlecht mit ihm um. Die Bemerkung, dass auch Alfred als Kind »sanft« war, ist ein Hinweis darauf, dass sein späteres Verhalten weniger auf schwerer Grausamkeit – wie etwa bei Havlitschek –, als auf Schwäche basiert. Darin gleicht er seiner Mutter.

Die Großmutter hingegen erwähnt Leopold gar nicht, sondern verlangt von Alfred, sich von Marianne zu trennen und nach Frankreich abzusetzen. Sollte er darauf eingehen, wäre sie bereit, ihm Geld zu geben. Auf Alfreds Frage: »Und das dort?« (S. 56, 33) – er meint das Kind – antwortet sie nur: »An das denk jetzt nicht. Fahr nur mal fort« (S. 56, 34f.). Später wird sie es sein, die das Kind bewusst vernachlässigt, bis es stirbt. Ihre Tochter wird nichts dagegen unternehmen, sondern es passiv und widerstandslos hinnehmen.

Gemäß der Rondoform des Dramas und der Darstellung des ständig gleichbleibenden gesellschaftlichen Mit- und Gegeneinanders führt die sechste Szene im Anschluss zum zweiten Mal in die »stille Straße im achten Bezirk«. Obwohl im Rahmen der Dramenhandlung seit der ersten Szene, die hier gespielt hat, mittlerweile mehr als ein Jahr vergangen ist, treffen dieselben Personen aufeinander wie zu Beginn und zeigen das exakt gleiche Auftreten.

Ihr Tagesablauf, ihre Rituale und ihr gestörtes Gesprächsverhalten haben sich nicht verändert. Der Rittmeister lobt wieder einmal Oskars Blutwurst (»Ein Gedicht!«, S. 59, 17), Valerie streitet mit einem jungen Liebhaber, der diesmal nicht Alfred, sondern Erich heißt, und Havlitschek möchte eine Sau abstechen. Noch während ihm Oskar antwortet: »Nein, Havlitschek. Ich werd sie jetzt schon selbst abstechen, die Sau« (S. 65, 4f.), beginnen laut Regieanweisung die Glocken zu läuten.

Drastischer könnte kaum deutlich gemacht werden, dass mit dem Glockengeläut nichts Freundliches oder Hoffnungsvolles verbunden ist. Dieser akustische Hintergrund bildet den Übergang zur nächsten Szene im Stephansdom. Der Beichtvater rekapituliert, was Marianne ihm offensichtlich soeben gebeichtet hat. Dabei zeigt er keinerlei Empathie, sondern tritt ausschließlich als Repräsentant kleinbürgerlicher Moralvorstellungen, nicht aber christlicher Werte auf.

Während er Mariannes Verhalten mit den Substantiven »Fleischeslust« (S. 65, 18), »Todsünde« (S. 65, 22) und »Schande« (S. 65, 25) belegt, findet er für den Zauberkönig nur gute Worte: »[D]ein[..] arme[r] alte[r] Vater, der dich über alles liebt und der doch immer nur dein Bestes wollte« (S. 65, 13f.).

Dass Marianne glücklich über ihr Kind ist, obwohl es unehelich geboren ist, betrachtet er als fehlende Reue. Er verurteilt Marianne, weil sie angeblich nur zum »Herrgott« komme, wenn es ihr schlecht gehe, worauf sie die bemerkenswerte Antwort gibt: »Wenn es mir gut geht, dann ist Er ja bei mir« (S. 67, 10). Der Priester verweigert ihr schließlich die Absolution aufgrund ihrer Liebe zu ihrem Kind. Er lässt sie allein mit ihrer Verzweiflung, und der zweite Teil endet mit Mariannes flehentlichen Fragen im Gebet: »[H]örst du mich? – Was hast du mit mir vor, lieber Gott?« (S. 67, 29f.). (Zur Interpretation dieser Sätze vgl. Zitat Nr. 7)

Veröffentlicht am 27. März 2023. Zuletzt aktualisiert am 27. März 2023.