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Geschichten aus dem Wiener Wald

2. Teil, Szene I–IV

Zusammenfassung

I – [Anmerkung: Ohne Titel, die Ortsangabe wird hier erst im Text gemacht]

Vor der Fleischhauerei im achten Bezirk spricht Havlitschek mit einer jungen Frau namens Emma. Er berichtet ihr, dass Oskar sehr niedergeschlagen sei, weil sich seine Braut vor einem Jahr von ihm getrennt habe. Während Emma diesen anhaltenden Liebeskummer romantisch findet, hat Havlitschek dafür keinerlei Verständnis. Gegen Ende des Gesprächs verabredet er sich mit Emma in ausschließlich sexueller Absicht.

Nachdem sie fortgegangen ist, macht er eine abwertende Bemerkung über sie. Oskar tritt hinzu und Havlitschek versucht, ihn mit frauenverachtenden Sprüchen aufzuheitern und davon zu überzeugen, dass er Marianne vergessen solle.

II – Möbliertes Zimmer im achtzehnten Bezirk

Marianne und Alfred leben mit ihrem neugeborenen Sohn in einer tristen, heruntergekommenen Wohnung. Sie sprechen über die Wirtschaftskrise und ihre finanzielle Situation. Alfred verdient nicht genug als Vertreter und macht Marianne für die schwierige Lage verantwortlich, in der sie sich befinden. Er will sie überreden, ihr gemeinsames Kind zu seiner Mutter zu geben. Sie wehrt sich dagegen. Zugleich spricht sie über ihre Angst vor der Zukunft.

III – Kleines Café im zweiten Bezirk

Alfred trifft sich mit dem Hierlinger Ferdinand. Er erzählt ihm von Marianne, die sein Freund bisher noch nicht kennengelernt hat. Der Hierlinger Ferdinand äußert fröhliches Erstaunen darüber, dass Alfred so solide geworden ist und nun eine feste Beziehung führt. Doch Alfred vertraut ihm an, er empfinde für Marianne nach einer kurzen Phase sexueller Anziehung jetzt nur noch Mitleid. Das Kind habe er nie gewollt. Er habe Marianne sogar zu einem Abtreibungsversuch gedrängt.

Marianne taucht im Café auf und wartet in einiger Entfernung auf Alfred. Dieser fragt seinen Freund unterdessen, wie er sich möglichst bequem aus der Beziehung lösen könne. Der Hierlinger Ferdinand rät ihm, Marianne zur Lohnarbeit zu bewegen. So würde sich die Verbindung früher oder später ganz von allein auflösen. Er will Alfred bei diesem Plan unterstützen und dafür seine Kontakte spielen lassen.

IV – Bei der Baronin mit den internationalen Verbindungen

Der Hierlinger Ferdinand bringt Marianne in das Haus einer Baronin, die ein Nachtlokal betreibt. In diesem Etablissement soll Marianne als Tänzerin auftreten. Während die beiden auf die Baronin warten, unterhalten sie sich mit deren blinder Schwester Helene. Helene liest Marianne aus der Hand. Sie prophezeit ihr, dass sie noch viel Freude an ihrem Sohn haben werde.

Die Baronin erscheint und weist ihre Schwester rüde zurecht, weil dieser aufgrund ihrer Blindheit ein Missgeschick passiert ist. Dann hört sie sich vom Hierlinger Ferdinand an, worum es geht, und will wissen, ob Marianne auch singen könne. Marianne singt das »Lied von der Wachau«. Helene begleitet sie dabei am Klavier.

Analyse

Während der erste Teil des Dramas zwar die Brutalität und Ignoranz der handelnden Figuren in den Mittelpunkt stellt, mit Marianne aber auch eine unschuldige Akteurin einführt, die von ihrer Hoffnung auf ein schöneres Leben geleitet wird, dreht sich im zweiten Teil alles um die Zerstörung dieser Hoffnung.

Die erste Szene des zweiten Teils bereitet das Publikum indirekt auf die trostlose Szenerie in Alfreds und Mariannes Wohnung vor. Sie nimmt mit Havlitscheks sexistischem Verhalten gegenüber Emma und seinen an Oskar gerichteten Worten: »Und man soll so ein Weib auch nicht schonend behandeln, das ist ein Versäumnis« (S. 44, 10–12) schon das Schicksal Mariannes voraus.

Auch sie wird von Alfred nicht »schonend« behandelt, wie die zweite Szene zeigt. Stattdessen benutzt er sie genau wie vormals ihr Vater als billige Arbeitskraft. Wie dieser lässt er sie nach seinen Sockenhaltern suchen, was von ihr sogar kommentiert wird: »Nein, genau wie Papa –« (S. 46, 3). Darauf antwortet er abwertend: »Vergleich mich nicht immer mit dem alten Trottel!« und bemerkt nicht, wie ähnlich er diesem »Trottel« tatsächlich ist.

Der Kinderwagen und die zum Trocknen aufgehängten Windeln als Requisiten machen deutlich, dass seit der Handlung des ersten Teils geraume Zeit vergangen sein muss und das Kind von Marianne und Alfred inzwischen auf der Welt ist. Die Beziehung der beiden hat sich radikal verändert.

Marianne versucht trotz ihrer prekären Situation, die alte ›Romantik‹ in die neue Situation hinüberzuretten, indem sie Alfred an ihren Jahrestag und an seine Worte bei ihrem Kennenlernen erinnert: »Du hast mal gesagt, dass ich dich erhöh – in seelischer Hinsicht –« (S. 47, 23f.). Alfred leugnet es: »Das hab ich nie gesagt. Das kann ich gar nicht gesagt haben. Und wenn, dann hab ich mich getäuscht.« (ebd., 25f.) Zunächst lügt er, um anschließend in einem relativierenden Nachsatz sein leichtfertiges Wesen zu offenbaren. »Unaufrichtigkeit, Lügen, Lügenreflexe sind für das Stück von Beginn an kennzeichnend«, stellt Jürgen Wertheimer fest (Jürgen Wertheimer, Horváth lesen lernen. ›Geschichten aus dem Wiener Wald‹ im Unterricht, zitiert nach Krischke/Geschichten).

Mit der dritten und vierten Szene wird Mariannes Los endgültig besiegelt. Nicht sie selbst ist es, die entscheidet, wie es für sie und ihr Kind weitergehen soll. Andere Personen, die von Alfred ins Vertrauen gezogen worden sind, bestimmen über ihr zukünftiges Schicksal, ohne sie überhaupt zu kennen.

Veröffentlicht am 27. März 2023. Zuletzt aktualisiert am 27. März 2023.