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Die Verwandlung

Kapitel I

Zusammenfassung

Die Erzählung beginnt mit Gregors Erwachen nach turbulenten Träumen. Er ist in einen riesigen Käfer verwandelt. Schnell wird klar, dass es sich um keinen Traum, sondern die Realität handelt. Allerdings bleibt Gregor doch noch die vage Hoffnung, dass sich die Situation, wenn er sich nur ordentlich ausschliefe, irgendwie von selbst lösen würde. Dies ist allerdings nicht möglich, weil Gregor nur auf der Seite schlafen kann, als Käfer aber auf dem Rücken liegt.

Genau dies macht es ihm auch unmöglich, einfach aufzustehen. Einen nicht unerheblichen Teil des Kapitels verbringt Gregor tatsächlich mit dem Versuch, aufzustehen. An dieser Stelle fühlt er auch das erste Mal merkwürdige, zuvor nicht gekannte Schmerzen.

Weil Gregor verschlafen hat, wollen sich die übrigen Familienmitglieder erkundigen, was mit ihm los sei. Zu Anfang gelingt es Gregor sogar noch, zu antworten, allerdings verliert er mit der Zeit seine Sprachfähigkeit. Er vertiert zunehmend.

Die Familie drängt ihn immer verzweifelter aufzustehen und die Tür zu öffnen. Gregor aber ist immer noch damit beschäftigt, überhaupt aufzustehen. Nebenbei erfahren die Leser:innen, dass Gregor mit seinem Beruf hoch unglücklich ist, ihn aber ergreifen musste, um die Schulden des Vaters zu bezahlen.

Schließlich kommt Gregors Vorgesetzter, der Prokurist, und will Gregor mit Drohungen aus dem Zimmer treiben. Tatsächlich ist er damit insofern erfolgreich, dass es Gregor unter größter Anstrengung gelingt, das Schloss zu öffnen und der Familie wie dem Prokuristen entgegenzukrabbeln. Der Prokurist ergreift die Flucht. Selbstredend ist auch die Familie schockiert und weiß sich nicht zu helfen. Gregor versucht zu sprechen, hat aber seine Sprachfähigkeit eingebüßt. Schließlich ergreift der Vater einen Stock und will damit auf Gregor losgehen. Gregor will zurück ins Zimmer fliehen, bleibt aber in der Tür stecken. Daraufhin stößt ihn der Vater in das Zimmer hinein, wo Gregor, blutend, das Bewusstsein verliert.

Analyse

Bezeichnend ist, dass die Verwandlung in ein »ungeheure[s] Ungeziefer« (115) zu Beginn der Erzählung bereits abgeschlossen ist. Nach dem ersten Satz wird die körperliche Beschaffenheit Gregors im Detail geschildert, allerdings verschwimmen hier traumartige und realistische Schilderungen. Das semantische Feld des Traumes wird auch dadurch aufgerufen, dass es zu Beginn heißt: »Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte (...).« (ebd.). Und wieder aufgerufen wird dieses semantische Feld durch den fünften Satz der Erzählung: »Es war kein Traum« (ebd.). Der fünfte Satz fängt die vom ersten Satz evozierte Ambivalenz ein. Dadurch, dass der Satz so ungemein apodiktisch ist, wirkt er geradezu brutal und verstörend.

Im Anschluss wird das Zimmer von Gregor in seinen Einzelheiten beschrieben. Hier fällt vor allem das Bild auf, das an der Wand hängt. »[D]as Bild [...] stellte eine Dame dar, die, mit einem Pelzhut und einer Pelzboa versehen, aufrecht dasaß und einen schweren Pelzmuff, in dem ihr ganzer Unterarm verschwunden war, dem Beschauer entgegenhob« (115 f.). Detlef Kremer verweist auf die explizit sexuellen Anspielungen dieser Schilderung, die sich insbesondere bei Gregors späterem Versuch, das Bild zu retten, zu bewahrheiten scheinen (vgl. Kremer 1998, S. 99 f.). Interessant ist ferner, dass die Frau ausgerechnet Pelz trägt, also das Haarkleid eines Tieres. Damit spiegelt die Frau, die gewissermaßen in einer Verwandlung zum Tier begriffen ist, Gregors Verwandlung, die bereits, zumindest auf der Aussenseite abgeschlossen ist.

Ebenfalls sexuelle Anklänge finden sich in der nächsten Passage: »Er fühlte ein leichtes Jucken oben auf dem Bauch; schob sich auf dem Rücken langsam näher zum Bettpfosten, um den Kopf besser heben zu können; fand die juckende Stelle, die mit lauter kleinen weißen Pünktchen besetzt war, die er nicht zu beurteilen verstand; und wollte mit einem Bein die Stelle betasten, zog es aber gleich zurück, denn bei der Berührung umwehten ihn Kälteschauer« (116 f.). In der Umsetzung des Stoffes als Graphic Novel von Corbeyran und Horne (2010) sind diese Pünktchen mehr oder weniger explizit als Ejakulat dargestellt.

Im weiteren Verlauf (117 ff.) wird aus Gregors Perspektive seine Sicht auf seine berufliche Situation geschildert. Der Beruf ist fordernd und bietet keinerlei Ausgleich für seine Härte. Aus seinem Beruf kann Gregor kein positives Selbstbild ziehen. Außerdem empfindet er sich als von seinen Vorgesetzten unterdrückt, wobei sich das nicht nur auf den Chef, sondern auch auf seinen unmittelbaren Vorgesetzten, den Prokuristen, bezieht. An dieser Stelle wird auch klar, warum Gregor diesem Beruf nachgeht: wegen der Schulden des Vaters ist er in Abhängigkeit. Damit befindet sich Gregor in Schuldknechtschaft.

Als die Familie auf Gregors Verbleib in Bett und Zimmer aufmerksam wird, drängen sie ihn dazu aufzustehen. Der Raum weist drei Türen auf und an jeder Tür steht ein Familienmitglied und versucht, ihn zu überreden. Dabei zeigen alle drei bereits typisches Verhalten. Die Stimme der Mutter ist »sanft« (119), der Vater klopft »schwach, aber mit der Faust« (120), was latente Gewalttätigkeit verrät, und nur die Schwester fragt tatsächlich nach, ob Gregor etwas benötige und beweist damit die meiste Verbundenheit mit ihm (ebd.).

Zu diesem Zeitpunkt ist Gregor noch in der Lage, allen in menschlicher Sprache zu antworten, ein Vermögen, das er zusehends verliert und gegen Ende des Kapitels vollkommen verloren haben wird. Vorerst lassen sich die Familienmitglieder von Gregors Antworten beruhigen und er versucht, in Ruhe aufzustehen, was sich schwierig gestaltet. Die Schilderungen der Versuche Gregors, das Bett zu verlassen, sind durch und durch komödiantisch. Genau dadurch gewinnt »Die Verwandlung« eine weitere Ebene hinzu. So drastisch und bedrohlich das Geschilderte auch ist, immer wieder lockern groteske und humoreske Elemente die Geschichte auf. Vor allem aber ist es lustig, dass Gregor, der immerhin in einen Käfer verwandelt ist, in erster Linie daran denkt, doch noch irgendwie pünktlich zur Arbeit zu kommen – was nicht unbedingt der naheliegendste Gedanke ist. Gleichzeitig wird der Humor wieder ins Grausame verkehrt, weil es viel (und sehr schreckliches) über Gregors Arbeit verrät, dass er trotz der absoluten Unpässlichkeit, der er unterliegt, keinen anderen Gedanken hat, als ihr nachzugehen.

Schließlich werden Gregors schlimmste Befürchtungen wahr und der Prokurist erscheint. Der Prokurist ist sein unmittelbarer Vorgesetzter. Er versucht mit allem Zwang seiner Autorität Gregor dazu zu bringen, die Tür zu öffnen. Gregor kann dieser Autorität nichts entgegensetzen und folgt dem Befehl. Dazu passt auch, wie er auf die Ankunft des Prokuristen reagiert. »Schon war er so weit, daß er bei stärkerem Schaukeln kaum das Gleichgewicht noch erhielt, und sehr bald mußte er sich endgültig entscheiden, denn es war in fünf Minuten einviertel acht, – als es an der Wohnungstür läutete. Das ist jemand aus dem Geschäft, sagte er sich und erstarrte fast, während seine Beinchen nur desto eiliger tanzten« (124). Zunächst sei hier auf die Angabe der Uhrzeit hingewiesen. Auf den ersten Seiten der Erzählung wird immer wieder die Uhrzeit genannt, womit nicht nur das Geschehen strukturiert wird, sondern auch eine Art Countdown eingeführt wird. Der Text gibt so zu verstehen, dass etwas passieren wird. Der Gedankenstrich direkt hinter der Zeitangabe einviertel Acht, also Viertel nach Sieben, ist dann auch genau dieses einbrechende Ereignis: An der Tür klingelt es und Gregor erstarrt. Dass Gregor beim Klingeln erstarrt, erinnert nicht umsonst an die Pawlowschen Hunde, auch Gregor ist ein konditioniertes Tier. Interessant ist hier, dass diese tierische Seite Gregors mit seiner Verwandlung in ein Insekt gar nichts zu tun hat. Gregor, so lässt sich diese Passage verstehen, war schon ein Tier, bevor er auch äußerlich zum Tier geworden ist. Wie existenziell bedrohlich die Situation für Gregor ist, wird daran deutlich, dass er erstarrt, seine Beine aber zittern. Dies ist die typische Fight-or-Flight-Situation, die sich nur in Momenten akuter Lebensgefahr einstellt. Auch darin ist Gregor also zurückgeworfen auf einen unmenschlichen Status.

Der Prokurist wird allein durch sein Verhalten als unangenehmer Mensch porträtiert. So versucht er etwa, die Familie Samsa gegen Gregor aufzubringen: »Nun aber sehe ich hier Ihren unbegreiflichen Starrsinn und verliere ganz und gar jede Lust, mich auch nur im geringsten für Sie einzusetzen. Und ihre Stellung ist durchaus nicht die festeste. Ich hatte ursprünglich die Absicht, Ihnen das alles unter vier Augen zu sagen, aber da Sie mich hier nutzlos meine Zeit versäumen lassen, weiß ich nicht, warum es nicht auch Ihre Herren Eltern erfahren sollen. Ihre Leistungen in der letzten Zeit waren also sehr unbefriedigend; es ist zwar nicht die Jahreszeit, um besondere Geschäfte zu machen, das erkennen wir an; aber eine Jahreszeit, um keine Geschäfte zu machen, gibt es überhaupt nicht, Herr Samsa, darf es nicht geben« (129).

Diese Ansprache des Prokuristen betrifft Gregor so stark, dass er alle Zurückhaltung verliert und eine sehr lange, hastige Antwort gibt. Leider ist diese Antwort schon nicht mehr für Menschen verständlich. Es lässt sich also sagen, dass der Prokurist Gregor mithilfe seiner Ansprache entmündigt hat. Gregor ist nicht mehr in der Lage zu antworten oder sich zu verantworten, und damit ist er aus den Reihen mündiger Erwachsener ausgeschieden und vollends auf die Seite der Tiere gewechselt.

Allerdings ist ihm das noch nicht klar, denn er versucht, die Tür zu öffnen, was sich als schwierig herausstellt. Auch diese Szene ist als komisch zu bezeichnen und erinnert an den Slapstick alter Schwarzweißfilme. Schließlich aber schafft er es, sich zu befreien und steht vor Familie und Prokurist. Auffallend ist, dass Gregor nun einen langen Monolog hält (135 ff.), der freilich von niemandem verstanden wird: »Aber der Prokurist hatte sich schon bei den ersten Worten Gregors abgewendet, und nur über die zuckende Schulter hinweg sah er mit aufgeworfenen Lippen nach Gregor zurück« (137). Er flieht.

Nun ergreift der Vater das Heft des Handelns. War bereits der erste Auftritt des Vaters in der Erzählung mit Gewalt, wenngleich noch gedämpfter, verknüpft, so ergreift der Vater nun vollends dieses Register und geht mit einem Stock auf Gregor los. Am Ende des Kapitels steht Gregors erste körperliche Verletzung. Beim Ausbruch des Vaters ist vor allem die Formulierung von Bedeutung: »[E]s klang schon hinter Gregor gar nicht mehr wie die Stimme bloß eines einzigen Vaters« (141 f.). Das Wort des Vaters wächst über den individuellen Vater hinaus, es ist der Vater der Lacan’schen Psychoanalyse, der hier spricht und sein Wort ist das Nom-de-père, das Gesetz des Vaters (vgl. Lacan 2006).

Veröffentlicht am 13. Januar 2023. Zuletzt aktualisiert am 13. Januar 2023.