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Die Marquise von O…

Rezeption und Kritik

Die zeitgenössische Aufnahme war vernichtend. Die Novelle wurde als unsittlich bezeichnet, ohne ein Erröten sei die Lektüre nicht möglich (Grathoff 77). Der Kritiker Karl August Böttiger bezeichnete Kleists Stil als »undeutsch, steif, verschroben« (Doering 107).

Auch ein solches Urteil bewahrte Kleist freilich nicht davor, durch die Nationalsozialisten vereinnahmt zu werden. So erschien 1933 eine Notiz in der Zeitschrift  »Deutsche Kultur-Wacht«, die Kleists »Die Marquise von O…« gegen erotisierende Interpretationen verwahrte (Wulf 343). »Die Marquise von O…«  sei »eine der keuschesten Dichtungen unserer Literatur« (Wulf 343).

Im neunzehnten Jahrhundert jedoch war Kleist ein wenig beachteter Dichter, der, abgesehen von vereinzelten positiven Besprechungen wie der von Theodor Fontane 1872 (Goldammer 651), keine »nachhaltige Rezeption« erfuhr (Breuer 3). Dies sollte sich jedoch mit der literarischen Moderne um 1900 ändern. So schrieb Thomas Mann über Kleist, in seinen Texten entfalte sich etwas Ekstatisches und Enthusiastisches, das sich in wahren Exzessen von hochstilisierter Gewalt äußere (Mann 192).

Bekannt ist ferner, dass Kleist einer der Lieblingsautoren Franz Kafkas war (Lamping 33). So lassen sich auch gewisse Parallelen zwischen »Die Marquise von O…« und Kafkas »Die Verwandlung« postulieren. In beiden Erzählungen geht es um eine radikale körperliche Veränderung, deren Ursachen unbekannt, deren gesellschaftliche Konsequenzen aber radikal sind. Beide Texte sind nicht frei von satirischen Zügen. Beiden eignet ein Epilog, der die an sich unerhörte und durchaus grausame Begebenheit einem ans Kitschige grenzenden Ende zuführt.

Auffallend ist aber, dass bis in die 1970er-Jahre die Novelle in der Forschung nur wenig rezipiert wurde (Ellis 21). Tatsächlich hat sich daran nur in geringem Grade etwas geändert, neben den großen Erzählungen »Michael Kohlhaas« oder »Das Erdbeben in Chili« ist »Die Marquise von O…« immer noch einer der weniger beachteten Texte Kleists.

Aufgrund der szenischen Schreibweise aber hat sich »Die Marquise von O…« als Film- und Theatervorlage bewährt. Die oben zitierte Notiz aus der Deutschen Kultur-Wacht etwa bezog sich auf eine Adaption von »Die Marquise von O…« für das Theater durch Ferdinand Bruckner. Weitere wichtige Adaptionen stammen 1934 von Alfred Günther, 1969 von Egon Günther und 1973 von Hartmut Lange. Berühmt ist die französische Verfilmung von Eric Rohmer von 1976. Ebenfalls bekannt ist die Kinoadaption »Julietta« durch den deutschen Regisseur Christoph Stark. 2001 erschienen, verlegt der Film die Handlung in das Berlin der Jahrtausendwende (Doering 112-113).

Veröffentlicht am 16. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 16. Mai 2023.