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Die Marquise von O…

Abschnitt 2 (118–129)

Zusammenfassung

Später erreicht die Familie der Marquise die Nachricht, dass der Graf von F… noch am selben Tage von einer Kugel getroffen worden und an der Schussverletzung gestorben sei. Seine letzten Worte hätten »Julietta! Diese Kugel rächt dich!« gelautet. Julietta ist der Vorname der Marquise von O… (118).

Weil die Stadt von der russischen Armee erobert wurde, muss die Familie der Marquise das Kommandantenhaus verlassen und siedelt in ein Haus in der Stadt M… über. Hier setzen die ersten Unpässlichkeiten der Marquise ein, die sie frappant an eine Schwangerschaft erinnern. Da sie jedoch mit niemandem geschlafen hat, verwirft sie diesen Gedanken (119).

Der Bruder der Marquise, der Forstmeister von G…, tritt auf. Zur gleichen Zeit wird auch der für tot gehaltene Graf F... als Besuch angekündigt. Dieser tritt ein und bringt nach kurzer Zeit sein Anliegen vor: Er hält um die Hand der Marquise von O… an. Von der Plötzlichkeit dieser Ankündigung überrascht, versuchen Vater und Mutter der Marquise die Situation zunächst zu beruhigen, doch dies provoziert den Grafen von F… nur dazu, sein Anliegen umso heftiger durchzusetzen. Dabei sind seine Aussichten auf Erfolg tendenziell gering, denn man erfährt, dass die Marquise geschworen hatte, sich nicht nochmals zu vermählen. Doch der Graf beharrt auf seinem Anliegen. Die Pferde, die ihn in wichtiger Mission nach Neapel bringen wollten, stünden bereits vor der Tür. Der Kommandant, also der Vater der Marquise, bleibt aber seinerseits hartnäckig. Der Graf könne, nachdem er seine Verpflichtungen in Neapel erledigt habe, im Haus der Familie zu Gast sein. Vielleicht, dass sich die Absicht der Marquise dann ändern würde. Auf diesen Kompromiss lässt der Graf sich – wenngleich nicht ohne seinerseits noch zu verhandeln – ein. Er ist offensichtlich aufgerührt und nervös. Gleichzeitig beteuert er, dass er charakterlich einwandfrei sei, nur eine »einzige nichtswürdige Handlung« (122) sei ihm in seinem Leben unterlaufen. Von dieser Handlung, »der Welt unbekannt« (122), sagt er, er sei dabei, »sie wiedergutzumachen« (122).

Auf die neuerliche Versicherung der Zuneigung seitens des Kommandanten bricht es aber wieder aus dem Grafen F… heraus. Er müsse unbedingt bleiben, das Angebot des Kommandanten annehmen und die wichtigen Schriftstücke, die er nach Neapel bringen sollte, würde er in die Stadt Z… bringen, wo sich ein anderer Kurier finden ließe (125).

Letztendlich bleibt der Graf, allerdings erweist er sich als von taktvoller Zurückhaltung. Erst zum Abendessen behelligt er die Familie wieder, lässt aber die Konversation nicht auf das Thema Verehelichung kommen, bis er schließlich von der Mutter, Frau von G…, darauf gebracht wird und der Marquise bewegt seine Liebe erklärt. Anschließend zieht er sich zurück (127).

Der Forstmeister fragt seine Schwester, die Marquise, wie der Graf ihr denn überhaupt gefalle. Die Marquise antwortet ausweichend, er gefalle ihr und gefalle ihr nicht. Das nimmt die Mutter zum Anlass, die Marquise zu einer eindeutigen Aussage zu drängen. Mit vielen verbalen Abschwächungen sagt die Marquise schließlich zu, den Grafen wohlmeinend zu empfangen und unter bestimmten Umständen sogar in die Ehe zu willigen. Der Bruder drängt nun darauf, klare Verhältnisse zu schaffen. Schließlich entscheidet die Familie, dem Grafen zu versichern, dass die Marquise in kein anderes Verhältnis eintreten werde, bis er aus Neapel zurück sei. Nach Absprache mit dem Vater, der seit längerem missgelaunt geschwiegen hatte, wird der Graf zurückgerufen und von dieser Garantie unterrichtet. Darauf lässt der Graf sich ein und reist im Augenblick nach Neapel ab (129).

Analyse

Die Novelle behandelt vor allem die Frage rund um die Stellung der Geschlechter zueinander. Dabei fällt auf, dass zeittypisch an der Theorie der zwei getrennten Sphären festgehalten wird. In seinem »Lied von der Glocke« schreibt Friedrich Schiller: »Der Mann muß hinaus / Ins feindliche Leben, / Muß wirken und streben / Und pflanzen und schaffen, / Erlisten, erraffen, / Muß wetten und wagen, / Das Glück zu erraten« (Schiller 480). Und über die Frau heißt es wenige Verse weiter: »Und drinnen waltet, / Die züchtige Hausfrau, / Die Mutter der Kinder, / Und herrschet weise / Im häuslichen Kreise« (Schiller 480f.). In diesem Gedicht findet sich geradezu archetypisch die Theorie – oder eher Ideologie – der zwei Sphären ausgedrückt.

Die häusliche Sphäre ist dabei klar weiblich besetzt. Genauso stellt es sich auch in »Die Marquise von O…« dar. Auffällig ist etwa, dass das erste Auftreten schwangerschaftsähnlicher Gefühle nicht vor dem Vater verhandelt wird. Die Szene ist eingerahmt von den Sätzen »Eines Morgens, da die Familie beim Tee saß, und der Vater sich, auf einen Augenblick, aus dem Zimmer entfernt hatte, sagte die Marquise« (119) und »Doch der Obrist kam, das Gespräch ward abgebrochen« (119). Es ist auffällig, dass hier eine klare Trennung zwischen den Sphären vorgenommen wird. Auf der einen Seite gibt es Gespräche, die nur zwischen Frauen geführt werden können. Die Leibeserfahrung der Marquise stellt ein entsprechendes Gesprächsthema dar. Auf der anderen Seite gibt es männlich dominierte Diskurse.

Ein solcher Diskurs ist die Unterredung zwischen dem Grafen und Herrn von G… Obwohl es dabei immerhin um die Verheiratung der Marquise geht, verläuft das Gespräch zunächst zwischen den Männern (121). Gleichzeitig zeigt sich schon an dieser Stelle, wie es um das Machtgefälle zwischen dem Herren von G… und dem Grafen von F… steht. Trotz deutlicher Anzeichen seines Widerwillens wird der Herr von G… vom Grafen übergangen (123).

Im Gespräch zwischen dem Grafen und der Familie erzählt ersterer von seiner Krankheit nach der Schussverletzung, in der ihm immer wieder die Marquise erschienen sei. Er erzählt, dass die Vorstellung von ihr dabei immer wieder mit der Erinnerung an den Schwan Thinka verschwamm. Als Junge habe der Graf diesen Schwan mit »Kot« (127) beworfen. Daraufhin sei Thinka »still untergetaucht, und rein wieder aus der Flut emporgekommen« (127). Der Schwan fungiert hier als zentrales Dingsymbol – ähnlich dem Falken in Paul Heyses sogenannter Falkenthorie (LoCicero 66). Der Schwan steht dabei für die Marquise und ihren Konflikt. Aus Sicht des Grafen ist sie ja – von ihm selbst – befleckt worden, hat in sich die Fähigkeit, sich wieder reinzuwaschen. Freilich bedarf es zu dieser Reinwaschung der Verehelichung der Marquise. In der Realität der Geschichte ist das Problem nicht ausschließlich in der Vergewaltigung zu sehen, sondern vielmehr in den Folgen derselben. Weil die Marquise schwanger geworden ist, ist sie von gesellschaftlicher Ächtung bedroht.

Veröffentlicht am 16. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 16. Mai 2023.