Skip to main content

Die Marquise von O…

Figuren

Figurenkonstellation

Die Marquise von O… – Figurenkonstellation
  • Die Marquise

    Die Marquise (Julietta) ist eine junge Witwe und Mutter zweier Kinder. Nach dem Tod ihres Mannes ist sie zurück in das Haus ihres Vaters gezogen. Neben der Erziehung der Kinder beschäftigt sie sich vor allem mit Kunst und Literatur. Ihr Lebenswandel ist nach damaligen Vorstellungen tadellos. In dieser Ausgangslage wird die Marquise von Symptomen überrascht, die auf eine Schwangerschaft schließen lassen. Allerdings erinnert sich die Marquise nicht daran, mit einem Mann ein Kind gezeugt zu haben, weswegen sie den Gedanken einer Schwangerschaft zunächst verwirft. Die Erscheinungen werden aber so intensiv, dass sie schließlich auf Anraten ihrer Mutter, der Frau von G…, einen Arzt rufen und sich von ihm untersuchen lässt. Dieser bestätigt den Verdacht, dass es sich um eine Schwangerschaft handelt.

    Die Marquise von O… pflegt einen zurückgezogenen Lebensstil. Dennoch ist sie keine Aussteigerin, sondern den Werten- und Normvorstellungen ihrer Zeit verhaftet. Als der Arzt ihr eröffnet, dass sie schwanger sei, sieht sie das als Beleidigung an und droht dem Arzt, ihrem Vater davon zu erzählen. Erst das Urteil der Hebamme versichert sie, dass sie wirklich schwanger sei. Hier aber zeigt sich ihre Unabhängigkeit gegenüber der Gesellschaft.

    Die Marquise teilt zwar die Moralvorstellungen ihrer Zeit, gleichzeitig ist sie sich aber keines Fehltrittes bewusst. Im Gegensatz zu einer ausschließlich hörigen Weltsicht, die dazu führen würde, dass sie eher ihr Gedächtnis als ihre eigene Sündhaftigkeit infrage stellte, ist sich die Marquise keiner Schuld bewusst und bezieht daraus moralische Selbstsicherheit. Auf dem Landsitz scheint sich eine Idylle zu entfalten, allerdings ist dies nicht von langer Dauer, denn der Graf tritt auf und verschafft sich Zugang zum Garten. Bei der folgenden Unterredung brechen die Wunden der Marquise wieder auf. Dabei fällt auf, dass sie von Ahnungen befallen ist, der Graf könne der Vater ihres ungeborenen Kindes sein. »Ich will nichts wissen, versetzte die Marquise« (141) und flieht.

    Über die Zeitungsannonce sucht die Marquise wieder Anschluss an die Gesellschaft, wenngleich die Annone an sich ihren Ruf natürlich bedrohen kann. Als die Ereignisse sich weiter entwickeln und der Graf schließlich enttarnt wird, bleibt aufgrund der Annonce und der darin geäußerten Absicht, den Vater des Kindes zu ehelichen, kein anderer Weg als der der Ehe. Die Familie der Marquise erledigt die Formalitäten und die Marquise wird verheiratet. Dieses Scheitern der Emanzipation ist aber nicht so problematisch, wie befürchtet werden könnte. Tatsächlich wird die Marquise mit dem Grafen glücklich. Die Wiedereingliederung in die Gesellschaft ist also geglückt.

  • Graf von F…

    Der Graf von F… ist ein junger russischer Adeliger, der als Offizier an der Eroberung der Festung beteiligt ist, der Herr von G… als Kommandant vorsteht. Sein Charakter ist von extremer Ambivalenz. Zwar rettet er die Marquise vor seinen Subalternen, vergewaltigt sie dann allerdings selbst.

    Über die gesamte Novelle ist der Graf von auffallend erratischem und sprunghaftem Verhalten. Das zeigt sich auch in seiner Mimik und Gestik. Er fährt auf, errötet, fällt auf die Knie, umfängt die Marquise heftig etc. Er scheint ein Mann zu sein, der seinen Impulsen nur wenig entgegenzusetzen hat. Umso auffälliger ist es, dass ihm sein ganzes Umfeld immer wieder versichert, was für ein tugendhafter Mensch er sei. So haben die Erkundigungen, die der Vater der Marquise anstellt, nur Positives über ihn auszusagen.

    Sein Verhalten aber ist immer wieder dadurch gekennzeichnet, dass er sich über den Willen und das Interesse anderer Menschen hinwegsetzt. Das zeigt sich besonders deutlich in der Szene, in der er mit Herrn von G… die Möglichkeit seiner Ehe mit der Marquise austariert. Trotz deutlicher Signale, dass der Vater nicht gewillt ist, seine Tochter in diesem Moment zu verheiraten, drängt der Graf immer weiter, bis er schließlich auf Initiative der Frau von G… seinen Willen erhält.

    Auch dass der Graf den Willen der Marquise, niemanden vorzulassen, ignoriert und sich einfach in den Garten schleicht, zeugt von einer rücksichtslosen Einstellung gegenüber anderen. Noch heftiger äußert sich das, als er die Marquise festhält, obwohl sie ihn darum bittet, sie zu lassen.

    Keine seiner Taten ist moralisch so verwerflich wie die ursprüngliche Vergewaltigung, dennoch zeigen sich beim Grafen Charakterzüge, die die Vergewaltigung als mögliche Äußerung seiner Persönlichkeit erscheinen lassen.

  • Herr von G…

    Herr von G… ist ein alter Soldat, der sich schon zu Beginn der Novelle als klassischer Vertreter seines Standes erweist. So heißt es, er setzte sich nur deswegen weiter zur Wehr, »weil man ihm keinen Pardon geben wollte« (115). Herr von G… achtet also auf die Zeichen guten Anstands.

    Außerdem fungiert er als klassisches Familienoberhaupt. Bestimmte Themen werden in seinem Beisein nicht verhandelt, er führt das Wort mit dem Grafen. Gleichzeitig ist er aber für die Einflüsterungen seiner Frau, der Frau von G…, empfänglich und erweist sich so als manipulierbar. Für seine Tochter empfindet er eine Liebe, die nicht frei von inzestuösen Beiklängen ist. Umso erstaunlicher ist es, dass er auch nach Entdeckung der Vergewaltigung den Grafen darin unterstützt, seine Tochter zu heiraten.

    Auffällig ist auch, dass der Herr von G…, obwohl alter Soldat, von seinen Gefühlen übermannt werden kann. So wagt er es nur über einen Brief – und noch nicht mal einen selbstgeschriebenen –, seine Tochter des Hauses zu verweisen. Als die Tochter von der Mutter wieder eingeführt wird, ist er aufgrund eines emotionalen Zusammenbruchs nicht mehr in der Lage zu sprechen und weint nur noch. Dabei entsteht aus der emotionalen Zerrüttung des Herren eine groteske Komik. Der Herr von G… erscheint ebenso überspannt wie der Graf, was ein Hinweis darauf sein könnte, warum Herr von G… den Grafen von F… als Schwiegersohn akzeptiert. Sie sind sich ähnlich.

  • Frau von G…

    Mutter der Marquise und deren engste Vertraute. Was immer die Marquise nicht mit dem Vater besprechen kann, bespricht sie mit ihrer Mutter. Das Verhältnis ist sehr eng und liebevoll. Dennoch ist Frau von G… ängstlich darauf bedacht, die Familie nicht in Unehre zu bringen. Drei Mal fragt sie ihre Tochter, ob nicht doch etwas an der Schwangerschaft sein könnte und drei Mal negiert diese. Nachdem die Hebamme aber erklärt, die Marquise sei schwanger, verweist die Mutter die Marquise des Hauses, und zwar mit einem Fluch biblischen Ausmaßes: »Verflucht sei die Stunde, da ich dich gebar!« (135).

    Gleichwohl holt ihr schlechtes Gewissen sie ein, auch wenn sie die Schuld auf den Vater überträgt und schlichtweg vergisst, dass sie es war, die die Marquise als erstes aus dem Haus entfernt hatte. Um sich von der Unschuld ihrer Tochter zu überzeugen, sinnt sie auf eine List, die erfolgreich ist. Erkennend, dass die Marquise sich keines Fehltrittes schuldig gemacht hat, vergibt die Mutter ihr und überredet sie dazu, wieder in das Haus der Familie zu kommen.

    Weil sie den Vater als Hauptschuldigen ausmacht, bestraft sie ihn, sodass er um Verzeihung bei der Marquise bitten soll. Sie verlässt den Raum, kommt aber später wieder und späht durch das Schlüsselloch, wo sie eine inzestuöse Szene zwischen der Marquise und ihrem Mann beobachtet. Diese Beobachtung verstört sie aber in keiner Weise, ja Frau von G… begreift sie als Zeichen, dass nun alles sich zum Guten wenden würde.

  • Forstmeister von G…

    Der Forstmeister von G… ist der Bruder der Marquise und ein relativ unauffälliger Charakter. Allerdings ist er der erste, der die Marquise fragt, wie ihr ihr möglicher zukünftiger Ehemann gefalle.

    Ansonsten erweist er sich als Sprachrohr des väterlichen Willens und gleichzeitig als Stichwortgeber des Grafen. Im Geflecht der Männerrollen in der Novelle nimmt der Forstmeister eine untergeordnete Stellung ein. Er ist noch ganz dadurch charakterisiert, dass er Sohn, nicht dadurch, dass er Mann ist. Das zeigt sich auch in der Szene, in der er den Willen des Vaters durchsetzen will und von der Marquise die Herausgabe ihrer Kinder verlangt. Die Marquise weigert sich, dies zu tun, woraufhin dem Forstmeister nichts übrig bleibt, als ihr ihren Willen zu lassen.

    Der Forstmeister ist ein tendenziell flacher Charakter, dessen Funktion sich vor allem darin erschöpft, Handlungsagent zu sein. Er ist damit kein Träger von Handlung wie die Hauptpersonen, sondern spielt eine Rolle, die strukturell der Rolle der Annonce vergleichbar ist: Er treibt die Handlung voran.

  • Arzt und Hebamme

    Der Arzt tritt nur unter dieser Berufsbezeichnung auf. Seine Qualifikation besteht darin, dass er das Vertrauen des Herren von G… besitzt. Er ist also eine Art Stellvertreter des Vaters. Genau deswegen ist die Mutter bei der Untersuchung auch nicht dabei, schließlich soll der Mann nicht gestört werden.

    Dass aber am Urteil des Arztes gezweifelt wird, wie es Mutter und Tochter tun, zeigt an, dass der Machtanspruch der Männer nicht ohne weiteres durchgesetzt werden kann. Die Struktur der Machtverhältnisse ist also nicht einseitig so, dass ein Mann den Frauen diktiert, was sie zu denken haben. Es ist Einspruch möglich, der erst durch den Auftritt einer Frau, der Hebamme, geäußert werden kann. Arzt und Hebamme sind damit gewissermaßen zwei Seiten einer Medaille. Beide vertreten eine naturwissenschaftlich abgeklärte Sicht auf das Faktum Schwangerschaft.

    Die Hebamme ist zwar hilfsbereit, scheint aber emotional nicht sehr betroffen. Die Äußerungen der Marquise nimmt sie zwar hin, aber kaum ernst. Diese spezifische Abgeklärtheit scheint sich ihrem Handwerk zu verdanken. Für die Gesellschaft mag es eine unerhörte Begebenheit sein, ein Kind ohne Vater zu wissen. Für die Hebamme aber, die beruflich mit allen möglichen Schicksalen und Konstellationen in Berührung kommt, gibt es nichts, was nicht schon einmal vorgekommen wäre. Einzig die Frage nach der unbefleckten Empfängnis ist davon ausgenommen, wie die Hebamme erklärt.

    Dadurch wird eine klare Opposition zwischen dem Natürlichen und dem Gesellschaftlichen aufgemacht. Dass Kinder gezeugt, ausgetragen und geboren werden, ist unter dem natürlichen Gesichtspunkt nichts besonderes. Für diesen Pol stehen die Hebamme und der Arzt. Gesellschaftlich aber ist der ganze Vorgang hoch moralisch und affektiv aufgeladen. Für diesen Pol stehen die Reaktionen der Marquise und ihrer Mutter.

  • Übrige Personen

    Einen kurzen Auftritt hat der Adjutant des Grafen (125). Außerdem kommen ein Jäger im Dienste des Herren von G… (129), der russische General (117) und der Jäger Leopardo (147) vor. Alle diese Figuren sind kaum zu charakterisieren, da sie voll in ihrer erzähltechnischen Funktion aufgehen. Allein der russische General hat aufgrund seiner höheren Redeanteile Kontur, allerdings erschöpft sich diese in der Ausführung seiner Berufsrolle: Der General ist also ein General. Die anderen Figuren kommen, mit Ausnahme Leopardos, nur in einem Nebensatz vor.

    Doch auch Leopardo ist nicht eigentlich zu charakterisieren, da er seinen maßgeblichen Anteil an der Handlung nur als Figur innerhalb der List Frau von G…s innehat. Was dort von ihm geschildert wird, ist ja gerade nicht geschehen, sodass von Leopardo letztlich auch nicht viel ausgesagt werden kann.

    Darin aber ist »Die Marquise von O…« wiederum eine typische Novelle, in der die Handlung sich – wie im Drama – auf ein überschaubares Set von Hauptfiguren konzentriert.

Veröffentlicht am 16. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 16. Mai 2023.