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Die Räuber

Akt 1, Szene 1-3

Zusammenfassung

Szene 1

Die erste Szene des Dramas spielt im Schloss der Familie Moor. Handlungsträger dieser Szene sind Franz Moor und sein Vater, der regierende Graf Maximilian von Moor. Die Szene beginnt damit, dass Franz sich besorgt um seinen Vater zeigt, dieser versichert aber, dass es ihm gut gehe. Franz berichtet, dass ein Brief von einem Bekannten aus Leipzig mit Nachrichten von seinem Bruder, Karl Moor, angekommen sei und deutet an, dass der Inhalt des Briefes sich negativ auf die Gesundheit seines Vaters auswirken könnte. Auch Graf von Moor gibt an, dass eine schlechte Nachricht von Karl seiner Gesundheit schaden könnte.

Er will die Nachricht dennoch hören und Franz liest ihm Ausschnitte des Briefes vor, in denen geschildert wird, dass Karl einen ausschweifenden, sündigen Lebensstil führt. Karl habe Schulden und werde gesucht, damit er für seine schlimmen Taten bestraft werden könne. Der alte Moor ist entsetzt darüber und wendet sich in seiner Verzweiflung an seinen verbliebenen Sohn Franz, der die Ursachen für Karls angeblich unmoralisches Verhalten in der Kindheit zu finden glaubt.

Franz setzt seinen eigenen Charakter anschließend in einen Kontrast zu Karl, um sich von diesem abzugrenzen. Der Vater bittet Franz um Vergebung, da er ihn immer schlechter behandelt hat als Karl. Franz beginnt daraufhin, den alten Moor davon zu überzeugen, dass er sich von Karl lossagen müsse. Als der Vater schließlich einstimmt, will er Karl einen Brief schreiben, Franz überzeugt ihn aber davon, dass besser er seinem Bruder schreiben könne, weil der Vater zu harte Worte wählen würde.

Nachdem Graf von Moor die Szene verlassen hat, enthüllt Franz in einem langen Monolog seine Intrige: Er selbst hat den Brief von Karl gefälscht, um einen Keil zwischen Karl und seinen Vater zu treiben. Dadurch will er erreichen, dass er am Ende selbst zum Herrn über Schloss Moor wird, da er als jüngerer Bruder eigentlich keinen Anspruch darauf hat.

Franz hadert mit der Natur, die ihm diesen Anspruch verwehrt hat und ihn dazu noch mit einem unattraktiven Erscheinungsbild gestraft hat. Am Ende kommt er aber zu dem Schluss, dass der Erfindungsgeist, mit dem die Natur ihn ausgestattet hat, ihm dabei helfen werde, das Recht des Stärkeren durchzusetzen. Er distanziert sich von Vater und Bruder, sodass er diesen nicht moralisch verpflichtet ist und seine Intrige weiterspinnen kann.

Szene 2

Für die zweite Szene wird die Szenerie gewechselt. Sie spielt in einer Kneipe an der Grenze von Sachsen, in der Karl sich mit seinem Studienkollegen Spiegelberg unterhält. Karl beschwert sich ausschweifend darüber, dass die Gelehrten seiner Zeit zwar über die Helden vergangener Zeiten philosophieren, an ihnen selbst aber nichts Heroisches zu finden sei.

Nachdem Spiegelberg von seiner Utopie eines jüdischen Königreichs berichtet, die er mit Karls Hilfe erreichen möchte, findet bei Karl ein Umschwung statt. Er hat genug von den Streichen und zeigt sich beschämt, als Spiegelberg einige der gemeinsamen Streiche aufzählt. Spiegelberg kann diese Scham nicht nachvollziehen und erzählt Karl eine Geschichte aus seiner Kindheit, Karl versteht allerdings nicht, worauf er hinaus will.

Karl will nichts von den Zukunftsvorstellungen wissen, die Spiegelberg konzipiert. Er berichtet, dass er seinen Vater postalisch um Vergebung gebeten habe und zu seiner Familie und vor allem auch zu seiner Geliebten Amalia heimkehren wolle. Er rechnet fest damit, dass sein Vater ihm verzeiht, da er vorher noch nie von diesem zurückgewiesen wurde. Als weitere Bekannte Karls dazustoßen, erhält Karl schließlich den erwarteten Brief. Er zeigt sich angesichts der Worte seines Bruders Franz schockiert und stürmt hinaus.

Spiegelberg versucht nun, die anderen davon zu überzeugen, eine Räuberbande zu gründen. Dies gelingt ihm, indem er ihnen vor Augen führt, dass alle anderen Optionen, die ihnen bleiben (wie z. B. zum Militär zu gehen), deutlich nachteiliger für sie wären.

Die frisch entstandene Bande brauche laut Roller noch einen Anführer und Spiegelberg reagiert ungehalten, als er bemerkt, dass Roller dabei nicht an ihn, sondern an Karl denkt. Dieser kehrt nun zurück und redet ungestüm über die Schlechtheit der Menschen. In dieser Stimmung kommt ihm das Angebot gelegen, Räuberhauptmann zu werden, um ein Leben jenseits der Gesetze am Rande der Gesellschaft zu führen.

Szene 3

Die dritte Szene spielt wie die erste im Schloss Moor. Doch diesmal spricht Franz nicht mit seinem Vater, sondern mit Amalia, die er von sich zu überzeugen versucht. Dies ist allerdings zum Scheitern verurteilt, da Amalia Karl treu ergeben ist.

Amalia reagiert von Anfang an abwehrend auf Franz, der zunächst versucht, sie von Karl abzubringen, indem er ihr erzählt, Karl habe ihren Verlobungsring benutzt, um eine Hure zu bezahlen, und seinen Körper als von Syphilis entstellt beschreibt. Amalia erkennt im Gegensatz zum alten Moor, dass Franz lügt, und glaubt ihm nicht, was er über Karl erzählt.

Als Franz dies merkt, wechselt er die Taktik und behauptet nun, dass er durch die Lügen nur ihre Treue auf die Probe stellen wollte. Er gibt vor, sich mit Amalia verbinden zu wollen, um den Vater davon zu überzeugen, Karl zurückkehren zu lassen.

Franz erzählt, Karl habe ihn vor seiner Abreise gebeten, sich in seiner Abwesenheit um Amalia zu kümmern. Diese reagiert aber immer noch abweisend und beteuert, dass sie nur Karl lieben kann.

Analyse

Szene 1

Der erste Akt erfüllt die Funktion der Exposition. »Die einzelnen Gespräche leisten dabei, daß sich die Figuren selbst charakterisieren und ihr dialogisches Gegenüber beleuchten. Gleichzeitig aber ist in allen Gesprächen noch eine weitere Person mitcharakterisiert, die selbst während des Gesprächs nicht anwesend ist.« (Große: 40). Der Rezipient lernt so direkt zu Beginn der Handlung alle Hauptcharaktere (Franz, Karl, Graf Maximilian von Moor, Spiegelberg und Amalia) kennen und erfährt auch, wie sie miteinander in Beziehung stehen. Durch den Brief, den Franz im Rahmen seiner Intrige fälscht, wird der familiäre Konflikt ausgelöst, in dessen Mittelpunkt die Brüder Franz und Karl stehen.

Zu Beginn der ersten Szene und auch im weiteren Verlauf des Dialogs wirkt Franz um die Gesundheit seines Vaters besorgt (»Aber ist Euch auch wohl, Vater?«, S. 11, Z. 5). Schon hier deutet sich an, was sich im fünften Akt bewahrheitet: Karl ist imstande, über das Leben seines Vaters zu verfügen und kann durch sein Handeln den Tod des Vaters herbeiführen (»Wie eine einzige frohe Nachricht von dir meinem Leben zehen Jahre zusetzen würde […] da mich nun jede, ach! – einen Schritt näher ans Grab rückt.«).

Der Brief, den Franz seinem Vater im Folgenden zuträgt, ist angeblich von einem Korrespondenten aus Leipzig verfasst. Aus der Art, wie Franz auf diesen verweist, geht hervor, dass er dem Vater bekannt ist (»Ihr kennt unsern Korrespondenten!«, S. 12, Z. 5f), wodurch der Brief glaubwürdiger wirkt, da der Vater sonst die Person des Korrespondenten in Frage stellen müsste. Das tut Franz schließlich selbst (»Glaubt ihm keine Silbe«, S. 13, Z. 14). Dadurch trennt Franz seine eigene Person noch deutlicher vom Inhalt, so kann er die Täuschung noch besser aufrechterhalten.

Der Vater brennt darauf, Neuigkeiten von seinem Sohn zu erfahren (»begierig«, S. 11, Z. 10), wodurch deutlich wird, wie wichtig ihm Karl ist. Dennoch zweifelt er den Brief nicht an und versagt Karl damit das nötige Vertrauen, das den Konflikt und damit auch seinen eigenen Tod hätte verhindern können (vgl. Große: 41).
Franz gibt sich sentimental und passt sich sprachlich seinem Vater an, um eine Einheit mit diesem zu bilden. Diese Einheit bekräftigt er auch durch einen Parallelismus (»denn er ist Euer Sohn […] denn er ist mein Bruder«, S. 11, Z.25ff). So schafft er in der vermeintlichen Trauer um Karl, der für Franz schon an dieser Stelle als verloren gilt (»verlornen Bruder«, S. 11, Z. 24) eine Gemeinsamkeit mit seinem Vater, der sich passiv verhält und sich von Franz manipulieren lässt.

Franz bezieht sich, nachdem er den Brief vorgelesen hat, auf die Kindheit der beiden Brüder, um die Ursachen von Karls fehlgeleitetem Charakter aufzudecken. Dafür zählt er zuerst Eigenschaften auf, die positiv konnotiert sind und interpretiert sie anschließend negativ um, so wird beispielsweise »Offenheit« (S. 14, Z. 4) zu »Frechheit« (S. 14, Z. 17). Nachfolgend charakterisiert Karl sich im »Kontrast« (S. 15, Z. 8) zu Karl als kalt, trocken und hölzern. Diese Adjektive verwendet er sogar doppelt (S. 15, Z. 6f und Z. 14), wodurch diese Stelle besonders betont wird.

Durch seine rhetorisch ausgefeilte Argumentation kann Franz seinen Vater überzeugen, sich von Karl loszusagen und ihn einen entsprechenden Brief an Karl schreiben zu lassen. Dabei hegt der Graf von Moor Hoffnung, dass Karl durch den Brief zur Vernunft kommt (»Bis er anders worden«, S. 17, Z. 35) und zeigt sich diesem immer noch zugeneigt (»Aber bring meinen Sohn nicht zur Verzweiflung!«, S. 18, Z. 17f).

Nachdem der alte Moor die Szenerie verlassen hat, folgt für den Rezipienten ein Schockmoment, wenn Franz in seinem Monolog seine Intrige aufdeckt. Franz hadert mit seinem Schicksal als Zweitgeborener und seiner »Hässlichkeit« (S. 19, Z. 7), die Verantwortung dafür gibt er der »Natur« (S. 19, Z. 3). Mit seiner aufklärerischen Argumentationsstruktur, die sich durch die Betonung der Kraft des eigenen Geistes (»Erfindungsgeist«, S. 19, Z. 18f) auszeichnet, plädiert er dann aber für das Recht des Stärkeren und distanziert sich von einer möglichen Verantwortlichkeit für seine Familie, indem er die Verwandtschaftsverhältnisse pragmatisiert und damit sein Recht legitimiert, sich durch Intrigen als Herr über Schloss Moor zu etablieren.

Der Rezipient lernt in dieser Szene Franz und den Grafen von Moor kennen, erfährt indirekt schon einiges über Karl und wird mit der von Franz geplanten Intrige vertraut gemacht.

Szene 2

Die zweite Szene fungiert als eine Art doppelte Exposition, da hier der zweite Handlungsstrang des Dramas beginnt. Während der Rezipient in der ersten Szene zwar schon indirekt etwas über Karl erfahren hat, lernt man ihn jetzt erst persönlich kennen.

Karl stört »das zeittypische Missverhältnis zwischen heroischem Studienobjekt (antike Helden) und subjektiver Lebens- und Leibesschwäche (der unsinnlichen Körperlichkeit der Gelehrten)« (Luserke-Jaqui: 30). Er verdeutlicht den Kontrast zwischen ihnen an mehreren Stellen: »tintenklecksende[s] Säkulum« vs. »große[n] Menschen« (S. 21, Z. 27-29), »schwindsüchtiger Professor« vs. »Kraft« (S. 22, Z. 5-7) und »feuchtohrige Buben« vs. »Scipio« (S. 22, Z. 9-11). Seine fast monologartige Rede, die nur durch die kurzen Einwürfe von Spiegelberg unterbrochen wird (z. B. »Tee, Bruder, Tee!«, S. 22, Z. 28), endet in einzelnen klimaktischen Ausrufen: »Bitten! Schwüre! Tränen! […] Hölle und Teufel!« (S. 23, 7-9). Dies zeigt, wie emotional Karl ist.

Im Anschluss wird Karls Freiheitsstreben deutlich. Er benutzt die Symbolik des Schnürens (»Schnürbrust«, S. 23, Z. 13), die auch Franz schon verwendet hat (»schnüren«, S. 20, Z. 13). Während Franz sich allerdings moralisch durch sein Gewissen limitiert fühlt, ist Karls Freiheit durch »Gesetze« (S. 23, 14) begrenzt (vgl. Neumeyer: 258). Daraus ergibt sich der Gegensatz von »Adlerflug« (S. 23, Z. 15) und »Schneckengang« (S. 23, Z. 14).

Bei Karl erfolgt dann aber ein Umschwung: »Kamerad! Mit den Narrenstreichen ist’s nun am Ende« (S. 24, Z. 10f). Spiegelberg, der sich damit nicht abfinden will, erinnert ihn an die Streiche, die sie zusammen verübt haben (S. 24, Z. 13 – S. 25, Z. 15). Dabei wird sehr deutlich, dass Karl schon in dieser Zeit als Führungspersönlichkeit fungiert (»und du an der Spitze«, S. 24, 27). Während Karl diese Taten bereut und dies auch von Spiegelberg erwartet (»Hast du nicht einmal so viel Scham, dich dieser Streiche zu schämen?«, S. 25, Z. 17f), ist Spiegelberg enttäuscht über Karls Sinneswandel (»Geh, geh! Du bist nicht mehr Moor.«, S. 25, Z. 19). Dadurch zeigt sich die Gegensätzlichkeit der beiden Charaktere, die sich im weiteren Verlauf etablieren wird. Spiegelberg versucht Karl noch durch eine Geschichte aus seiner Kindheit zu überzeugen, doch Karl versteht nicht, dass er darauf hinaus will, dass die »Kräfte wachsen in der Not« (S. 26, Z. 20f) und »der Mut […] mit der Gefahr [wächst]« (S. 26, 22f).

Karl sieht sich in Gedanken schon zurück in der Heimat und »in den Armen meiner Amalia« (S. 27, Z. 34). Er zweifelt nicht daran, dass sein Vater ihm verzeihen wird: »wo Aufrichtigkeit ist, ist auch Mitleid und Hilfe« (S. 27, Z. 37 – S. 28, Z. 1) und »Die Verzeihung meines Vaters ist schon innerhalb dieser Stadtmauren« (S. 28, Z. 3f).

Als er den Brief schließlich erhält, rennt er hinaus und der Rezipient erfährt von Roller, was in dem Brief geschrieben steht. Während der Adler vorher ein Symbol für die Freiheit war, steht er hier nun in Verbindung mit dem Gefangensein (»bis deine Haare wachsen wie Adlersfedern und deine Nägel wie Vogelsklauen werden«, S. 29, Z. 17f). Das kann als Anzeichen für Karls Scheitern interpretiert werden.

Während Karl draußen ist, versucht Spiegelberg die anderen davon zu überzeugen, eine Räuberbande zu gründen. Dabei stellt er sich rhetorisch nicht ungeschickt an, indem er mithilfe einer Inversion an ihren Mut appelliert: »Hasen, Krüppel, lahme Hunde seid ihr alle, wenn ihr das Herz nicht habt, etwas Großes zu wagen« (S. 29, Z. 30f). Außerdem führt er ihnen vor Augen, dass sie keine besseren Optionen haben: »Wahl? Was? nichts habt ihr zu wählen!« (S. 30, Z. 35). Nach und nach stimmen alle zu, sich Spiegelbergs Idee anzuschließen, doch Roller will Karl als Hauptmann, während Spiegelberg sich dieser Position schon sicher war (»Stand nicht der Kopf schon, eh noch ein Glied sich regte?«, S. 34, Z. 8f).

Karl kehrt in rasender Wut zurück und schimpft auf die Menschheit. Er kontrastiert seinen Vater mit Löwen, Leoparden und Raben, die sich alle besser um ihre Familie kümmern als er (S. 34, Z. 35f). Dabei schlägt die Enttäuschung über die Zurückweisung in einen »Universalhass« auf die gesamte Menschheit um (vgl. Michelsen: 84). Daher verwundert es nicht, dass er den Plänen der anderen zustimmt: »ich bin euer Hauptmann« (S. 36, Z. 15f). Spiegelberg deutet als Reaktion schon einen möglichen Verrat an (»Bis ich ihm hinhelfe«, S. 36, Z. 18).

Aus seinem Hass gegen die Menschen heraus fordert Karl die Räuber dazu auf, möglichst grausam zu sein (»der am wildesten sengt, am grässlichsten mordet, […] er soll königlich belohnt werden«, S. 36, Z. 29f). Karl schwört den Räubern, »treu und standhaft euer Hauptmann zu bleiben bis in den Tod!« (S. 37, Z. 2f). Sein Weg zurück zu seiner Familie ist damit schon im ersten Akt versiegelt und nicht erst, wenn er seinen Schwur in der zweiten Szene des dritten Aktes wiederholt.

Szene 3

Die dritte Szene spielt wieder im Schloss und bildet gemeinsam mit der ersten einen Rahmen für die zweite Szene (vgl. Große: 40). In dieser Szene tritt erstmals Amalia auf, von der man bisher nur weiß, dass Karl sich nach ihr sehnt (»in den Armen meiner Amalia lockt mich ein edler Vergnügen«, S. 27, Z. 34). Alle Hauptfiguren sind dem Leser nach dieser Szene bekannt: Graf von Moor, Franz, Karl, Spiegelberg und Amalia.

Zu Beginn der Szene verflucht Amalia den Grafen von Moor dafür, dass er Karl verbannt hat, während er selbst ein luxuriöses Leben führt (»labt er sich mit süßem, köstlichem Wein«, S. 37, Z. 25). Mittels einer anaphorischen Wiederholung beschimpft sie ihn: »schämt euch, ihr Unmenschen, schämt euch, ihr Drachenseelen« (S. 37, Z. 27f). Damit, dass sie Karl als »einzigen Sohn« (S. 37, Z. 29) bezeichnet, zeigt sie, wie wenig sie Franz wertschätzt, er zählt für sie nicht. Sie zieht durch die Charakterisierung der Hände von Franz (»eiskalte Hand«, S. 37, Z. 34) und der seines Vaters (»welken Händen«, S. 37, Z. 32) eine Verbindung zwischen den beiden. Für Amalia sind sie beide an Karls Verbannung schuld und damit verachtenswert. Sie will von dem Grafen Moor verflucht (»es ist köstlich süß, von deinem Vater verflucht zu werden«, S. 38, Z. 1) und von Franz gehasst (»Hasse mich!«, S. 38, Z. 13) werden.

Franz betont, dass Amalia Karl zu einem Gott erhebt (»Karl wie ein Gott«, S. 38, Z. 19). Im Verlauf der Handlung zeigt sich, dass Karl für Amalia tatsächlich übermenschlich ist (z. B. wenn sie mit dem Satz »dies ist so menschlich«, S. 50, Z. 5f, belegen will, dass ein bestimmtes Porträt keine Ähnlichkeit mit Karl habe). Die Allgegenwärtigkeit, die Karl in Amalias Leben einnimmt, benennt Franz durch einen Parallelismus: »Karl stand vor dir im Wachen, Karl regierte in deinen Träumen« (S. 38, Z. 20).

Franz beginnt nun, Karl vor Amalia schlecht zu machen, indem er ihr erst erzählt, dass er ihren Ring benutzt hat, um eine Hure zu bezahlen (»Meinen Ring einer Metze?«, S. 38, Z. 36) und ihr dann detailreich schildert, wie Karls von Syphilis (»das garstige Laster«, S. 39, Z. 18) befallener Körper angeblich aussieht. Er stellt explizit heraus, dass es sich um eine Belastung für alle Sinne handelt: »Nasen, Augen, Ohren schütteln sich« (S. 39, Z. 30). Er wählt diese Krankheit, weil es sich um eine Geschlechtskrankheit handelt, und diese damit Karls Untreue beweisen würde, und weil er sich sicher sein kann, dass Amalia die Auswirkungen kennt (»Du hast jenen Elenden gesehen, Amalia, der in unserem Siechenhause seinen Geist auskeuchte«, S. 39, Z. 30-32).

Franz kann nicht wissen, dass seine Warnungen vor Karl (»seine Lippen vergiften die deinen«, S. 39, Z. 35f), sich schlussendlich als wahr erweisen werden, da Amalia am Ende durch Karls Hand stirbt.

Am Ende sind Franz’ Versuche, Karl zu diffamieren, zwecklos, da Amalia Karl treu ist und nicht an ihm zweifelt. Das unterscheidet sie vom alten Moor, der sich von Franz’ Intrige überzeugen lassen hat. Franz merkt, dass seine Taktik nicht aufgeht, daher tut er nun so, als wäre er im Kampf gegen den Vater auf Amalias Seite (»tyrannischer Vater«, S. 40, Z. 30) und habe nur ihre Treue testen wollen (»harte Probe«, S. 41, Z. 3). Er versucht sich mit Karl gleichzusetzen, indem er klimaktisch aufzählt, in welchen Bereichen sie sich gleichen: »Blume« (S. 41, Z. 19), »Musik« (S. 41, Z. 20) und »Liebe« (S. 41, Z. 24).

Doch als er sie überzeugen will, dass er Karl in der »Laube« (S. 41, Z. 29) schwören musste, sich um Amalia zu kümmern, falls er nicht zurückkehrt, kann Amalia seine Lügen abermals enttarnen, da Karl ihr genau in »eben dieser Laube« (S. 42, Z. 2) den Schwur abgenommen hat, ihm bis über seinen Tod hinaus treu zu sein.

Indem sie sich von ihrem Leben im Wohlstand distanziert (»Seid verdammt, Gold und Silber und Juwelen zu tragen, […]! Seid verdammt, an üppigen Mahlen zu zechen!«), versucht sie, sich wieder näher mit Karl zu verbinden, da diesem durch die Verbannung ein solcher Lebensstil verwehrt bleibt. Dies unterstreicht sie auch gestisch durch das Herunterreißen ihrer Perlen (vgl. S. 42, Z. 26).

Veröffentlicht am 18. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. April 2023.