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Kabale und Liebe

Sprache und Stil

Schon sein Zeitgenosse Karl Philipp Moritz (1756–1793) wirft Schiller in einem Beitrag für die Königlich privilegierte Berlinische Staats- und gelehrte Zeitung vom 4.9.1784 vor, in »Kabale und Liebe« unterschiedliche Sprachebenen miteinander zu vermischen und den Figuren Sprechweisen zuzuordnen, die nicht zu ihrer jeweiligen Rolle passen. So kritisiert er etwa, »die Lady Milford selbst spricht in einem viel zu preciösen Tone für eine Mätresse und deklamiert viel zu viel von Tugend«, und über Louise heißt es: »Die Reden und das Benehmen dieser Tochter machen denn einen sonderbaren Kontrast mit den Reden und Betragen ihrer Eltern.« (beide zitiert nach Kluge 1373–1379). 

Dem lässt sich entgegenhalten, dass gerade diese beiden Frauenfiguren veranschaulichen, wie die Sprache der Figuren in Schillers Drama mit der jeweiligen Standeszugehörigkeit ihrer Rollen verbunden ist und wie umgekehrt die Missachtung sprachlicher Konventionen die Überschreitung der Standesgrenzen zum Ausdruck bringt. Bei Louise ist es die Liebe zu Ferdinand, die ihre Sprechweise verändert und sie damit auch von ihren Eltern entfremdet. Der Gegensatz zur derben und volkstümlichen Sprache Millers und seiner Frau zeigt, dass Louise, obwohl sie Zweifel an einer Zukunft mit Ferdinand hat, sprachlich zugleich nicht länger im kleinbürgerlichen Milieu zu Hause ist. Die Lektüre der Romane und Schriften, die sie von Ferdinand erhalten hat, tragen sicher das Ihrige dazu bei.

Dass Lady Milford nicht höfisch-verschlagen und doppelbödig wie Wurm oder oberflächlich wie der Hofmarschall spricht, sondern zwischen subjektivem Gefühlsausdruck und hohem moralischen Pathos wechselt, entspricht exakt ihrer dargestellten Biografie und ihrer Absicht, die höfische Welt aus Gewissensgründen zu verlassen. Auch Ferdinand bewegt sich sprachlich in einem Zwischenbereich und ist weder ausschließlich als bürgerlicher noch als höfischer Sprecher zu klassifizieren. 

Alle übrigen Figuren lassen sich anhand ihrer Sprache eindeutig einer der beiden Sphären zuordnen. Klare gesellschaftliche Trennlinien werden somit auch von der Sprache reflektiert. 

Der Präsident oder der Hofmarschall sprechen beispielsweise als Vertreter des Adels in einer gewählteren Sprache miteinander als Miller und seine Frau, die dem Kleinbürgertum angehören. Wo die Sprache der bürgerlichen Figuren rüder und unbedachter wirkt (vgl. Diekhans 48), ist die Sprache der höhergestellten Personen ›künstlicher‹ und formeller: »Sie haben befohlen, gnädiger Herr Vater – « (S. 582, 3). 

Miller hingegen verwendet Kraftausdrücke und häufig auch sprichwörtliche Redewendungen: »Auf den Sack schlagt man, den Esel meint man« (S. 566, 26, f.), »Da liegt der Has im Pfeffer« (S. 568, 1). Komik entsteht, wenn Frau Miller versucht, sich gehobener Sprache anzupassen, etwa im Gespräch mit Wurm: »Was Sie nicht sagen, Herr Sekertare! Des Herrn Majors von Walter hohe Gnaden machen uns wohl je und je das Bläsier« (S. 568, 18–20). Sobald Wurm ihre Wohnung jedoch verlassen hat und sie mit ihrem Mann allein ist, schlägt sie augenblicklich wieder ihren derben Ton an: »Der Hund! – Aber man wird dir’s Maul sauber halten.« (S. 571, 35f.)

So trägt die Sprache stark dazu bei, die Figuren zu charakterisieren und den Zuschauer*innen damit die Möglichkeit zu geben, ihre Beweggründe und Absichten zu verstehen und zu hinterfragen. Dieses exemplarische Hinterfragen regt dazu an, die Interessen des Individuums und dessen Bezug zur Gesellschaft und ihren Normen zu reflektieren. (vgl. Stephan 47)

Veröffentlicht am 22. März 2023. Zuletzt aktualisiert am 22. März 2023.