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Kabale und Liebe

5. Akt, Szene I–VIII

Zusammenfassung

I – Zimmer beim Musikanten

Miller findet Louise, nachdem er sie zuvor vergeblich gesucht hat, bei sich zu Hause in einer dunklen Ecke sitzend. Sie erzählt ihm von ihrem Plan, sich umzubringen, und bittet ihn, Ferdinand einen Brief von ihr zu geben. In diesem Brief schlägt sie ihrem Geliebten den gemeinsamen Selbstmord vor. Miller ist erschüttert von diesem Vorsatz seiner Tochter und appelliert an ihren christlichen Glauben. Louise lässt sich von den Vorhaltungen und Argumenten ihres Vaters umstimmen und will nun stattdessen gemeinsam mit ihm fliehen und das Land verlassen.

II – [Schauplatz bleibt gleich]

Ferdinand erscheint und fragt Louise, ob der Brief, den sie an den Hofmarschall geschrieben hat, echt sei. Louise bestätigt, dass sie selbst diesen Brief geschrieben habe. Dabei ist sie aufgrund des geleisteten Eides außerstande, Ferdinand anzuvertrauen, dass Wurm sie zum Schreiben gezwungen hat. Ferdinand zeigt, wie enttäuscht er über ihren Verrat ist. In rasendem Zorn und tiefster Verzweiflung plant er nun, Louise zu vergiften. Er bittet sie um ein Glas Limonade, und sie geht hinaus, um es zu holen.

III – [Schauplatz bleibt gleich]

Als Ferdinand mit Miller allein ist, erinnern sich die beiden gemeinsam an Ferdinands ersten Besuch im Hause Miller. Er wollte Flötenstunden bei dem Stadtmusikanten nehmen und lernte so Louise kennen. Miller spricht darüber, dass Louise sein einziges Kind sei und von ihm unsäglich geliebt werde. Er bemerkt nicht, wie stark Ferdinand dadurch bewegt und von seinen eigenen Gefühlen hin- und hergerissen wird. Schließlich geht Miller hinaus, um nachzusehen, wo Louise mit der Limonade bleibt.

IV – [Schauplatz bleibt gleich]

Allein im Zimmer, überdenkt Ferdinand noch einmal seine Entscheidung, Millers einziges Kind zu töten. Er fragt sich, ob er das Recht dazu habe, ihm die geliebte Tochter zu nehmen, rechtfertigt sich aber mit der Idee, dass Louise, da sie keine Gefühle habe, den Vater ohnehin nicht glücklich machen könne und er ihm somit sogar einen Dienst erweise.

V – [Schauplatz bleibt gleich]

Als Miller erneut die Szene betritt, erhält er von Ferdinand einen Beutel voller Geld. Obwohl der Betrag sehr hoch ist, glaubt Miller, es handle sich dabei um die Bezahlung für die einstigen Musikstunden. Er ist völlig außer sich vor Freude und beginnt begeistert, Pläne für die Zukunft zu schmieden. Das Geld soll vor allem Louise zugutekommen. Ferdinand ist betreten und bittet ihn zu schweigen.

VI – [Schauplatz bleibt gleich]

Louise bringt Ferdinand seine gewünschte Limonade. Um mit ihr allein zu sein, fordert Ferdinand Miller auf, dem Präsidenten einen Brief von ihm zu überbringen. Miller erklärt sich aus Dankbarkeit für das erhaltene Gold gerne dazu bereit. Louise hat ein ungutes Gefühl und fragt, ob nicht sie den Gang erledigen könne. Doch Miller macht sich selbst auf den Weg und verabschiedet sich an der Tür von seiner Tochter. In einem unbeobachteten Moment füllt Ferdinand Gift in die Limonade.

VII – [Schauplatz bleibt gleich]

Ferdinand und Louise sind nun alleine. Louise ist verunsichert und will Ferdinand mit harmloser Plauderei unterhalten, doch dieser reagiert voller Kälte und Zynismus. Erneut spricht er über den Brief und bezichtigt Louise abgrundtiefer Falschheit und Bosheit. Er trinkt von der vergifteten Limonade und fordert auch sie auf, davon zu trinken, was sie befolgt. Als sie erfährt, dass sie Gift zu sich genommen hat und sterben wird, fühlt sie sich endlich nicht mehr an ihren Eid gebunden. Sie sagt Ferdinand, dass sie unschuldig ist und den Brief unter Zwang geschrieben hat. Er erfährt nun auch, dass sein Vater hinter der Intrige steckt. Ferdinand, bei dem das Gift nicht so schnell wirkt wie bei Louise, zieht darauf seinen Degen. Er will aus dem Haus stürmen, um den Präsidenten zu töten. Doch als Louise sterbend zusammenbricht, kehrt er um und sinkt verzweifelt neben der Toten auf den Boden.

VIII – [Schauplatz bleibt gleich]

Der Präsident stürmt mit Wurm, Miller, einigen Gerichtsdienern und Bedienten in die Wohnung. Als Miller die Leiche seiner Tochter sieht, versteht er nicht, was vorgegangen ist und läuft in furchtbarer Erschütterung hinaus. Inzwischen spürt auch Ferdinand die Wirkung des Giftes und wird immer schwächer. Bevor er ohnmächtig wird und stirbt, klagt er seinen Vater an. Er macht ihn mitverantwortlich für Louises Tod. Der Präsident will alles auf Wurm schieben, während dieser umgekehrt dem Präsidenten die alleinige Schuld zuweist. Der Präsident lässt ihn daraufhin abführen. Wurm verkündet im Weggehen, dass er der ganzen Stadt von den Intrigen und Machenschaften des Präsidenten erzählen wird. Sterbend reicht Ferdinand seinem Vater die Hand und vergibt ihm. Der Präsident lässt sich anschließend selbst verhaften und bekennt damit seine Schuld.

Analyse

Im Unterschied zu den ersten vier Akten spielt sich der fünfte Akt ausschließlich im Hause Miller ab, was ein Hinweis auf den Triumph der bürgerlichen Werte im Rahmen der Handlung sein könnte. Mit dem Tod der beiden Hauptfiguren kommt es zur Katastrophe. Zugleich löst sich damit der Konflikt auf und die Intrige wird offenbar. Das Drama folgt auch hier dem klassischen aristotelischen Aufbau. Sein Ende erzeugt beim Publikum Furcht und Mitleid und übt somit eine moralisch ›reinigende‹ Wirkung auf die Zuschauer aus, führt also, wie von Aristoteles definiert, zum sogenannten »Katharsis-Effekt«.

In der ersten Szene hält Miller seine Tochter vom Vorhaben ab, sich umzubringen. Nicht erst hier tritt er ganz als Typus des deutschen Hausvaters auf, »der in der Literatur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine dominierende Figur wird und dessen Funktion sich aus der patriarchalischen bürgerlichen Familienordnung herleitet« (Kluge 1414). Seine Argumentation basiert dabei auf dem christlichen Glauben: »Selbstmord ist die abscheulichste [Sünde] mein Kind – die einzige, die man nicht mehr bereuen kann, weil Tod und Missetat zusammenfallen« (S. 655, 9–11).

Es ist jedoch nicht die christliche Argumentation, die Louise schließlich von ihrem Plan abhält, sondern Millers Appell an ihre Tochterliebe. Mit großer Geste führt er ihr vor Augen, dass durch ihren Tod auch sein Leben zerstört wäre: »Hier ist ein Messer – durchstich dein Herz, und indem er lautweinend fortstürzen will das Vaterherz!« (S. 657, 1f.). Er riskiert also an dieser Stelle sogar, dass Louise das erwähnte Messer tatsächlich ergreift, muss sich der Überzeugungskraft seines emotionalen Ausbruchs also sehr sicher sein. Tatsächlich ist diese Textstelle der Wendepunkt, nach dem Louise sich anders entscheidet: »Halt! Halt! O mein Vater! – Daß die Zärtlichkeit noch barbarischer zwingt, als Tyrannenwut!« (ebd., 3–5).

Der letzte Satz des Zitats zeigt, wie Miller in doppelter Weise Einfluss auf Louise hat. Mehr noch als die Autorität, die ihm natürlicherweise im patriarchalen System zukommt, sind es seine zärtliche Anhänglichkeit an seine Tochter und umgekehrt ihre innige Liebe zu ihm, mit der er ihre sensiblen Gefühle in jede gewünschte Richtung lenken kann. Auch väterliche Eifersucht spielt dabei eine Rolle: »Wenn die Küsse deines Majors heißer brennen als die Tränen deines Vaters – stirb!« (ebd., 7f.) Die psychologische Feinheit, mit der Schiller die Vater-Tochter-Beziehung schildert, geht darum über die Vaterdarstellungen der typischen »Hausväterliteratur« des späten 18. Jahrhunderts hinaus.

Der schon in der Analyse des vierten Aktes erwähnte Interpretationsansatz, der Ferdinand trotz seines Aufbegehrens gegen seine Herkunftswelt selbst als charakteristischen Vertreters seines Standes betrachtet, scheint aufgrund des Handlungsablaufs im fünften Akt erst recht plausibel. Zum einen zeigt Ferdinand sich eisig und hart gegenüber Louises rührenden und für das Publikum geradezu beklemmenden Versuchen, eine Verbindung zu ihm herzustellen, auch wenn sie sich an ihren Eid gebunden fühlt und ihm die Wahrheit über den Brief nicht gestehen kann. Er hingegen kann gar nicht anders, als den Brief für bare Münze zu nehmen und sieht sie nurmehr als »Tausendkünstlerin [die] auch die Engel des Lichts hintergangen hat« (S. 659, 31–33) und »Mädchen, dem die heiligsten Gefühle der Liebe nur Puppen waren« (S. 663, 30f.).

Darum ist der Kampf mit seinem Gewissen in der vierten Szene rasch ausgestanden. Er glaubt, keine Schuldgefühle gegenüber Miller haben zu müssen, wenn er diesem die Tochter nimmt. Louise sei schließlich ohnehin nicht fähig zu echtem Gefühl, er fragt: »[W]as verliert er denn?« (ebd., 29f.) und versteigt sich zu grenzenloser Hybris mit seiner selbstgerechten Aussage:»Und ich verdiene noch Dank, daß ich die Natter zertrete, ehe sie auch noch den Vater verwundet« (ebd., 32–34).

Veröffentlicht am 22. März 2023. Zuletzt aktualisiert am 22. März 2023.