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Kabale und Liebe

4. Akt, Szene I–IX

Zusammenfassung

I – Saal beim Präsidenten

Ferdinand stürmt mit dem Brief, den er inzwischen gefunden hat, in den Saal des Präsidenten und fordert den Diener auf, den Hofmarschall zu ihm zu holen.

II – [Schauplatz bleibt gleich]

Während Ferdinand auf den Hofmarschall wartet, hält er einen Monolog. Darin zeigt er sich tief verletzt durch den Betrug, den er durch den Brief erkannt zu haben glaubt. Er ist sicher, dass er von Louise absichtlich hintergangen wurde. Noch einmal führt er sich Szenen ihrer Liebe vor Augen und sieht diese nun ausschließlich unter dem Aspekt der Täuschung. Ferdinand ist tief verzweifelt über Louises vermeintliche Falschheit. Er glaubt, sie habe ihre Gefühle für ihn nur gespielt, während er ihr sein Herz geöffnet hat.

III – [Schauplatz bleibt gleich]

Als der Hofmarschall erscheint, konfrontiert Ferdinand ihn mit dem Brief und fordert ihn zum Duell. Der Hofmarschall ist voller Angst und will nicht mit dem Sohn des Präsidenten kämpfen. Ferdinand hält ihm seine Pistole an den Kopf und will von ihm wissen, ob er mit Louise intim geworden sei. Doch der Hofmarschall erzählt ihm stattdessen die Wahrheit, dass er nämlich Luise überhaupt nicht kenne und Ferdinands eigener Vater hinter der Intrige stecke. Ferdinand glaubt ihm nicht. Er möchte den Hofmarschall töten, lässt die Pistole dann aber wieder sinken und schickt ihn voller Verachtung und rasend vor Wut fort.

IV – [Schauplatz bleibt gleich]

Erneut hält Ferdinand einen Monolog über seine innere Zerrissenheit und seine Gefühle gegenüber Louise. Er wendet sich an Gott und kündigt an, sich selbst zum Richter über Louise machen zu wollen und sie zu töten.

V – [Schauplatz bleibt gleich]

Der Präsident tritt auf und möchte seinem Sohn etwas Überraschendes mitteilen. Doch noch ehe er dazu kommt, entschuldigt sich Ferdinand bei ihm für sein uneinsichtiges, dummes Verhalten. Der Präsident habe mit allen Anschuldigungen und Verdächtigungen recht gehabt. Er sehe Louise nun als die Frau, für die sie sein Vater von Anfang an gehalten hat – eine Betrügerin. Der Präsident will jedoch keine Entschuldigung seines Sohnes hören. Vielmehr teilt er ihm mit, dass er die bürgerliche Louise jetzt heiraten dürfe. Scheinheilig gibt er vor, inzwischen mit allem einverstanden zu sein und eine Heirat der beiden nun zu begrüßen. Ferdinand will Louise jedoch gar nicht mehr haben und stürmt davon.

VI – Saal der Lady Milford

Lady Milford hat Louise zu sich gebeten und wartet gemeinsam mit ihrer Kammerdienerin Sophie auf die Ankunft der Nebenbuhlerin. Sie hat sich heute besonders kostbar gekleidet und noch mehr Pracht als gewöhnlich in ihren Räumen entfaltet. Sophie durchschaut ihren Versuch, Louise damit einzuschüchtern, was Lady Milford ärgert.

VII – [Schauplatz bleibt gleich]

Louise tritt in den Salon der Lady Milford. Sie ist zunächst scheu, entwickelt aber im Laufe ihres Gesprächs tapfere Standhaftigkeit. Als die Lady Louise herablassend anbietet, bei ihr als Kammerdienerin zu arbeiten, lehnt Louise das Angebot ab. Stattdessen verteidigt sie ihre bürgerlichen Werte und fragt Lady Milford, ob sie denn mit ihrem Leben am Hof glücklich sei. Diese erkennt, dass sie Louise nicht demütigen kann. Dennoch versucht sie weiterhin, ihre Macht auszuspielen, und bietet Louise nun Geld und Schmuck an, wenn sie Ferdinand entsagt. Louise entgegnet, dass sie freiwillig auf ihn verzichte, er aber in der Ehe mit Lady Milford weiterhin an sie denken werde. Sie kündigt an, sich umzubringen und stürmt davon.

VIII – [Schauplatz bleibt gleich]

Lady Milford ist beeindruckt vom Mut und von der inneren Größe der jungen Frau. Louises angekündigter Selbstmord gibt ihr die Kraft zu der Entscheidung, auf Ferdinand zu verzichten, aber zugleich auch ihr Verhältnis mit dem Herzog zu beenden und das Land zu verlassen. Sie beginnt, einen Brief an den Herzog zu schreiben.

IX – [Schauplatz bleibt gleich]

Lady Milford hat voller Aufruhr und innerer Bewegung ihren Brief an den Herzog verfasst. Der Hofmarschall tritt ein und ist verwundert, sie so aufgewühlt zu sehen. Sie bringt ihn dazu, ihrer ebenso überraschten Dienerschaft den Brief vorzulesen, in dem sie dem Herzog schwere Vorwürfe über die schlechte Behandlung seiner Untertanen macht. Unterzeichnet ist das Schreiben mit dem bürgerlichen Namen »Johanna Norfolk«. Dann verabschiedet sie sich von ihren Bediensteten und dem Hofmarschall. Sie verteilt ihr Geld unter ihrer Dienerschaft und übergibt dem Hofmarschall den Abschiedsbrief mit dem Auftrag, ihn dem Herzog zukommen zu lassen.

Analyse

Im vierten Akt bleibt die Spannung, die sich im dritten Akt aufgebaut und dort ihren Höhepunkt erreicht hat, zunächst erhalten. Die Intrige entwickelt sich ganz im Sinne Wurms und des Präsidenten, als Ferdinand durch den Liebesbrief, den Louise unter brutalem Zwang schreiben musste, auf eine falsche Fährte gelockt wird. Was sich im dritten Akt bereits angekündigt hatte, findet im vierten nun seine Bestätigung: Ferdinand trägt eine Mitverantwortung für die tragische Entwicklung.

Sein leidenschaftliches Temperament und sein aufbrausendes Wesen sind die Ursache dafür, dass er dem Augenschein sofort glaubt. Hatte er in der vierten Szene des dritten Aktes bereits Misstrauen gegenüber Louise geschöpft, weil sie Zweifel an einer gemeinsamen Zukunft geäußert hatte, so überfallen ihn jetzt vollends rasender Zorn und Hass. Somit wird er zum leichten Opfer der Intriganten (Beyer 313f.). Er gerät mit seinem angeblichen Nebenbuhler, dem Hofmarschall, gefährlich aneinander und will ihn sogar töten. Sein Zorn verschleiert ihm die Sicht auf seine eigentlichen Gefühle (ebd. 320).

Häufig ist darauf hingewiesen worden, dass in »Kabale und Liebe« zwar gezeigt werde, wie das individuelle Glück zweier Menschen durch den Despotismus der Ständegesellschaft zerstört wird, man aber auch den Anteil der Liebenden selbst daran nicht außer Acht lassen dürfe. Volker Krischel betont, dass Ferdinands Liebesideal im Laufe der Handlung immer mehr die Verbindung zur Wirklichkeit verliert: »Für Ferdinand zählt schließlich nicht mehr die Liebe zur realen Luise; Luise wird für ihn vielmehr nur noch zum ›Schlüssel‹ für die Erfüllung seiner Ideale« (Krischel, Abschnitt 3.4). Krischel zitiert dabei Henning Rischbieter, der diese Interpretation auf die Spitze treibt: »Total, totalitär, ja terroristisch wird dieser jegliche Realität verachtende Enthusiasmus für die eigenen Gefühle [...] in Ferdinand.« (ebd.)

Diese Verabsolutierung seiner subjektiven Empfindungen und damit auch der eigenen Verletzung angesichts des Briefes führt schließlich dazu, dass er sich sogar bei seinem Vater entschuldigt – dem Mann, der nichts als Verachtung für Louise übrig hat und somit sein Ziel erreicht. Der Präsident fügt der Intrige nun sogar noch einen weiteren raffinierten Schachzug hinzu, indem er Ferdinand auf einmal erlaubt, Louise zu heiraten. So kann er sich selbst als verständnisvollen Vater und die Trennung der Liebenden als Ferdinands alleinigen Entschluss erscheinen lassen.

Im gleichen Akt gewinnt Louise neue Erkenntnisse, als sie von Lady Milford zu einem Besuch gedrängt wird und bei diesem Treffen ungewohnt selbstbewusst auftritt. (Meise 73) Hier zeigt sich, wie sie gänzlich anders als Ferdinand mit ihren Gefühlen umgeht und auf die Situation reagiert. Sie steht zwar mutig zu ihren bürgerlichen Werten, erkennt aber auch die Realität an und ist zum Verzicht auf den geliebten Mann bereit. Dass sie allerdings zugleich vorhat, sich umzubringen, zeigt, dass sie keine alternativen Handlungsoptionen hat, sondern durch die väterliche Autorität und das christliche Normensystem konditioniert ist. Radikal gesagt: Sie verzichtet nicht wirklich, sondern verlegt die Vereinigung mit Ferdinand mangels Alternativen ins Jenseits.

Lady Milford hingegen erscheint zwar auf den ersten Blick als Verliererin im Zwiegespräch mit Louise, ist aber in Wahrheit die einzige selbstbestimmte Figur des Dramas. Sie macht eine innere Entwicklung durch und verzichtet auf Ferdinand nicht aufgrund äußerer Zwänge, sondern aufgrund eigener Einsicht. Louises ›Reinheit‹ und ihre Vorstellungen vom richtigen, gottgefälligen Handeln wirken, auch in ihren tragischen Konsequenzen, letzten Endes kindlich gegenüber dem entschlossenen Handeln der Lady im vierten Akt. Sie folgt keinen normierten Moralvorstellungen – die in ihrer gesellschaftlichen Position ohnehin eine untergeordnete Rolle spielen –, sondern ihrem eigenen Gewissen, wenn sie dem Herzog schreibt und alle Vorkehrungen trifft, um ein neues Leben abseits des Hofes zu beginnen.

Veröffentlicht am 22. März 2023. Zuletzt aktualisiert am 22. März 2023.