Kabale und Liebe
3. Akt, Szene I–VI
Zusammenfassung
I – Saal beim Präsidenten
Der Präsident und sein Sekretär Wurm sprechen über die Geschehnisse in Millers Haus und die vereitelte Verhaftung Louises. Der Präsident bereut, den Drohungen seines Sohnes nachgegeben zu haben. Er vermutet, Ferdinand hätte sie wahrscheinlich doch nicht in die Tat umgesetzt. Wurm, der Louise noch immer für sich gewinnen will, plant eine Intrige, um die Liebe zwischen ihr und Ferdinand zu zerstören. Er erläutert dem Präsidenten seinen Plan, Louise zu erpressen und die Liebenden mit einem gefälschten Brief gegeneinander auszuspielen. Louise soll die Hinrichtung ihres Vaters angedroht werden, falls sie sich weigert, einen Liebesbrief an Hofmarschall von Kalb zu schreiben. Außerdem soll sie unter Eid zur Geheimhaltung dieser Erpressung verpflichtet werden. Anschließend will Wurm Ferdinand den Brief in die Hände spielen und so seine Eifersucht wecken.
II – [Schauplatz bleibt gleich]
Der Präsident fordert Hofmarschall von Kalb auf, Ferdinand einen gefälschten Liebesbrief zuzuspielen, in dem der Hofmarschall als Louises Liebhaber erscheint. So soll Ferdinand zum Bruch mit Louise getrieben werden. Zunächst zögert der Hofmarschall, doch der Präsident stellt indirekt in Aussicht, andernfalls seine Stellung am Hof zu kündigen. Dies hieße, dass auch der Hofmarschall seine Position verlieren und einer ungewissen Zukunft entgegensehen würde. Daraufhin verspricht er dem Präsidenten, an der Intrige mitzuwirken.
III – [Schauplatz bleibt gleich]
In der nächsten Szene teilt Wurm dem Präsidenten mit, dass Miller und seine Frau erfolgreich verhaftet wurden. Im Anschluss zeigt er dem Präsidenten eine erste Fassung des Liebesbriefs, den er Louise diktieren will. Der Präsident ist sehr zufrieden mit den Machenschaften seines Günstlings und der Rohfassung des Briefs.
IV – Zimmer in Millers Wohnung
Ferdinand sucht Louise in ihrem Elternhaus auf und will sie zur gemeinsamen Flucht bewegen. Louise lehnt seinen Vorschlag jedoch ab; zum einen, weil sie ihre Eltern nicht im Stich lassen will, zum anderen, weil sie keine Zukunft für ihre Liebe sieht und sich den gesellschaftlichen Normen nun unterwerfen will. Darum teilt sie ihrem Geliebten mit, die Beziehung beenden und sich in Zukunft von ihm fernhalten zu wollen. Ferdinand gerät außer sich. Zum ersten Mal zweifelt auch er daran, dass es Sinn hat, für diese Liebe zu kämpfen. Außerdem ist sein Misstrauen geweckt und er vermutet, dass ein anderer Mann der Grund für ihre Entscheidung sei.
V – [Schauplatz bleibt gleich]
Louise fragt sich, wo ihre Eltern bleiben und warum ihr Vater noch nicht wieder zu Hause ist. Wurm tritt auf, bleibt aber noch unbemerkt im Hintergrund.
VI – [Schauplatz bleibt gleich]
Wurm zeigt sich Louise und erklärt ihr, dass ihre Eltern verhaftet und weggebracht worden seien. Er will nun die geplante Intrige umsetzen. Louise versteht zunächst nicht, welches Schicksal ihren Eltern bevorsteht. Wurm teilt ihr mit, dass ihrem Vater der Prozess gemacht werden solle und ihm die Todesstrafe drohe. Ihre Mutter habe man ins städtische Frauengefängnis gebracht. Der einzige Weg, ihre Eltern zu retten, sei der, einen Liebesbrief an den Hofmarschall zu schreiben.
Wurm diktiert Louise nun jede Zeile. Zwischendurch weigert sie sich weiterzuschreiben. Doch aus Angst um ihren Vater vervollständigt sie schließlich den Brief, der an den Hofmarschall adressiert wird. Louise wird unter Eid gezwungen, über den Vorgang zu schweigen. Wurm macht außerdem klare Andeutungen darüber, dass er Louise retten könne, wenn sie ihn heirate. Louise weist ihn deutlich zurück.
Analyse
Auch im dritten Akt spielen sich die Szenen in den beiden konträren Lagern Adel und Bürgertum ab, repräsentiert durch den Saal des Präsidenten und Millers Wohnung. Der Akt beginnt mit einer Szene am Hof, nämlich der Planung der Intrige durch Wurm und den Präsidenten. Die Handlung steigert sich damit noch einmal und baut erneut Spannung auf, bis sie am Ende des Aktes mit der Trennung von Ferdinand und Louise sowie Louises Erpressung durch Wurm ihren Höhe- und Wendepunkt (Peripetie) erreicht.
Die Voraussetzungen für die aus der Intrige resultierende Katastrophe sind nun geschaffen, und Louise und Ferdinand werden zu bloßen Marionetten des Präsidenten. Hier zeigen sich die Grenzen ihrer Autonomiebestrebungen. Während Louise dabei allerdings keine Wahl hat, sondern einer tragischen Situation ausgeliefert ist, in der jede ihrer Entscheidungen nur ins Unglück führen kann, hat Ferdinand durchaus verschiedene Handlungsoptionen.
Schon in der vierten Szene des ersten Aktes zeigt er sich unzugänglich gegenüber Louises Zweifeln und Ängsten. Er handelt hier – wenn auch aus großer Leidenschaft – sehr selbstbezogen; ein Zug, der in der vierten Szene des dritten Aktes erneut aufgegriffen wird. Louises Bedenken wischt er im Überschwang eigener Gefühle vom Tisch und lässt sie letzten Endes damit allein. Zugleich steigert er sich schon jetzt in ein rasendes Misstrauen und ist sogar bereit, Louise als »Schlange« (S. 623, 34) zu bezeichnen, obwohl der gefälschte Brief ihn noch gar nicht erreicht hat. Gelegentlich wird in der Forschung darauf hingewiesen, dass auch Ferdinand als typischer Vertreter seines Standes erscheint. Er will um jeden Preis seinen Willen durchsetzen, koste es seine Geliebte auch den Seelenfrieden.
Dramaturgisch wird so die eigentliche Intrige vorbereitet und geschickt begründet, warum Ferdinand ihr später so leicht zum Opfer fällt.
Louise trägt durch ihre Mitwirkung am gefälschten Brief und ihr Schweigen über seine Entstehung ebenfalls zur Trennung bei. Sie kann jedoch nicht anders handeln, wenn sie ihren Vater retten will. Weil sie im christlichen Wertesystem erzogen wurde, fühlt sie sich außerdem an einen Eid selbst dann gebunden, wenn dieser unter diabolischen Voraussetzungen erzwungen wurde: »Gott! Gott! und du selbst mußt das Siegel geben, die Werke der Hölle zu verwahren?« (S. 631, 18f.) Dieser Satz enthält indirekt die Kritik der Aufklärung an einer Religion bzw. einer Kirche, die die Menschen durch Angst in Unmündigkeit hält, sie unfähig zu selbstverantwortlichen Entscheidungen macht und damit ein repressives Gesellschaftssystem stützt.
Viele Interpreten haben aufgrund der beschriebenen Voraussetzungen die Brüchigkeit der Liebesgeschichte beschrieben. Peter Stein sagte anlässlich seiner Bremer Inszenierung des Stücks 1967, dass darin »das Traurigste die Liebe [sei]. Liebe, die – aus was für Gründen immer, wahrscheinlich aus einem verquälten Absolutheitswahn – nicht mehr eins ist mit sich, in Zweifel und Verdächtige auseinanderfiel, die ein gefährliches Prüfspiel geworden ist.« (Zitiert nach Krischel, Abschnitt 3.7)