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Kabale und Liebe

Historischer Hintergrund und Epoche

Schillers 1784 erschienenes Drama »Kabale und Liebe« entstand in der Epoche des Sturm und Drang (ca. 1765–1785). Diese literaturgeschichtliche Periode umfasst einen Zeitraum, der im Vergleich mit anderen als kurz angesehen werden kann. Politisch ist dieser Zeitabschnitt der Ära des Absolutismus zuzuordnen, einem System, das während dieser Jahre auch in Deutschland ins Wanken geriet, nachdem sich in anderen Ländern bereits große Umbrüche angekündigt hatten. Mit der Unterzeichnung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1776 und der aufrührerischen Stimmung in Frankreich, die die Revolution von 1789 vorbereitete, gab es im Ausland Vorbilder für Demokratiebestrebungen. 

Zum Zeitpunkt des Erscheinens und der Uraufführung von »Kabale und Liebe« aber waren die Kleinstaaten und Fürstentümer in Deutschland größtenteils vom Despotismus und der Verschwendungssucht der herrschenden Adelsklasse geprägt. Schiller lebte während der Entstehungszeit von »Kabale und Liebe« in Württemberg, wo er die höfische Dekadenz einerseits und die Not der Bevölkerung andererseits selbst vor Augen hatte.

Der Herzog von Württemberg, Karl Eugen, liebte Prunk und Prachtentfaltung und war für seine verschwenderischen Feste und ausufernden höfischen Veranstaltungen bekannt. Eine Parallele zur realen Situation in Württemberg findet sich auch in der Darstellung Lady Milfords. Karl Eugens Mätresse, der Gräfin von Hohenheim, sagte man nach, dass sie die schlimmsten Auswüchse der Mätressenwirtschaft verhindert und den Herzog, »davon abgehalten habe, Landmädchen und bürgerliche Frauen nach Belieben ins Bett zu ziehen« (Safranski 171). »Auch die kriecherischen und brutalen Höflinge im Stück erinnerten an reale Vorbilder in Württemberg.« (ebd.) Die Parallelen gingen so weit, dass sich noch 1792 die höfischen Kreise Stuttgarts über eine Aufführung beschwerten, weil die Anspielungen zu offensichtlich waren. (vgl. ebd.)

Zum Absolutismus gehört neben der Gewaltherrschaft des Adels auch eine streng hierarchisch gegliederte Gesellschaft, deren rigide Standesschranken die Aufrechterhaltung des adeligen Machtanspruchs garantieren und die gesellschaftliche Ordnung bestimmen. Natürlich war es im Interesse des Adels, standesübergreifende Liebesbeziehungen, wie sie von den Autoren des Sturm und Drang dargestellt wurden, zu verhindern. Die Kirche stützte mit ihren rigiden Moralvorstellungen das herrschende System, und ihre Vertreter wurden im Gegenzug von den Regierenden mit umfangreichen Privilegien ausgestattet. Wenn einzelne Bürger, wie im Drama Louises Vater Miller, die Standesschranken und die vorgegebenen Moralvorstellungen völlig verinnerlichten und daraus sogar ihr bürgerliches Selbstbewusstsein zogen, so konnte es ihnen bis zu einem gewissen Grad nur recht sein.

Anders sah es erst dann aus, wenn diese Schranken infrage gestellt wurden, wie es Schiller und andere Vertreter des Sturm und Drang taten, etwa der junge Goethe, Jakob Michael Reinhold Lenz oder Heinrich Leopold Wagner. Auf Basis ihrer Kritik kristallisierte sich eine Bewegung heraus, die für die Entfaltung eines jeden Individuums abseits politischer und gesellschaftlicher Barrieren kämpfte. Dies implizierte literaturtheoretisch zugleich die Negierung rigider Vorgaben und Konventionen zugunsten einer Literatur, die Emotionen und Eindrücke zur Geltung kommen lässt. (vgl. Henckmann 741)

Sinnliches gewinnt in dieser Literatur an Bedeutung. Der Rationalität der Aufklärung wird ein emotional aufgeladenes Gedankengut hinzugefügt, und die Beschränkung auf die Nutzung des Verstandes wird zu einem Denken hin geöffnet, welches die Natur und gleichzeitig alles Natürliche verstärkt in den Fokus nimmt und dies der festen Ordnung der Ständegesellschaft konträr gegenübersetzt. Die Natur ist dabei der Gegensatz zu einer Gesellschaftsordnung, die als unnatürlich gilt. Zugleich ist sie der Ursprung des Individuellen und der Ausgangspunkt alles Schöpferischen. (vgl. ebd.)

Veröffentlicht am 22. März 2023. Zuletzt aktualisiert am 22. März 2023.