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Kabale und Liebe

Interpretation

Die Rolle der Religion im Drama »Kabale und Liebe«

Die Religion und ihre Rolle für das Handeln des Individuums sind ein zentrales Thema im Drama. Das Christentum und seine Werte werden vor allem durch die Figur des bürgerlichen Stadtmusikanten Miller repräsentiert. Er ist ein gläubiger und kirchentreuer Hausvater, der erwartet, dass auch seine Tochter die Gebote Gottes respektiert. Miller und seine Frau haben ihre Tochter im Glauben erzogen, und auch Louise lebt ganz selbstverständlich nach christlichen Grundsätzen. Als sie sich in den adeligen Ferdinand von Walter verliebt, gerät ihr innerer Friede jedoch ins Wanken. So erwähnt sie, dass sie sich im Gottesdienst nicht mehr konzentrieren könne: »Ich hab keine Andacht mehr Vater« (S. 572, 28f.). 

Indem Schiller im weiteren Handlungsverlauf Louises Suizid thematisiert, fordert er die Kirche mit seinem Werk heraus. Neben den Angriffen auf den Adel lag es vor allem an diesem Motiv, dass viele Bühnen das Stück nach seinem Erscheinen nicht aufführen wollten; es galt als gotteslästerlich.

Miller sieht die Beziehung seiner Tochter mit Ferdinand als Sünde an und will auf keinen Fall, dass die beiden heiraten. Die Religion ist damit zum einen eine repressive Macht, die das Einhalten von Regeln fordert und die Liebe der beiden Hauptfiguren verhindert. Andererseits gibt sie Louise, die im irdischen Leben auf Ferdinand verzichten will, aber auf eine Vereinigung in der jenseitigen Welt hofft, auch Trost in verzweifelter Lage. Ferdinand hingegen hat keine vergleichbar starke Bindung an den Glauben, zeigt seine christliche Grundeinstellung aber im letzten Akt, als er seinem Vater vergibt. Er übernimmt hier die Werte seiner verstorbenen Geliebten und handelt in ihrem Sinne. 

Der skrupellose Adel nutzt die Religion lediglich als Druckmittel gegenüber dem Volk. Christliche Werte spielen für sein Handeln ansonsten keine Rolle; es wird gelogen, getäuscht und gedroht. Der Präsident opfert sogar das Glück seines eigenen Sohnes, um seine Stellung am Hof zu sichern. 

 

»Kabale und Liebe« als Spiegel des gesellschaftlichen Umbruchs

Friedrich Schiller lebte selbst bis 1782 in Württemberg und wurde stark durch die gesellschaftlichen Zustände, die zu dieser Zeit dort herrschten, geprägt. In Württemberg herrschte Herzog Karl Eugen, der für seine Verschwendungssucht und seinen ausschweifenden Lebensstil bekannt war. Im späten 18. Jahrhundert veränderten sich die gesellschaftlichen Strukturen und es formierte sich eine gebildete bürgerliche Schicht. Die Überlegenheit des Adels wurde von nun an immer brüchiger, denn diese neue Bürgerschicht setzte sich aus Künstlern, Pfarrern, Ärzten und Lehrern zusammen. Sie verkörperte im Gegensatz zur alten Bürgerschicht – im Drama von Louises Vater Miller repräsentiert – neue Werte und modernere Ansichten. Der Adel fühlte sich dennoch weiterhin dem Bürgertum überlegen und wollte unterbinden, dass sich verschiedene Gesellschaftsschichten miteinander vermischten. Obwohl diese Überheblichkeit keinesfalls mehr gerechtfertigt war, lebte der Adel weiterhin nach diesem Muster. Darum waren Ehen über die Standesschranken hinweg vielfach verboten. 

 

Raumkonzept als Veranschaulichung der rigiden gesellschaftlichen Grenzen 

Zur charakteristischen Struktur des Werkes gehört die Raumkonzeption innerhalb des Stückes. Millers Wohnung kann als zentraler Ort gesehen werden, an dem die Handlung beginnt und endet. Seine Räumlichkeiten werden detailliert dargestellt und ihr privater Charakter unterstrichen, während die repräsentativen Räumlichkeiten am Hof nur grob umrissen werden. So werden die Privatpersonen der Familie Miller dem öffentlichen Charakter der adeligen Rollen gegenübergestellt (vgl. Meise 69f.). Der Adel hat hierbei größere Handlungs(spiel)räume, während der Handlungsraum der Personen um Miller deutlich kleiner erscheint, was sich im begrenzten Raum seiner Privatwohnung physisch manifestiert. Die Räume im Drama sind darüber hinaus von Grenzen umschlossen. Diese scheinen nur von Männern überwunden werden zu können, da diese auch außerhalb von Innenräumen dargestellt werden. Ferdinand überwindet diese Grenzen in besonderem Maße. (vgl. ebd.)

Schillers Raumkonzeption und die zugehörigen Trennlinien verdeutlichen die hierarchische Struktur des Absolutismus und zeigen Missstände im Staatswesen auf. Die theoretischen Positionen des Sturm und Drang und seine Kritik an der herrschenden Gesellschaftsordnung werden mit dieser Konzeption auch anhand der Handlungsorte vermittelt. Die Raumaufteilung zeigt eindrücklich, dass die unterschiedlichen Handlungsoptionen einer Figur von ihrer sozialen Stellung und Rolle abhängen und dass die individuellen Handlungsräume nur bedingt aufgebrochen werden können. Die klar begrenzte und begrenzende Struktur kann dies besser veranschaulichen, als es ein von Beginn an offenes Raumkonzept könnte. 

Veröffentlicht am 22. März 2023. Zuletzt aktualisiert am 22. März 2023.