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Ein Sommernachtstraum

Aufbau des Werkes

In seiner Unterteilung in fünf Akte folgt »Ein Sommernachtstraum« der klassischen Dramenstruktur der Antike. Allerdings ist davon auszugehen, dass diese erst von den Herausgebern der Folio-Ausgabe vorgenommen wurde und nicht von Shakespeare selbst stammt (Ulm, 37).

Orientiert man sich – ungeachtet des Anachronismus – an dem im 19. Jahrhundert von Gustav Freytag entwickelten, pyramidalen Dramenmodell, ergibt sich etwa folgendes Bild: Der 1. Aufzug bildet die Exposition und die Einführung in das Drama; Zeit, Ort und der Konflikt der Figuren werden vorgestellt. Die Spannungen werden mit der steigenden Handlunge im 2. Aufzug vorangetrieben und durch das Eingreifen von Oberon und Droll verstärkt. Den Höhepunkt bildet die 2. Szene des 3. Aufzugs, in dem das Liebeschaos in einem heftigen Streit zwischen Hermia, Lysander, Helena und Demetrius ausartet. Mit der 1. Szene in Aufzug 4 wird die Wende herbeigeführt. Die Paare finden wieder zueinander, auch Oberon und Titania versöhnen sich. Eine kurze Retardation, ein Hinauszögern des Happy Ends, findet sich in Szene 2, Aufzug 4, als die Handwerker ihren Mitspieler Zettel vermissen. Der 5. Aufzug umfasst nur eine Szene, in der die Hochzeiten gefeiert werden und alle Figuren beteiligt sind. Die Harmonie wurde wiederhergestellt und lässt das Drama in einem Happy End enden.

Mit dieser Aufteilung wird dem Werk ein äußerer Rahmen verliehen, innerhalb dessen nicht ein einzelner linearer, sondern vier parallele Handlungsstränge stattfinden. Diese sind jedoch miteinander verknüpft und bauen kausal aufeinander auf. Jedem Handlungsstrang ist dabei eine bestimmte Figurengruppe zugeordnet.
Den ersten bilden Theseus und Hippolyta. Ihre Hochzeit und die damit verbundene Planung stecken einen zeitlichen Rahmen für die übrige Handlung. Ihr Figurenstrang bleibt als einziger konfliktlos. Hippolyta und Theseus symbolisieren als Figuren des Tages die Vernunft und agieren als neutraler Bezugspunkt.
Hermia und Lysander sowie Demetrius und Helena bilden in ihrem Beziehungskomplex den zweiten Strang, welcher über Egeus mit Theseus verbunden wird.
Das Feenreich, vertreten durch Oberon, Titania und Droll, macht die dritte Komponente aus. Die Handwerker bilden den vierten Strang. Drei und Vier werden durch die Verwandlung von Titania und Zettel miteinander verknüpft. Das geschieht sogar räumlich, indem die verliebte Titania Zettel mit in ihr Elfenreich nimmt. Die Verzauberung von Lysander und Demetrius stellt eine Verbindung zwischen den Elfen und den jungen Sterblichen her. Deren Aufenthalt im Wald, dem Reich der Feen und Geister, bindet diese zusätzlich an einen Ort.
Alle Verstrickungen werden im 4. Aufzug aufgelöst. Erst danach betritt Theseus den Wald, vereinbart die Hochzeit der Liebenden und schließt somit den zu Beginn geöffneten Rahmen. Bei den Feierlichkeiten sind alle Figuren beteiligt, auch die Feen, die in der Nacht den Segen für die frisch Vermählten sprechen. Während zuvor die Sterblichen in das Feenreich vorgedrungen sind, betreten die Feen nun auch die Welt der Sterblichen, was für Ausgleich und Symmetrie sorgt.

Die Verflechtung der Handlungsstränge und Konflikte erlauben der Regie, die Figuren in entsprechenden Konstellationen auf der Bühne anzuordnen, zum Beispiel in symmetrischen Gegenüber- oder Überkreuzstellungen. Insbesondere der Streit in Aufzug 3, Szene 2, bei dem auch die Feen anwesend sind, ermöglicht eine systematische Choreografie der Positionen wie in einem Tanz. (Ulm, 40) Symmetrie zeigt sich auch in der Abfolge der Szenen. Während im antiken Theater nur ein Schauplatz gewählt wurde, erstreckt sich die Handlung in »Ein Sommernachtstraum« auf den Palast und Squenz’ Wohnung in Athen und den Wald. Die Szenen sind dabei in folgender Anordnung konzipiert: Beginn in Theseus’ Palast, gefolgt von dem Treffen der Handwerker in Squenz Wohnung. Im Mittelteil spielen fünf Szenen im Wald, bevor ein erneuter Wechsel zu Squenz’ Wohnung und dem Abschluss im Palast erfolgt. Somit orientiert sich Shakespeare an der ABA-Struktur (Jarfe, 72). Auch die Gegenüberstellung von Tag und Nacht fließt dabei mit ein. Anfang und Ende des Dramas spielen am Tag, während sich der Mittelteil im Wald in der Nacht ereignet.

Darin zeigt sich, dass das Werk insgesamt von zahlreichen Parallelen und Kontrasten durchzogen wird. Diese offenbaren sich in den eben aufgezeigten Gegenüberstellungen von Stadt und Natur, Tag und Nacht sowie in den Themen Schein und Sein sowie Traum und Wachen. Auch die Figurenstränge bedienen sich dieser Konzeption: Theseus und Hippolyta sind ein Herrscherpaar wie Oberon und Titania, wirken allerdings in unterschiedlichen Reichen. Diese Reiche trennen auch Zettel und Droll. Beide sorgen jedoch für Witz und Schabernack, Zettel eher unbewusst, während Droll ihn willentlich herbeiführt. Eine deutliche Parallele zeigt sich auch in den Liebesbeziehungen von Hermia und Lysander und Helena und Demetrius. Deren glücklicher Ausgang wird dem tragischen Ausgang von Pyramus und Thisbe gegenübergestellt.
Das Liebesquartett um die jungen Paare ist allerdings nicht das einzige. Ihm stehen ein weiteres durch den Ehekonflikt von Oberon und Titania, in welchen sie Theseus und Hippolyta mit einbeziehen, gegenüber. Mit der Verzauberung Titanias und ihre Zuneigung für Zettel werden selbst die Handwerker in diese Struktur eingebunden.
Die Struktur der Komödie insgesamt beruht auf einer zwischenzeitlich falschen Zuordnung von Liebenden. Die Ausgangssituation zwischen Demetrius und Helena sowie Lysander und Hermia, wie sie vor Dramenbeginn bestanden hat, wird durch Egeus’ Hochzeitsvorstellungen und durch Demetrius’ Unbeständigkeit durchkreuzt.
Während die Vorwürfe der Untreue vom Elfenpaar nicht weiter ausgeführt werden und Theseus und Hippolyta von derartigen Verstrickungen verschont bleiben, wählt Oberon im Streit um den indischen Fürstenjungen, der im Vordergrund steht, die absichtlich herbeigeführte Liebesverirrung seiner Königin als Mittel, seinen Willen durchzusetzen. So wird die Gelegenheit für eine Verzauberung auch der jungen Sterblichen geschaffen und die Flucht, die Hermia und Lysander gewählt hatten, um sich dem Zugriff der elterlichen und staatlichen Autorität zu entziehen, muss nicht zur Ausführung kommen. Zum Schluss werden alle Liebenden wieder in harmonischen Konstellationen zusammengeführt.

»Ein Sommernachtstraum« ist somit eine durchdachte und stimmige Komposition, die es mithilfe von strukturierten Handlungsorten und Parallelen in den Figurenkonstellationen dem Publikum erleichtert, den erzählten Verwechslungen und Irrungen zu folgen. Die Handlungsdauer erstreckt sich über vier Tage und Nächte. In der 1. Szene, an Tag 1, kündigt Theseus seine Hochzeit in vier Tagen an. Noch am selben Tag verabreden sich Lysander und Hermia zur Flucht und die Handwerker zur Probe im Wald für den Abend des darauffolgenden Tages. In der Nacht vom 2. auf den 3. Tag kommt es zum Einwirken der Elfen und zum Höhepunkt des Dramas. Am Morgen des 3. Tages plant Oberon am Abend des darauffolgenden Tages auf Theseus’ Hochzeit zu tanzen. Obwohl Theseus am selben Morgen beschließt, sogleich die Vermählungen vorzunehmen, ist davon auszugehen, dass diese an Tag 4 stattfindet, was im leichten Widerspruch zum anfangs angekündigten 5. Tag steht.

Veröffentlicht am 30. Juni 2023. Zuletzt aktualisiert am 30. Juni 2023.