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Ein Sommernachtstraum

Interpretationsansätze

Liebe, Ehe und Geschlechterrollen

Liebe und Ehe gelten als traditionelle Themen in der elisabethanischen Komödie. In »Ein Sommernachtstraum« kommen diese in verschiedenen Figurenkonstellationen vor, die letztendlich alle miteinander verknüpft sind: das Herzogspaar Theseus und Hippolyta, die jungen Paare Lysander und Hermia sowie Demetrius und Helena und das Elfenpaar Oberon und Titania. Die Liebenden werden mit Konflikten und Hindernissen konfrontiert, die sich zum Dramenende in einem Happy End auflösen. Die Ehe fungiert dabei als Ziel und Lösung. Sie bietet Struktur und Ordnung und ist ein fundamentaler Bestandteil der sozialen Gefüge in der Gesellschaft der Renaissance. 

Diese Epoche war von einem patriarchalen System geprägt. Frauen mussten sich ihren Ehemännern unterordnen. Besonders deutlich wird dies am Beispiel von Theseus, der seine Verlobte im Kampf erobert hat. Hippolyta fügt sich ihrer Rolle und heiratet ihn. Auch Oberon setzt seinen Willen im Streit mit Titania mithilfe drastischer Mittel durch und belegt sie mit einem Zauber. Am Ende überkommt ihn jedoch das Mitleid. Hermia wird von den Vorstellungen ihres Vaters bestimmt und hat sich diesen zu fügen. Ihre Weigerung erweckt Aufsehen. 

Letzten Endes finden alle Paare zueinander. Auffallend ist aber, dass Helena und Hermia vor ihrer Hochzeit ihre Gefühle und Wünsche deutlich zum Ausdruck bringen, nach der Eheschließung allerdings verstummen. Dies erweckt den Eindruck, als ob sie hinter der Meinung ihrer Ehemänner verschwinden. (Ulm, 53f.)

Neben dem Lob auf die Ehe wird in »Ein Sommernachtstraum« auch die Liebe thematisiert und hinterfragt: Was bedeutet echte Liebe und wie weit sind die Betroffenen bereit, dafür zu gehen? Die Beantwortung dieser Fragen wird durch die von Zaubereien und Verwechslung herbeigeführten Verstrickungen erschwert. Der Unterschied zwischen wahnsinniger und wahrhaftiger Liebe wird jedoch herausgestellt. Lysander beschreibt die auf Gegenseitigkeit beruhende Liebe zu Hermia mit einer Einheit: »mein Herz sei Eurem so verbunden, | Daß nur ein Herz in beiden wird gefunden« (24). Das Bild der Einheit wird allerdings auch bei der Beschreibung einer nicht romantischen, sondern auf Freundschaft beruhenden Liebe zwischen Helena und Hermia verwendet (vgl. 39). Die durch Zauber verursachte Zuneigung gleicht hingegen einer Verklärung, der es an Tiefgründigkeit mangelt: »Durch Feuer lauf ich, wenn’s dir Freude machet! | Verklärte Helena, so zart gewebt, | Daß sichtbar sich dein Herz im Busen hebt!« (25). Allerdings gilt es dabei zu differenzieren: Demetrius bleibt bis zum Schluss unter der Wirkung des Zaubers, die ihn letztendlich zu Helena zurückführt und ausgeglichener auftreten lässt als zuvor. 

Dass Liebe zahlreichen Hindernissen gegenüberstehen kann, spüren Hermia und Lysander unter den strengen gesellschaftlichen Normen und Tabus der Renaissance deutlich. In »Ein Sommernachtstraum« bilden diese nur die Ausgangslage. Trotzdem sei darauf hingewiesen, dass selbst im 21. Jahrhundert derartige Problematiken nicht an Aktualität verlieren.

 

Ordnung und Chaos

Shakespeares Weltbild war stark von der elisabethanischen Epoche geprägt. In dieser kam Ordnung ein hoher Stellenwert zu. Man fürchtete »Confusion« und damit jegliche Form von Störungen der Harmonie. Daher lässt sich die Thematik auch in zahlreichen Werken aus dieser Zeit wiederfinden. (Ulm, 55)

In »Ein Sommernachtstraum« sorgen Streitigkeiten und Liebeswirren für Chaos. Das beginnt bereits in der 1. Szene. Hermia stellt sich gegen den Willen ihres Vaters; Demetrius, der erst um Helena geworben hat, will nun nahezu krampfhaft Hermia für sich gewinnen; Helena reagiert verletzt und eifersüchtig. Dieses Szenario spitzt sich mit dem Eingreifen von Oberon und Droll drastisch zu. Doch Oberon befindet sich selbst im Ehezwist mit seiner Frau Titania. Ihre Vorwürfe und Unstimmigkeiten manifestieren sich bereits in Hungersnöten, Seuchen und Naturkatastrophen. Die Liebe galt zu Shakespeares Zeiten als ein universelles Verbindungselement und Voraussetzung für den reibungslosen Ablauf von Naturkreisläufen und menschlichem Miteinander (Ellenrieder, 41). Diese Auffassung, die durch die Kirche vertreten wurde, entsprach einer göttlichen Ordnung, welche bei Streit aus den Fugen gerät und zum Chaos führt. Im Drama zeigt sich das an den von Titania beschriebenen Naturereignissen oder dem Vertrauensbruch von Demetrius gegenüber Helena.

Durch Verwechslungen, Liebeszauber, Eifersucht und Rivalität werden die Beziehungen zwischen Lysander, Hermia, Helena und Demetrius auf die Probe gestellt. Obwohl der von den Elfen verabreichte Liebestrank das Fass zum Überlaufen bringt, kann das Gefühlschaos der jungen Verliebten auch als ein Bild der menschlichen Emotionen und deren Unbeständigkeit verstanden werden, unabhängig von Geistern und Zauberformeln. Die jungen Männer und Frauen werden Opfer ihrer unberechenbaren Gefühle. Lysander liebt erst Hermia, dann Helena. Demetrius entscheidet sich erst für Helena, dann für Hermia und kehrt dann doch zu Helena zurück. Helena kann Demetrius trotz seiner Zurückweisung nicht loslassen und Hermia basiert ihre Entscheidungen auf der Liebe zu Lysander. Dieses facettenreiche Bild zeigt die Irrationalität und teilweise die Widersprüchlichkeit der Liebe auf. Helena verleiht dem in ihrem Monolog in der 1. Szene des 1. Aufzugs Ausdruck: »Sie [die Liebe] sieht mit dem Gemüt, nicht mit den Augen | Und ihr Gemüt kann nie zum Urteil taugen. | Drum nennt man ja den Gott der Liebe blind« (10), und verhilft dem Werk somit zu einer tieferen Bedeutungsebene auf Basis der komplexen menschlichen Emotionen.

Ziel ist es jedoch, in all dem Chaos die ersehnte Ordnung wiederherzustellen, was im Drama insbesondere durch Oberon vorangetrieben wird. Auch hier spielen Liebe und Ehe eine tragende Rolle. Mit der Auflösung von dem auf Lysander liegenden Zauber finden die Paare wieder zueinander. Damit werden auch die moralischen Vorstellungen erfüllt: Lysander liebt wieder Hermia und Demetrius, der erst mit Helena gebrochen hat, ist zu ihr zurückgekehrt. Diese Errungenschaft wird mit der Ehe besiegelt, die für Ordnung und Struktur sorgt und das Happy End herbeiführt. Die Versöhnung wird mit Musik und Tanz gefeiert, sowohl bei den Hochzeitspaaren als auch im Feenreich. Dies stellt einen erneuten Bezug zum elisabethanischen Harmonieverständnis her, laut dem Musik als Symbol für die natürlich-göttliche Harmonie galt (Ellenrieder, 42).

Chaos zeigt sich zum Schluss nochmals in der von den Handwerkern aufgeführten Tragödie, die unter zeitgenössischem Bezug einen starken Stilbruch darstellt. Die laienhafte Darbietung von Arbeitern in Kombination mit einfacher Sprache bildet einen scharfen Kontrast, wo die Tragödie doch schwere und ergreifende Themen von adligen Figuren behandelte. Das tragische Ende von Pyramus und Thisbe kann als Warnung vor der Abwesenheit von Harmonie interpretiert werden. (Ellenrieder, 39f.)

 

Schein und Wirklichkeit

Obwohl die Konflikte der Figuren bereits am Tage bestehen, erreichen sie in der Nacht ihren Höhepunkt. Die Grenzen zwischen Schein und Wirklichkeit verschwimmen. Nach dem Erwachen sind sich die Betroffenen nicht sicher, was geschehen ist. Das Erlebte fühlt sich wie ein Traum an. Die Nacht erhält dabei die Symbolik von Irrung und Illusion, denn das Licht, welches die Vernunft darstellt, fehlt. Laut mittelalterlichem Verständnis beinhaltet Schlaf die Gefahr von Verwirrung, da sich in diesem Zustand der Verstand von der Seele löse und so nicht mehr zu gebrauchen sei (Ellenrieder, 38). So ergeht es Titania, die plötzlich einen Handwerker mit Eselskopf begehrt, eine groteske Liebe unter ihrem Stand. Allerdings wird sie Opfer des Liebeszaubers, der sich der Augenmetaphorik bedient: Im Schlaf wird der Saft der Zauberblume in die Augen geträufelt. Das erste Wesen, das man nach dem Erwachen erblickt, entfacht eine tiefe Zuneigung bei dem oder der Betroffenen. Ein erneuter Schlaf erlöst die Verzauberten von ihrem Bann und schenkt ihnen nach dem Erwachen wieder klare Sicht. Es erfolgt ein ständiger Wechsel zwischen Traum und Wirklichkeit, Schlaf und Wachzustand. Doch was von beiden ist Schein und was ist Sein?

»Ein Sommernachtstraum« wird so zum Spiel der Illusionen. Bei Demetrius wird der Liebeszauber nicht aufgehoben. Allerdings schenkt ihm dies weitaus mehr Aufrichtigkeit in seinem Wesen und Handeln, als er zuvor mit der krankhaften Besessenheit von Hermia an den Tag gelegt hat. Bei Lysander ist die Wirkung umgekehrt. Dieser hatte ehrliche Gefühle für Hermia, wurde durch den Zauber von einem wahnsinnigen Schwärmen für Helena befallen und kehrte nach der Aufhebung zu Hermia zurück. Die Besessenheit von anderen Personen schürt Chaos und Streit. Sie bedeutet die Entfremdung von der Vernunft, die als Distanzierung von Gott gedeutet wurde. Denn die Vernunft galt als göttliches Geschenk, das den Menschen vom Tier unterscheide. (Ellenrieder, 37)

Titania erschrickt nach ihrem Erwachen über die Nähe zu dem eselsköpfigen Zettel. Sie kehrt somit zur Vernunft zurück und kann sich nicht erklären, was geschehen ist. Für Zettel hat das Erlebte eine tiefere Bedeutung, wie ein Traum, den er nicht in Worte fassen kann, weshalb Squenz ihm eine Ballade darüber schreiben soll. 

Das Traum-Thema steckt bereits im Dramentitel und zielt auf die Mittsommernacht ab, ein Fest, das mit Bräuchen und bösen Geistern in Verbindung stand und die Menschen den Alltag für eine Nacht vergessen ließ (ebd., 16).

In seinem abschließenden Monolog kleidet Droll das gesamte Stück in einen solchen Traum: Die Schauspieler haben eine Illusion erschaffen, das Dargebotene nur vorgetäuscht. Dennoch ist es für das Publikum sichtbar, erfahrbar, real, genauso wie der Traum für den Träumenden. 

Als Hermia, Lysander, Demetrius und Helena aus ihrem Schlaf erwachen, sind sie nicht sicher, ob sie nun wieder bei Bewusstsein sind. Erst ihre Übereinstimmung in dem Erlebten lässt sie es glauben.

In der letzten Szene bietet die Meinungsverschiedenheit zwischen Theseus und Hippolyta Diskussionsmaterial. Theseus glaubt nicht an die Fantasien der Verliebten und hält sie für von der Nacht herbeigeführte Einbildungen. Als richtende Instanz, dessen Figur nur bei Tageslicht auftritt, symbolisiert er somit deutlich die Vernunft. Hippolyta hält jedoch dagegen, obwohl sie ebenfalls zu den Figuren des Tages gehört und entkräftet Theseus’ Meinung: Alle Beteiligten haben dieselben Sonderbarkeiten erlebt und deshalb »wird daraus ein Ganzes voll Bestand« (56).

»Ein Sommernachtstraum« zeigt ein dichterisches Kunstwerk, ein Spiel der Fantasie, das dennoch realistisch nachvollziehbar ist. Es thematisiert den ständigen Wechsel, den Balanceakt zwischen Schein und Wirklichkeit, Wissen und Nichtwissen, nicht nur in Dialogen und Monologen, sondern in seiner Gesamtheit. (Ulm, 76)

Veröffentlicht am 30. Juni 2023. Zuletzt aktualisiert am 30. Juni 2023.