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Leben des Galilei

Aufbau des Werkes

Das Werk umfasst in seiner endgültigen Fassung 15 Szenen, die ähnlich wie Kapitel mit arabischen Zahlen nummeriert sind. Da die für das klassische aristotelische Drama typische Einteilung in Akte fehlt, wird empfohlen, »statt des Begriffs ›Szene‹ [...] den Begriff ›Bild‹ [zu] verwenden« (Hahnengreß 8). Wie auch der Titel des Dramas »Leben des Galilei« bereits anklingen lässt, stehen diese Bilder für die verschiedenen Stationen im Leben von Galileo Galilei.

Einen direkten zeitlichen Bezug zwischen den einzelnen Bildern gibt es nicht. Auch wechseln häufig die Schauplätze und handelnden Figuren, sodass die Lesenden beziehungsweise Zuschauenden sich jedes Mal aufs Neue auf den Fortgang der Handlung einstellen müssen. Orientierung bietet aber der chronologische Aufbau des Stücks sowie die Szenenüberschriften, die teils nur aus einem Wort, teils jedoch auch aus ein oder mehreren Sätzen bestehen und das Geschehen des jeweiligen Bildes zusammenfassen.

Ein weiteres wichtiges strukturgebendes Gestaltungsmittel ist das sogenannte Epigramm, das mit Ausnahme der Bilder 5, 10 und 12 in allen Szenen des Stücks zwischen der Überschrift und der nachfolgenden Szenenbeschreibung beziehungsweise Regieanweisung steht. Das Epigramm wird auch als »Sinngedicht« bezeichnet und stammt »aus dem Griechischen, wo es sich von der Aufschrift auf Grabmälern und Gebäuden zu einer literarischen Gattung entwickelt hat« (Van Rinsum 157).

Typisch für Epigramme ist die Versform und eine antithetische Struktur, in der Aussagen gegenübergestellt werden. Brecht setzt das Epigramm ein, um das Geschehen zu kommentieren und gleichzeitig inhaltlich vorwegzunehmen. Durch die direkte Ansprache an das Publikum wird der sogenannte Verfremdungseffekt erreicht. So konzentrieren sich die Zuschauenden zwangsläufig mehr auf die Darstellung selbst und es wird eine kritische Distanz zwischen Inhalt auf der einen Seite sowie Rezipientinnen und Rezipienten auf der anderen Seite geschaffen. Dies entspricht Brechts Konzeption des epischen Theaters, in dem dramatische und erzählerische Elemente vermischt werden.

Trotz der lockeren äußeren Form und epischen Aneinanderreihung der 15 Bilder, durch welche das Drama »den Charakter der Chronik« oder »Biographie« (Hahnengreß 8) erhält, ist der innere Aufbau komplex und folgt einem eindeutigen Schema und Spannungsbogen:

  • Die Bilder 1 bis 3 schildern die Entdeckungen und Erkenntnisse der Jahre 1609 und 1610 eines neuen weltverändernden Wissens.
  • Dieses Wissen ruft in den Bildern 4 bis 8 die Gegner Galileis auf den Plan, die ihn schließlich im Jahr 1616 ermahnen, seinen Erkenntnissen abzuschwören.
  • Zwischen Bild 8 und 9 liegt eine achtjährige Phase des Schweigens, die nicht Teil des Stücks ist und nur durch die Szenenüberschrift in Bild 9 Erwähnung findet.
  • In den Bildern 9 bis 13 verschärft sich der Konflikt, bis Galileo Galilei im Jahr 1633 seine geäußerten Ideen widerruft.
  • Nach einem weiteren Zeitsprung von etwa drei Jahren werden in Bild 14 und 15 die persönlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen des Widerrufs thematisiert.

Brecht wendet in seinem Schauspiel das »Prinzip der Dialektik« (Nutz 13) an, welches mit den strukturgebenden Konzepten von Parallele und Kontrast arbeitet. »Durch den Gegensatz von Dramenhandlung und Reflexionsdialogen und das szenische Bauprinzip von Parallele und Kontrast wird der Zuschauer zu einer kritischen Beurteilung des Geschehens auf der Bühne herausgefordert.« (Hahnengreß 10) Aus diesem Grund wird das epische Theater oftmals auch »dialektisches Theater« genannt.    

Veröffentlicht am 13. November 2023. Zuletzt aktualisiert am 13. November 2023.