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Leben des Galilei

Historischer Hintergrund und Epoche

Bertolt Brecht schrieb die erste Fassung des Stücks »Leben des Galilei« während seiner Zeit im dänischen Exil im November 1938. Aus diesem Grund lässt sich dieses Schauspiel auch der literarischen Strömung Exilliteratur zuordnen, deren vorrangiges Merkmal die Ablehnung des Nationalsozialismus war.

Die erste Fassung des Stücks ist vor dem Hintergrund der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 entstanden. Noch im selben Jahr hatte Brecht Deutschland verlassen müssen und stellte fortan »seine Arbeit [...] in den Dienst des Kampfs gegen den Faschismus« (Hahnengreß 78). Obwohl das Stück in seiner ersten Fassung kaum zeitgeschichtliche Bezüge aufweist, so thematisiert es dennoch eine Grundproblematik, die sich durchaus auf den Nationalsozialismus beziehen lässt. Es geht um die Verantwortung des Wissenschaftlers, die Wahrheit auch gegen alle Widerstände und Gefahren für das eigene Leben zu vertreten.

In der Folgezeit nahm Brecht mehrere Umarbeitungen des Stücks vor, die sich in der zweiten oder auch amerikanischen Fassung von 1945 sowie in der dritten oder auch Berliner Fassung um 1955 niederschlugen. Von der ersten Planung des Stücks im Jahr 1933 bis zur finalen Ausarbeitung und Aufführung in Deutschland ab 1955 vergingen also nicht weniger als 22 Jahre.

In den verschiedenen Fassungen des Stücks wird die Person und das Versagen Galileis als Wissenschaftler unterschiedlich dargestellt und bewertet. Während Galilei in der dänischen Fassung noch ganz bewusst widerruft, um heimlich sein Werk beenden zu können, wird sein Widerruf in der amerikanischen und Berliner Fassung als Verrat oder gar als Verbrechen umgedeutet. Diese wichtige Änderung in der Konzeption und Gesamtdeutung des Werkes erfolgte »nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki« (Große 16), die für Brecht eine Neubearbeitung des Stücks unumgänglich machten.

In Vorbereitung auf die erste Niederschrift des Stücks beschäftigte sich Bertolt Brecht intensiv mit den ihm zur Verfügung stehenden Materialien zu Galilei und den verschiedenen Weltbildern sowie physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Trotz der zahlreichen Bezüge zum Leben und Wirken Galileis »ist es nicht unwichtig, sich stets vor Augen zu halten, dass es sich bei dem Galilei Brechts eben um eine literarische und damit fiktive Figur und nicht etwa um den ›echten‹ Galilei handelt.« (Diekhans und Völkl 101)

Dennoch folgt der Aufbau der Handlung weitestgehend den historischen Tatsachen. So sind die einzelnen Ereignisse entweder »historisch belegt« oder »zumindest historisch denkbar« (Hahnengreß 79). Manchmal veränderte Brecht kleine Details aus Gründen der Dramaturgie.

Brechts Ziel war es, den Fall Galileo Galileis als Beispiel für die Verantwortung des Wissenschaftlers gegenüber der Gesellschaft darzustellen. Auf diese Weise lässt sich das Drama inhaltlich auch gut im Kontext anderer Theaterstücke lesen und diskutieren. So können beispielsweise Bezüge zu Friedrich Dürrenmatts »Die Physiker« (1962) oder Heinar Kipphardts »In der Sache J. Robert Oppenheimer« (1964) hergestellt werden.

    Angesichts der aktuellen Probleme, von der Genforschung über Künstliche Intelligenz bis zur Umweltzerstörung, bleiben dieser Konflikt und damit auch Brechts Stück nach wie vor aktuell, auch wenn sich das Problem der Verantwortung in den komplexen Zusammenhängen zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik von dem einzelnen Wissenschaftlicher auf Institutionen und Entscheidungsgremien verschoben hat. (Nutz 11)
Veröffentlicht am 13. November 2023. Zuletzt aktualisiert am 13. November 2023.