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Leben des Galilei

Bild 10-12

Zusammenfassung

Das folgende Jahrzehnt wird in der Szenenüberschrift des zehnten Bildes zusammengefasst. Galilei hat seine Forschungen tatsächlich weiter betrieben, was der Öffentlichkeit nicht verborgen geblieben ist. Bei den Fastnachtsumzügen im Jahr 1632 werden Galileis Lehren besungen.

Dabei kommen sogenannte Pamphletisten, also Verfasser von Streit- und Schmähschriften, sowie Balladensänger aus ganz Italien zusammen, um die Ideen Galileis in Texten und Liedern zu verbreiten. Gleichzeitig werden die kirchlichen Glaubensgrundsätze und das durch sie begründete gesellschaftliche System ins Lächerliche gezogen.

Das elfte Bild spielt im Jahr 1633 im Palast der Medici in Florenz. Galilei wurde vom Großherzog einberufen und glaubt, dass man mit ihm über sein Buch sprechen möchte. Gemeinsam mit Virginia wartet er im Vorzimmer darauf, zum Großherzog vorgelassen zu werden.

Virginia ist besorgt und meint, dass sie von einem Unbekannten verfolgt würden. Als dann auch noch der Rektor der Universität, Herr Gaffone, an ihnen vorbeikommt, ohne zu grüßen, äußert Virginia ihren Verdacht, dass man Galileis Buch für ketzerisch halten könnte.

Dieser Verdacht verstärkt sich, als der Eisengießer Vanni erscheint und mitteilt, dass man Galilei für die Pamphlete gegen die Bibel verantwortlich mache, die gar nicht von Galilei stammen. Vanni bietet Galilei seine Unterstützung an und empfiehlt ihm die Flucht aus Florenz.

Doch Galilei weigert sich zu fliehen und wartet weiter auf den Großherzog, damit sich alles aufklärt. Statt vom Herzog offiziell empfangen zu werden, kommt ihm zunächst der Inquisitor entgegen. Ein Beamter kündigt daraufhin den Großherzog Cosmo de Medici an, der Galileis Ausführungen kein Gehör schenkt und stattdessen nur Sorgen bezüglich Galileis Augenlicht äußert. Ganz am Ende der Szene bestätigt sich Virginias Verdacht und Galilei wird durch einen Beamten zum Wagen der Heiligen Inquisition geführt, der ihn nach Rom bringen soll.

Im zwölften Bild gibt es ein Gespräch zwischen Barberini, der mittlerweile zum Papst Urban VIII. erklärt worden ist, und dem Kardinal Inquisitor im Vatikan. Während der Papst den Inquisitor empfängt, wird er von seinen Bediensteten angekleidet. Von draußen hört man emsiges Treiben.

Der Inquisitor ist gekommen, um Barberini die Folgen der Lehre Galileis für den christlichen Glauben zu verdeutlichen. Obgleich Barbarini als Wissenschaftler dieser Lehre im Grunde seines Herzens zustimmt, muss er seine neue Rolle als oberster Diener Gottes annehmen. Schließlich willigt er ein, dass man Galilei die Folterinstrumente zeigt, um ihn zu einem Geständnis zu zwingen.

Analyse

Ungefähr acht Jahre nach Galileis Entschluss, seine Forschungen wieder aufzunehmen, wird im Jahr 1632 ein Fastnachtsumzug irgendwo in Italien beschrieben. Auf einem Marktplatz tritt ein ärmliches und »halb verhungertes Schaustellerpaar« (97) auf und singt eine Ballade. Der Titel »Die erschröckliche Lehre und Meinung des Herrn Hofphysikers Galileo Galilei oder Ein Vorgeschmack der Zukunft« (ebd.) verweist auf den satirischen Charakter des Liedes.

Die Ballade besteht aus zwei Teilen: Im ersten Teil werden das alte Weltbild und »die Große Ordnung« (98) der Theologen dargestellt. Die vorherrschende gesellschaftliche Ordnung wird mit dem geozentrischen Weltbild verglichen. »Ebenso wie sich die Sonne um die höhergestellte Erde drehe, gebe es eine soziale Rangfolge innerhalb der Gesellschaft, die dem gleichen Prinzip folge.« (Diekhans und Völkl 73)

Im zweiten Teil, der aus insgesamt vier einzelnen Strophen besteht, geht es um die Lehre Galileis und den daraus resultierenden Konsequenzen. Mit dem neuen Weltbild würden sich laut dem Sänger die gesellschaftlichen Verhältnisse ins Gegenteil verkehren. Galilei wird entgegen seiner eigenen Ansichten und Motivationen als »Bibelzertrümmerer« (101) bezeichnet und damit von den einfachen Leuten eher als Kirchenkritiker und weniger als Wissenschaftler verstanden.

Im elften Bild kommt es zur schrittweisen Eskalation des Konflikts. Indem Brecht verschiedene Figuren auftreten lässt, wird eine zunehmende Bedrohung und gleichzeitige Spannungssteigerung spürbar. Während Galilei im zehnten Bild noch von der lärmenden Menge gefeiert und umjubelt wurde, »herrscht am Hof eine Atmosphäre der Abneigung und Gefahr vor.« (Diekhans und Völkl 75)

Zunächst bemerkt Virginia einen unbekannten Mann, der sie und ihren Vater bis zum Palast in Florenz verfolgt. Galilei, der sich noch in Sicherheit wiegt, macht sich über Virginias Kommentar lustig. Als Herr Gaffone ohne zu grüßen vorübergeht, wundert sich Galilei, weist aber Virginias Vermutung, die Geistlichen könnten sein Buch für ketzerisch halten, entschieden zurück. Auch die Warnungen des Eisengießers Vanni nimmt er nicht recht ernst.

Der Wendepunkt kommt mit dem Auftritt des Großherzogs Cosmo de Medici, der Galileis Buch nicht annimmt, sondern stattdessen Bedenken über Galileis schlechter werdendes Augenlicht äußert. Sein Kommentar, dass Galilei das Fernrohr »ein wenig zu eifrig« (106) benutzt, ist eine deutliche Kritik an den Forschungen über das heliozentrische Weltbild.

Nun wird auch Galilei schmerzlich bewusst, in welcher Gefahr er schwebt und entscheidet sich doch für einen Fluchtplan, den er für den Ernstfall entworfen hat. Damit gibt er die zuvor noch von ihm selbst propagierte soziale Verantwortung des Wissenschaftlers endgültig auf. Doch seine Einsicht kommt viel zu spät. Ein hoher Beamter überbringt ihm die Nachricht, dass er nach Rom zum Verhör gebracht werden soll.

Im zwölften Bild treten sich Papst Urban VIII., ehemals Kardinal Barberini, und der Kardinal Inquisitor gegenüber. Die Szene setzt in medias res, also mitten im Gespräch der beiden geistlichen Würdenträger, ein. Der Papst ist außer sich und lehnt das Ansinnen des Inquisitors ab, Galilei zu verurteilen. Dabei steht »die Rechentafel« metonymisch für die Naturwissenschaften, die Barberini, der gleichzeitig Papst und Wissenschaftler ist, nicht »zerbrechen« lassen möchte (107).

Während der Papst mit dem Inquisitor spricht, wird er von seinen Bediensteten angezogen. »[I]m Verlauf des Bildes [wird Barberini] mit den äußeren Zeichen seiner Macht bekleidet; dieser äußeren Veränderung entspricht sein Gesinnungswechsel im Fall Galilei.« (Hahnengreß 36)

Durch eine geschickte Argumentation versucht der Inquisitor den Papst von seinem Standpunkt zu überzeugen: Die neue Wissenschaft lasse eine Unruhe in der Bevölkerung entstehen, die sich nicht mehr auf den christlichen »Glauben« stütze, sondern nur noch auf den »Zweifel« (107). Auf diese Weise würde die von Gott gegebene gesellschaftliche Ordnung in Frage gestellt. Dies führe zu einer weitreichenden innen- und außenpolitischen Schwächung und Kritik an der Person des Papstes.

Der Papst, der den Druck der anderen Kirchenvertreter, hörbar durch das »Geschlurfe vieler Füße« (ebd.) und das »Getrampel in den Korridoren« (110) spürt, lässt sich schließlich davon überzeugen, Galilei mit den Folterinstrumenten einzuschüchtern. Dabei entspricht er zunehmend seiner Rolle als oberster Vertreter der kirchlichen Macht, was durch den Ankleideprozess auch bildlich inszeniert wird.

Veröffentlicht am 3. November 2023. Zuletzt aktualisiert am 3. November 2023.