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Nathan der Weise

Historischer Hintergrund und Epoche

Das Werk »Nathan der Weise« wurde im Jahre 1779 veröffentlicht und ist stark geprägt von der Zeit, zu der es verfasst und aufgeführt wurde. Zum einen spiegelt es die im 18. Jahrhundert vorherrschende Herrschaftsform des Absolutismus wieder, bei der eine einzelne Person über den kompletten Staat bestimmt, zum anderen thematisiert es die enge Bindung des Staats an die Kirche (Ruth-Ellen, 1997).

Lessings Drama ist somit geprägt von den Idealen und Zielen der Aufklärung. Diese Bewegung begann im 18. Jahrhundert zunächst in England und Frankreich und breitete sich im Laufe der Jahrzehnte auch nach Deutschland aus (Pelster, 2002). Als Fundament der Aufklärung gilt allgemein der Essay »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?« des Philosophen Immanuel Kant aus dem Jahre 1784, in dem er das Wort Aufklärung sowie andere zentrale verwandte Begriffe definiert.

In diesem Essay schreibt Kant, die Aufklärung sei »der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit«, d.h. Unselbstständigkeit (Kant, Projekt Gutenberg). Er fordert seine Mitmenschen auf: »Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!« (ebd.). Das sei der »Wahlspruch der Aufklärung«. Kant will also, dass jeder lernt, von seiner eigenen Vernunft Gebrauch zu machen und sich seine eigenen Urteile zu bilden. Auf Kants Verständnis der Aufklärung berufen sich nahezu alle Historiker, wenn es darum geht, den Begriff der Aufklärung zu definieren (Martinson, 2005).

Genau diese Ideen verarbeitet Lessing in seinem Drama. »Nathan der Weise« ist eine Aufforderung, an der von Kant propagierten Wahrheitssuche teilzunehmen und wendet diese auf das Feld der Religion an (Pelster, 2002): Welche Religion ist die »wahre«? Das fragt Lessing in seinem Drama und erklärt, dass die Antwort auf diese Frage nicht zu finden sei. Christentum, Judentum und Islam haben alle gleichermaßen ihre Berechtigung. Dies wird insbesondere in der Ringparabel zum Ausdruck gebracht, die angelehnt ist an eine Erzählung aus Giovanni Boccaccios Il berühmtem Werk »Dekameron« (1620). »Nathan der Weise« ist somit ein Plädoyer für religiöse Toleranz und Gleichheit. 

Gerade wegen der engen Verknüpfung von Staat und Kirche waren diese Überlegungen zu Lessings Zeiten besonders relevant (Pelster, 2002). Durch die Verarbeitung der Problematik in einem Drama trägt Lessing dazu bei, sie nun auch der breiten Bevölkerung verständlich zu machen – und erfüllt damit ein weiteres Ziel der Aufklärung, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Zugänglichkeit ihrer Diskurse zu erhöhen (Ruth-Ellen, 1997). 

Der spezifische Anlass für »Nathan der Weise« war jedoch noch ein anderer: Im Vorjahr war Lessing als Folge eines Streits mit dem Hamburger Pastor Johann Melchior Goeze ein Publikationsverbot auferlegt worden (Garland, 1997). Lessing hatte zuvor in seinen »Beiträgen zur Geschichte und Literatur« die These aufgestellt, dass alle Religionen einem geschichtlichen Wandel unterzogen sind und deshalb keine Religion absolut wahr sein kann. Da diese These sehr kontrovers war, erhielt Lessing viel Kritik für seine Publikation. Einer dieser Kritiker war Pastor Goeze. Er griff Lessing an und warf ihm vor, sich unrechtmäßig in theologische Fragen einzumischen. Daraufhin untersagte der Herzog von Braunschweig Lessing, Texte zu veröffentlichen, in denen es um religiöse Fragestellungen ging (Pelster, 2002). »Nathan der Weise« diente Lessing daher nicht nur als aufklärerische Stellungnahme, sondern auch als Angriff auf jenen Pastor Goeze, auf dessen religiöse Intoleranz und Rückständigkeit (Ruth-Ellen, 1997). Der Pastor diente Lessing vermutlich auch als Vorbild für die Figur des Patriarchen.

Veröffentlicht am 1. März 2023. Zuletzt aktualisiert am 1. März 2023.