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Nathan der Weise

Akt 2, Szenen 5-9

Zusammenfassung

​​Nathan bedankt sich beim Tempelherrn für die Rettung seiner Tochter. Dieser reagiert jedoch kühl und abweisend. Er lässt Nathan gar nicht erst richtig zu Wort kommen und erklärt, er sei lediglich der Pflicht eines Tempelherrn nachgekommen. Eigentlich bedeute ihm das Leben einer Jüdin nicht besonders viel. Nathan ist entsetzt, fragt aber dennoch, wie er sich dankbar erweisen kann. Der Tempelherr reagiert spöttisch, aber Nathan gibt nicht auf und lädt ihn zu sich nach Hause ein. Indem er sich auf die Regeln von Menschlichkeit und Güte beruft, schafft er es, den Tempelherrn umzustimmen.

Sie stellen fest, dass sie beide die Ansicht teilen, dass alle Menschen einander respektieren sollten, ungeachtet ihrer unterschiedlichen Religionen. Keiner sollte dem anderen seinen Glauben aufdrängen. Nathan und der Tempelherr sehen sich nicht in erster Linie als Christen oder Juden, sondern als Menschen. Als sie erkennen, wie sehr sie sich in ihrer Weltanschauung ähneln, entscheiden sie, sich die Hand zu reichen und Freundschaft zu schließen. Nun ist es nicht mehr nur Recha, welche ein Zusammentreffen mit dem Tempelherrn herbeisehnt. Auch er selbst brennt darauf, Nathans Tochter wiederzusehen.

Die Unterhaltung der beiden wird kurz von Daja unterbrochen, die dem überraschten Nathan mitteilt, dass der Sultan ihn sprechen wolle. Als sie wieder unter sich sind, bekunden die beiden Männer jeweils ihre tiefe Verbundenheit zu Saladin. Der Tempelherr ist diesem dankbar, weil er sein Leben geschont hat. Nathan ist dem Sultan ebenfalls für das Leben des Tempelherrn dankbar, denn sonst hätte dieser nicht das Leben seiner Tochter retten können.

Als sie sich voneinander verabschieden, verrät der Tempelherr Nathan noch seinen Namen. Er heiße Curd von Stauffen. Nathan stutzt, denn dieser Name ruft eine entfernte Erinnerung in ihm hervor. Da er sie allerdings gerade nicht zuordnen kann, entschließt er sich, zunächst dem Sultan seine Aufwartung zu machen. Erst danach wird er (entgegen der Bitte des Tempelherrn) beginnen, nachzuforschen.

Zurück in seinem Haus trifft Nathan auf Daja. Er überbringt ihr die frohe Botschaft, dass der Tempelherr bald bei ihnen erscheinen werde, und bittet sie, es auch Recha auszurichten. Bis dahin solle Daja auf der Hut sein und Nathans Plan nicht gefährden.

In diesem Moment trifft Al-Hafi bei Nathan ein. Er berichtet Nathan von seinem Gespräch mit Saladin und Sittah und deren Plan, sich Geld von Nathan zu leihen. Al-Hafi ist ganz außer sich vor Sorge um seinen Freund. Er glaubt, dass der Sultan mit seiner Gier Nathan all seines Vermögen berauben werde und will daher verhindern, dass dieser dem Sultan Geld leiht. Außerdem kann Al-Hafi die Aufgaben nicht mehr ertragen, denen er als Schatzmeister nachkommen muss. Im Auftrag des Sultans soll er sich bei allen Reichen der Stadt Geld borgen. Al-Hafi kommt sich damit nicht besser vor als ein Dieb und fragt seinen Freund, ob sie nicht gemeinsam der Stadt entfliehen wollen. Als Nathan sich zögerlich zeigt, beschließt Al-Hafi, es dennoch zu tun.

Analyse

Dass sowohl Nathan als auch der Tempelherr mehr Wert auf Menschlichkeit als auf Religionszugehörigkeit legen, ist in den vorangegangenen Szenen bereits mehrfach deutlich geworden. Nathan bekundete, von einer Vereinigung aller Völker zu träumen, und der Tempelherr verteidigte lieber den muslimischen Sultan, als einem christlichen Patriarchen zu dienen. Erst beim Zusammentreffen dieser beiden außergewöhnlichen Charaktere zeigt sich jedoch wirklich, wie sehr sie einander gleichen, und vor allem wie allein sie sich mit ihrer menschlichen Weltanschauung fühlen.

Nathan und der Tempelherr stimmen darin überein, dass es wenig zu bedeuten habe, welchem Volk jemand angehört: Zuallererst seien alle Menschen. »Wir haben beide uns unser Volk nicht auserlesen«, erklärt Nathan und fügt hinzu: »Was heißt denn Volk?« (S. 62). In diesem Dialog präsentieren sich die beiden Männer eindeutig als Vertreter der Aufklärung. Sie vertrauen dem Verstand und der Moral des Menschen mehr als der Tatsache, welche Religion und welches Volk diesem zufällig bei Geburt zugewiesen wurde. Dass diese Ansicht jedoch bei Weitem noch nicht so verbreitet ist, wie sie sich wünschen würden, lässt sich den folgenden Worten Nathans entnehmen: »Ah! wenn ich einen mehr in Euch Gefunden hätte, dem es g’nügt, ein Mensch Zu heißen!« (S. 62).

Auch mit ihrer Dankbarkeit dem Sultan gegenüber beweisen die beiden Männer, dass sie in der Lage sind, über die von Religion geschaffenen Grenzen hinwegzusehen. Der Sultan mag ein Muslim sein, sie selbst ein Jude und ein Christ. Aber für sie ist das kein Grund zur Feindschaft. Nathan bekundet, dass er Saladin auf ewig dankbar sein werde, denn dieser habe durch die Begnadigung des Tempelherrn auch das Leben seiner Tochter gerettet: »Dies hat alles zwischen uns verändert; hat mit eins ein Seil mir umgeworfen, das mich seinem Dienst auf ewig fesselt.« (S. 64). Die Ausmaße der Dankbarkeit des Tempelherrn sind mindestens ebenso groß, wenn nicht sogar größer. Er will von nun an nach dem Willen des Sultans leben. »Nicht genug, dass ich auf sein Geheiß noch bin, mit seinem Willen noch leb: ich muss nun auch von ihm erwarten, nach wessen Willen ich zu leben habe.« (S. 64f.)

Trotz der Ehrlichkeit, die zwischen den beiden Dialogpartnern zu herrschen scheint, deutet die darauffolgende Offenbarung des tatsächlichen Namen des Tempelherrn an, dass sowohl er selbst als auch Nathan Geheimnisse zu verbergen scheinen. Die Bitte des Tempelherrn, nicht weiter über seine Herkunft nachzuforschen, macht Nathan misstrauisch. Ebenso suggeriert Nathans Bekanntschaft mit dem Nachnamen von Stauffen, dass auch er besser über die Identität des Tempelherrn Bescheid weiß, als er zunächst zugibt.

Veröffentlicht am 1. März 2023. Zuletzt aktualisiert am 1. März 2023.