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Nathan der Weise

Sprache und Stil

Das Drama ist nicht in Prosa, sondern im Blankvers verfasst. Dieser bezeichnet einen ungereimten, jambischen Vers mit fünf Hebungen und weiblicher Kadenz (unbetonte Silbe am Ende). Häufig kommt es vor, dass eine Figur einen Vers beginnt und dieser dann durch eine andere Figur im gleichen Versmaß fortgesetzt wird. Ebenfalls findet sich oft das Stilmittel des Enjambement, was ein Übergehen des Satzes in den nächsten Vers bezeichnet. 

Saladin: »(...)

               Hast drüber nachgedacht: das auch allein 

               Macht schon den Weisen.

Nathan :                                               »Der sich jeder dünkt

               Zu sein.« (S. 84)

All das hat zwei bedeutende Effekte: Zum einen wird dadurch, dass Sätze nicht einfach immer am Versende aufhören, sondern der Gedanke in die nächste Zeile weitergeführt wird, der Lesefluss aufrechterhalten. Zum anderen trägt der fliegende Redewechsel zwischen den Figuren zum dynamischen Charakter des Dramas bei. Gedankengänge können lebendiger und anschaulicher präsentiert werden. 

Das Vokabular des Dramas ist geprägt von der Aufklärung. Lessings Sprache reflektiert die Ideale der literarischen Epoche: Offenheit, Toleranz, Bildung und Humanität. So wird viel von der »Klugheit« und »Großmut« Nathans gesprochen. Beispielsweise adressiert Daja gleich in der ersten Szene Nathan mit folgenden Worten: »Wer zweifelt, Nathan, dass Ihr nicht Die Ehrlichkeit, die Großmut selber seid?« (S. 11). Nathan selbst wiederum stellt die »Menschlichkeit« sehr in den Fokus, ob es sich bei dieser nun um die »Menschlichkeit« des Tempelherrn handelt, der eigentlich keine Himmelskreatur ist, oder um die »Menschlichkeit« des Sultans Saladin, der nicht so grausam ist, wie er zunächst scheinen mag. Nathan schätzt Menschlichkeit mehr als alles andere und misst der Menschlichkeit einer Person weitaus größere Wichtigkeit bei als ihrer Religionszugehörigkeit: »Sind Christ und Jude eher Christ und Jude, als Mensch?«, sagt er zum Tempelherrn, »Ah! wenn ich einen mehr in Euch Gefunden hätte, dem es g’nügt, ein Mensch zu heißen!« (S. 62). Weiterhin wird die Gleichheit und Gleichberechtigung der Religionen großgeschrieben; Nathan träumt von einer »Vereinigung« von Judentum, Christentum und Islam. 

Die Dialoge sind größtenteils im Stile der Erörterung geschrieben. Häufig vertreten die teilnehmenden Charaktere zu Beginn unterschiedliche Ansichten bezüglich eines zentralen Aspekts und kommen dann im Laufe der Unterhaltung zu einer Übereinkunft. Hierbei drängt jedoch keiner der beiden dem anderen seine Überzeugungen auf. Stattdessen wird die Übereinkunft durch logische Erörterung erreicht, was der Unterhaltung einen argumentativen Charakter verleiht. Diese Fähigkeit des Menschen, eigenständig und ohne Hilfe zu Erkenntnissen zu kommen, war ein wichtiges Ideal der Aufklärung. Nathan selbst fungiert als eine Art Katalysator; als zweifellos Weisester von allen verhilft er seinen Mitmenschen zu Einsichten. 

Trotz des argumentativen, aufklärerischen Stils der Dialoge sind diese durch größtenteils alltägliches Vokabular und Ausdrücke leicht nachvollziehbar gehalten. Die Sätze sind überwiegend kurz und eher parataktisch (d.h. es gibt wenige Nebensätze), Fremdworte werden selten genutzt und sprachliche Bilder erleichtern das Verständnis.

Veröffentlicht am 1. März 2023. Zuletzt aktualisiert am 1. März 2023.