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Nathan der Weise

Akt 1, Szenen 1-3

Zusammenfassung

Nathan, ein wohlhabender jüdischer Kaufmann, kehrt von einer Reise nach Babylon zu seinem Haus in Jerusalem zurück. Dort wird er von seiner Gesellschafterin Daja herzlich empfangen. Sie berichtet, dass es während seiner Abwesenheit einen Brand im Haus gegeben habe, bei dem Recha, die Nathan als Tochter bei sich aufgenommen hat, nahezu umgekommen wäre. Nathan ist in großer Sorge, denn er liebt Recha sehr. Daja berichtet, dass das Mädchen noch unter Schock stehe und ihre Fantasie sie noch überall Feuer sehen lasse.

Recha wurde von einem unbekannten jungen Tempelherrn aus dem Feuer gerettet, der wenige Tage vorher als Gefangener nach Jerusalem gebracht und vom herrschenden Sultan Saladin begnadigt worden war. Sofort nach der Rettung des Mädchens verschwand der Tempelherr. Daja entdeckte ihn ein paar Tage später auf einer Palmenallee wieder und wollte sich bei ihm für die Rettung des Kindes bedanken. Er hingegen reagierte lediglich spöttisch auf jeden ihrer Kontaktversuche und verschwand kurz darauf erneut. Seitdem gibt es keine Spur mehr von ihm. Recha jedoch schwärmt weiterhin vom Tempelherrn und sieht in ihm eine engelsgleiche Gestalt. Nathan kündigt an, zunächst mit seiner Adoptivtochter sprechen zu wollen und sich dann auf die Suche nach dem verschwundenen Tempelherrn zu machen.

Als Nathan Recha antrifft, begrüßt diese ihn sehr leidenschaftlich. Sie hat ihn vermisst, sich große Sorgen gemacht und ist noch mitgenommen vom Trauma des Hausbrandes. Recha will Gott danken, dass er ihr Nathan und den Tempelherrn geschickt hat. Den weißen Mantel des Letzteren sieht sie als Zeichen, dass er ein von Gott gesandter Engel sein muss. Nathan deutet an, dass es lediglich Rechas Fantasie sei, die sie den Tempelherrn als Engel sehen lasse und dass die ganze Rettung ohnehin schon wunderhaft genug sei – auch ohne übernatürliche Elemente.

Daja erzählt, dass der Tempelherr vom Sultan nur begnadigt wurde, weil er dessen vor über 20 Jahren verstorbenem Bruder so ähnlich sehe. Daja hält dies für unwahrscheinlich, Nathan hingegen verspottet sie für ihren Unglauben: Saladin habe seine Geschwister sehr geliebt und jemand, der ihn an seinen jüngeren Bruder erinnere, könne ihn womöglich milde stimmen. Als Daja und Recha weiterhin auf der himmlischen Herkunft des Fremden beharren, erklärt Nathan, dass es besser für sie wäre, ihn für einen Menschen zu halten, da sich einem Menschen weitaus leichter Dank erweisen lasse als einem Engel.

Nathan wirft ein, dass der Tempelherr genauso gut krank irgendwo unter den Palmen liegen könne, leidend an den Folgen seiner Heldentat. Er sei ja nur ein Mensch. Recha kommt mit dieser Vorstellung nicht zurecht, sie scheint der Bewusstlosigkeit nahe. Nathan lenkt ein, der Tempelherr sei gewiss nicht krank, aber dass Recha nun, anstatt lediglich »andächtig zu schwärmen«, auch anfangen solle, »gut zu handeln«. Das bedeutet für Nathan, den Tempelherrn aufzusuchen und ihm zu helfen.

Al-Hafi, früher Derwisch und jetzt Schatzmeister des Sultans, kommt vorbei und Nathan begrüßt ihn. Die alten Freunde umarmen sich und beschließen, dass sie trotz der neuen Anstellung Al-Hafis im Dienste Saladins noch befreundet sind. Der Derwisch berichtet von der feindlichen Einstellung des Sultans gegenüber den Armen und von der zunehmenden Leere der Schatzkammern. Er bittet Nathan um einen Kredit und verspricht ihm verlockende finanzielle Profite. Aber Nathan lehnt ab: Als Al-Hafi noch Derwisch war, hätte er ihm jede erdenkliche Hilfe angeboten. Da sein Freund nun allerdings für den Sultan arbeitet, kann er das nicht mehr tun.

Al-Hafi erkennt die Weisheit von Nathans Worten und gesteht, dass er selbst seine neue Berufswahl bereut. Saladin habe ihn umschmeichelt und so für sich gewonnen. Indem er Al-Hafi, der vorher selbst arm war, sagte, dass er ihn gerade deswegen einstelle (denn als ehemaliger Bettler wisse Al-Hafi, wie mit diesen angemessen und freundlich umzugehen sei), fühlte dieser sich anerkannt und sagte zu. Nun bereut er seine Naivität. Nathan rät ihm, den Hof des Sultans so bald wie möglich zu verlassen; die Umgebung tue ihm nicht gut.

Analyse

Die ersten Szenen des Dramas dienen vor allem dazu, den toleranten und weisen Charakter Nathans hervorzuheben. Bereits im ersten Auftritt, dem Gespräch zwischen Nathan und Daja, fällt seine Gutmütigkeit auf: Nathan liebt seine adoptierte Tochter Recha über alles und als Daja andeutet, dass diese den Brand fast nicht überlebt hätte, gerät er außer sich vor Sorge. Seine Sätze klingen abgehackt und die Wörter einsilbig, was ihn kurzatmig und nervös wirken lässt. Auch Daja schätzt Nathan sehr. Er bringt ihr Geschenke mit, die fast so schön sind wie die für seine Tochter, und als Daja wegen ihres schlechten Gewissens zögert, zu sprechen, unterbricht er sie und sagt ihr, dann solle sie lieber schweigen.

Bei seiner Tochter scheint Nathan ebenfalls Acht darauf gegeben zu haben, dass diese zu Toleranz und Sanftheit erzogen wird: Recha wirkt nahezu engelsgleich. Sie glaubt stets an das Gute im Menschen und vermutet nirgendwo Bösartigkeit. Nicht einmal dann, als der mysteriöse Tempelherr einfach ohne Erklärung verschwindet, verliert sie ein schlechtes Wort über ihn. Recha ist voller Fantasie und eine leidenschaftliche Schwärmerin. Ohne den Tempelherrn zu kennen, bekundet sie bereits, dass er ein Engel sei und sie ihn liebe.

Recha schaut sehr zu Nathan auf. Sie bewundert seine Weisheit und lässt sich bereitwillig von seinen Lehren leiten, beispielsweise als er ihr erklärt, dass »gut handeln« besser sei als »andächtig schwärmen« (S. 22). Von ihm hat sie ihren Glauben an die Menschlichkeit übernommen. Nathan und Recha teilen den gleichen Traum: Daja beschreibt, dass Recha in einem »süßen Wahn« lebt, in dem sich »Jud’ und Christ und Muselmann vereinigen« (S. 15). Mit den Worten »Auch mir so süß!« (S. 15) bekennt Nathan, dass auch er sich die Toleranz und Vereinigung aller Religionen herbeiwünscht. Nathan durchschaut seine Mitmenschen und glaubt an das Gute in ihnen. Das wird nicht zuletzt darin deutlich, dass er sogar im grausamen Sultan einen guten Wesenskern zu sehen glaubt. Als Beweis dafür führt er die Liebe des Sultans zu seinen Geschwistern an (S. 19).

Nicht nur Recha gegenüber fungiert Nathan als Lehrer und Erzieher, sondern auch andere wissen die Weisheit und Gutmütigkeit Nathans zu schätzen. Daja schätzt ihn aufgrund genau dieser Eigenschaften. So sagt sie zu ihm: »Wer zweifelt, Nathan, dass Ihr nicht die Ehrlichkeit, die Großmut selber seid?« (S. 11). Der Derwisch Al-Hafi bewundert Nathan für seine Klugheit. Als Nathan ihm rät, sich vom Hofe des Sultans fernzuhalten, stimmt er zu und nennt Nathan »so gut als klug, so klug als weise« (S. 26). Nathan erkennt das wahre Wesen Al-Hafis. Er ist kein Schatzmeister und kein Diener des Sultans, sondern ein Derwisch, dem die höfische Umgebung nicht guttut.

Der Tempelherr bleibt von allen die mysteriöseste Figur und wird erst in den nächsten Szenen besser beleuchtet. Diese ersten Szenen sind vor allem Nathan und seinen weisen Lehren gewidmet. Dass die Dialoge größtenteils zwischen zwei Personen stattfinden, unterstreicht zusätzlich die erzieherische Funktion Nathans. Er wirkt hierbei allerdings an keiner Stelle rechthaberisch oder gar besserwisserisch, ganz im Gegenteil. Die anderen Charaktere hören sich seine Ratschläge stets an und bewundern ihn dafür.

Veröffentlicht am 1. März 2023. Zuletzt aktualisiert am 1. März 2023.