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Die Welle

Sprache und Stil

In Rhues Roman »Die Welle« werden Fakten mit Fiktion verbunden. Aufgrund der Wiedergabe von tatsächlichen Ereignissen und deren Entwicklungen sind Sprache und Stil in einem sachlichen Ton gehalten. Monologe offenbaren persönliche Gefühle der Charaktere, während sie in Dialogen ihre Meinung ausdrücken. Dies wird durch unterschiedliche Erzählperspektiven unterstützt.

Der auktoriale oder auch allwissende Erzähler leitet in die Handlung ein, durchzieht und beendet sie und kreiert dadurch einen Rahmen. Der allwissende Erzähler gibt das Geschehene aus der Panoramaperspektive wieder, organisiert zeitliche Abfolgen und kommentiert die Ereignisse. Somit wird das Experiment, das den Mittelpunkt der Handlung und Bezugspunkt ausmacht, dokumentiert. Der auktoriale Erzähler berichtet aus der Distanz und beschreibt die Figuren mit seinen umfassenden Kenntnissen, wodurch Situationen beschrieben und eingeleitet werden: »Am nächsten Morgen kamen die Schüler so langsam und träge wie immer zum Unterricht. Manche setzten sich, andere standen herum und redeten miteinander. Robert Billings stand am Fenster und verknotete die Zugschnüre der Gardine.« (43)

Durch personales Erzählen anhand erlebter Rede erfolgt ein Perspektivwechsel. Die Handlung wird aus Sicht der Figuren wiedergegeben und mit ihren Gedanken und Gefühlen ausgefüllt. Dadurch entsteht im Gegensatz zur Distanz der auktorialen Erzählweise nun eine Nähe zu den Figuren. Ihr beschriebenes Innenleben dient als Handlungsimpuls. Die erlebte Rede findet vor allem bei Ben und Laurie Anwendung. Bei Ben wird dabei der Kontrast von seinen inneren Zweifeln zu seinen tatsächlichen Äußerungen deutlich. Das veranschaulicht, wie sein intuitives Unbehagen bezüglich der Welle durch seine Neugier und Begeisterung für den Tatendrang der Schüler und die damit verbundene Macht unterdrückt wird:

    Er hatte seiner Frau erzählt, wie überraschend die Schüler auf seinen Versuch eingegangen waren, aber er hatte ihr nicht gesagt, dass auch er ganz davon eingefangen war. Es war fast peinlich zuzugeben, dass auch er sich von einem so simplen Spiel fesseln lassen konnte. (54)

Laurie hingegen nimmt ihre zunehmenden Zweifel wahr und beginnt, diese vorsichtig zu äußern, bis sie schließlich aktiv ihre Meinung vertritt.

Bei Figuren, die mit Laurie und Ben in enger Beziehung stehen, wird diese Erzählweise ebenfalls angewendet. Christy und David denken teilweise gegensätzlich zu ihrem/ihrer jeweiligen Partner/in. Die Meinungsverschiedenheiten der beiden Paare lösen sich zum Romanende jedoch auf.

Derartige Meinungsverschiedenheiten werden auch durch direkte Rede und dialogisches Sprechen ausgetragen, welche die dritte Erzählform bilden. Die Impulse aus der erlebten Rede führen hier zu Aktion und Reaktion. Direktor Owens macht zum Beispiel mit den Worten: »Verdammt noch mal, Ben! Ihr Experiment kümmert mich überhaupt nicht« (161) seinen Standpunkt und seine Wut deutlich.

Mit direkter Rede werden Auseinandersetzungen geführt, aber auch Übereinstimmungen innerhalb der Gruppe veranschaulicht. Sie dient weiterhin zur Übermittlung von Überzeugungen und Fragestellungen. Die Figuren können dabei in verschiedene Rollen schlüpfen und ihre Sprechanteile nach diesen färben. Besonders deutlich wird das bei Ben, der als Führer Befehle erteilt und Regeln aufstellt, vor Mr Owens und seiner Frau Christy das Experiment rechtfertigt, jedoch nach notwendiger Selbstreflexion zur Erkenntnis und Einsicht kommt. Am Anfang und Ende des Romans tritt er außerdem als aufmerksamer und einfühlsamer Pädagoge und Lehrer auf.

Die Welle hat einen direkten Einfluss auf die Ausführung von direkter Rede. Während die Schüler vor dem Experiment ihre Meinung frei und uneingeschränkt zum Ausdruck gebracht haben: »Das ist doch Unsinn! [...] Wie kann man denn Millionen von Menschen abschlachten, ohne dass jemand etwas davon weiß?« (21), werden ihre Antworten durch die Richtlinien der Welle knapp und unreflektiert. Die Nennung von Mr Ross’ Namen vor jeder Antwort impliziert seine Position als Führer und Befehlshaber. Die freie Meinungsäußerung erfährt Einschränkung. Kritik wird nur noch im privaten Raum geäußert.

Das Redaktionsbüro und Lauries Zuhause stehen sinnbildlich für Orte, an denen die freie Meinungsäußerung noch möglich ist. Hier findet Laurie den anonymen Brief und schreibt den Leitartikel gegen die Welle. Der Brief liegt als Textelement im Roman direkt vor, von Lauries Leitartikel erfährt man nur aus der Wirkung auf die Figuren. Beide Texte beeinflussen die Charaktere und bringen dadurch die Handlung voran.

Im letzten Kapitel öffnet sich Ben in seiner Rede vor den Schülern. Er gesteht seine Schuld ein, wird vom Führer wieder zum Pädagogen und Freund. Die Welle wird aufgelöst. Das offene und ehrliche Sprechen ist wieder möglich.

Morton Rhues schrieb den Roman unter dem Originaltitel »The Wave« in englischer Sprache. Dieser wurde als »Die Welle« von Hans-Georg Noack ins Deutsche übersetzt. Da in der vorliegenden Werkausgabe die Schreibweise der Abkürzungen von Mr und Mrs ohne Punkt (anstatt Mr. / Mrs.) genutzt wird, wurde diese Schreibweise in unserer Lektürehilfe beibehalten.

Der Bezug zum Nationalsozialismus erklärt sich in den aufkommenden Worten wie »Faschismus«, »indoktrinieren« oder »Führer« sowie den ideologischen Leitsätzen »Macht durch Disziplin«, »Macht durch Gemeinschaft« und »Macht durch Handeln«, welche die Welle begründen und den Roman somit durchziehen. Disziplin ist außerdem ein Motiv, das sich in verschiedenen Bereichen widerspiegelt. Laurie, David und Ben klagen jeweils über die mangelnde Disziplin und Motivation bei der Schülerzeitung, im Football-Team oder in der Klasse. Nachdem diese von Ben eingeführt und von den Schülern sowie Football-Spielern begeistert aufgenommen wird, weigert sich Laurie, das Prinzip auf das Redaktionsteam zu übertragen. Ihre Angewohnheit, auf dem Kugelschreiber zu kauen, ist als Motiv eng mit ihrem Charakter verknüpft. Dass sie diese den ganzen Roman über aufrechterhält, zeigt, dass sie sich selbst treu bleibt, während Ben sich im Experiment verliert.

Durch den Faktenbezug und die sachliche Wiedergabe der Ereignisse treten im Roman nur wenige Stilmittel auf. Die Figuren nutzen aber immer wieder Vergleiche und wie im nachfolgenden Beispiel Metaphern, um ihre Empfindungen bildhaft darzustellen: »Die ganze Welle ist ein Maulwurfshügel, und du machst ein Gebirge daraus«. (97) Auch Symbole treten auf, zum Beispiel als Ben schlechte Hausarbeiten als Zeichen der persönlichen Freiheit deutet (vgl. 171) oder mit der Welle im Allgemeinen, die für ihre Anhänger als Symbol für Kraft, Gemeinschaft und Einheit steht, für ihre Gegner jedoch zur Bedrohung wird.

Veröffentlicht am 15. August 2023. Zuletzt aktualisiert am 15. August 2023.