Skip to main content

Transit

Kapitel 4

Zusammenfassung

Abschnitt I
Georg Binnet bittet den Ich-Erzähler, für den erkrankten Sohn seiner Freundin einen Arzt zu suchen. Dieser ist nun sehr besorgt um den Jungen, denn er hat ihn in sein Herz geschlossen. Das Zusammensein mit ihm tut ihm gut, denn der Junge verkörpert für ihn noch eine Art kindliche Unschuld in dieser verworrenen Welt, was auf sein Inneres eine beruhigende Wirkung hat.

Er macht einen Arzt ausfindig, der auf seine Ausreisepapiere nach Mexiko wartet, da er schon eine Stelle in einem Krankenhaus in Oaxaca in Aussicht hat. Den Ich-Erzähler überfällt schon beim ersten Zusammentreffen mit dem Arzt ein Gefühl der Eifersucht, da er mit einer Frau zusammenlebt und auf ein klares Ziel fokussiert ist, nämlich Kranke zu heilen.

Abschnitt II
Zwischen dem Ich-Erzähler und dem Arzt entwickelt sich eine gute Bekanntschaft. Der Ich-Erzähler hegt eine gewisse Bewunderung für den Arzt, der von seiner Berufung, Menschen zu helfen, vollkommen durchdrungen zu sein scheint. Er aber weiß immer noch nicht so recht, was er mit seinem Leben anfangen soll. Seine freie Zeit verbringt er jetzt meist in den Cafés am Alten Hafen. Hier wird er mit zahlreichen Fluchtgeschichten konfrontiert, die ihn langweilen, weil sie von ewigen Wiederholungen geprägt sind.

Doch plötzlich ändert sich seine Stimmung. Zum ersten Mal wird er sich in seinem Bewusstsein darüber gewahr, dass die Geschichten von Flucht und Vertreibung genau hier in diesem Hafen ihre Berechtigung haben. Denn schon immer und ewig haben sie hier stattgefunden. Dieses Gefühl der Zeitlosigkeit beruhigt den Ich-Erzähler. Doch die positive Stimmung schlägt plötzlich wieder ins Negative um, als ihm seine verlorene Jugend in den Sinn kommt und er von Heimweh geplagt wird.

Seine Gefühlsschwankungen werden jedoch plötzlich jäh unterbrochen, als der Ich-Erzähler eine Frau erblickt, die gerade das Café betritt. Er verliebt sich sofort in sie. Sie scheint verzweifelt eine Person zu suchen, denn erwartungsvoll geht sie von Tisch zu Tisch und schaut sich überall um. Als sie nicht findet, was sie sucht, verlässt sie das Café wieder mit enttäuschtem Gesicht.

Abschnitt III–V
Nach diesem Erlebnis besucht der Ich-Erzähler die Familie Binnet und trifft dort auf den Arzt, der den Jungen gerade untersucht. Hier spürt er plötzlich wieder eine gewisse Eifersucht auf ihn, denn dieser scheint etwas sein Eigen nennen zu können, was er nie besitzen wird. Durch seinen Beruf verfügt der Arzt über eine gewisse Autorität und kann allein mit Geduld und Wissen Einfluss auf die Menschen ausüben. Das Streitgespräch, das der Ich-Erzähler aus diesem Neid heraus mit ihm entfacht, endet schnell, da der Arzt ruhig und besonnen reagiert.

Um die Frau wiederzusehen, die ihn so beeindruckt hat, begibt der Ich-Erzähler sich wieder in das Café und wartet. Hier trifft er auf seine alte Freundin Nadine, die ihm von ihrer neuen Bekanntschaft erzählt. Um sie schnell wieder loszuwerden, schlägt er ihr ein späteres Treffen vor. Plötzlich betritt die unbekannte Frau das Café und schaut sich suchend um. Ihre Blicke treffen sich dabei, und für einen kurzen Augenblick hat der Ich-Erzähler das Gefühl, dass er selbst es sei, den sie sucht.

Enttäuscht geht der Ich-Erzähler in sein Hotelzimmer zurück. Hier bekommt er Besuch von seinem Nachbarn, der seine Frau sucht, die schon längst verhaftet und in ein Lager abtransportiert wurde. Er beneidet den Mann, da er eine Frau hat, um die er sich sorgen und kümmern kann, denn er selbst ist allein.

Abschnitt VI
Am nächsten Morgen wird der Ich-Erzähler durch Hundegebell aus dem Nebenzimmer gestört. Hier wohnt eine Deutsche mit zwei Doggen, deren persönliche Fluchtgeschichte er sofort von ihr erfährt, als er für Ruhe sorgen möchte.

Anschließend begibt er sich wieder in ein Café und erblickt die Unbekannte draußen vor der Tür. Kurzerhand beschließt er, ihr zu folgen. Er merkt jedoch bald, dass er einer falschen Person hinterhergelaufen ist. Dadurch verpasst er das Treffen mit Heinz und landet schließlich in einer Kirche, in der gerade in unterirdischen Gewölben eine mysteriöse Messe abgehalten wird. Dabei wird ihm klar, dass er lieber in den realen Kriegswirren sterben würde, als den religiösen Heilsversprechen Glauben zu schenken.

Abschnitt VII
Der Ich-Erzähler macht mit dem Jungen, der jetzt fast wieder gesund ist, einen Ausflug. Dabei erblickt er das mexikanische Konsulat, als er zufällig im Café aus dem Fenster schaut. Er lässt den Jungen im Café zurück und eilt ins Konsulat. Sofort wird er in die Kanzlei geführt, denn der Konsul hat ihn schon erwartet, da die Bestätigung seines Künstlernamens Weidel eingetroffen ist.

Seine Überfahrt ist bereits bezahlt, nun gilt es, noch den Transit für die USA zu beschaffen, da es keine direkte Schiffsverbindung nach Mexiko gibt. Der Konsul klärt ihn zudem darüber auf, dass er aber Frankreich nur dann mit einem »Visa de sortie« verlassen dürfe, wenn er aus Deutschland eine Bestätigung bekommt, dass er nicht mehr als deutscher Bürger angesehen wird.

Auf Anraten des Konsuls geht der Ich-Erzähler mit seinem bestätigten mexikanischen Visum zum amerikanischen Reisebüro, um sich dort eine Bescheinigung abzuholen, dass die Schiffspassage schon bezahlt ist. Der nächste Gang führt ihn zum amerikanischen Konsulat, um einen Antrag auf Transit für Spanien und Portugal zu stellen. Endlich wieder zurück im Café, schämt er sich, den Jungen so lange allein gelassen zu haben. Das Kind ist enttäuscht, dass er jetzt auch das Land verlassen möchte. Der Ich-Erzähler versichert ihm aber, dass er bleiben wird. Er hofft, aufgrund dieser Dokumente eine Aufenthaltsverlängerung für Marseille zu bekommen.

Abschnitt VIII–X
Als beide an diesem Abend zu Hause ankommen, werden sie vom Arzt schon erwartet, denn er möchte den Jungen nochmals untersuchen. Anschließend begleitet der Ich-Erzähler den Arzt auf seinem Weg nach Hause. Hier erfährt er, dass der Arzt heute eine Gelegenheit zur Ausreise gehabt hätte. Er hat diese aber nicht genutzt, da er eine Frau hätte zurücklassen müssen.

Nach diesem Gespräch begibt sich der Ich-Erzähler wieder in ein Café und beobachtet den Eingang. Die unbekannte Frau lässt nicht lange auf sich warten. Als sie das Café nach ihrer vergeblichen Suchaktion wieder verlässt, folgt er ihr und läuft ihr in dem engen Gassengewirr hinterher. Auf einer Treppe stehen sie sich kurz von Angesicht zu Angesicht gegenüber, bevor sie wieder entschwindet.

Zurück im Hotel bekommt der Ich-Erzähler Besuch von seinem Bekannten, dem Legionär aus dem Nebenzimmer. Er leidet auch an Einsamkeit, denn seine Kameraden sind nach Deutschland zurückgegangen. Über seine persönliche Geschichte möchte er nicht sprechen, er erwähnt jedoch, dass er Jude ist. Des Weiteren gesteht er dem Ich-Erzähler, dass er sich in dessen Ex-Freundin Nadine verliebt habe.

Analyse

In diesem Kapitel führt die Autorin ihre Leserschaft langsam auf die Vierecksgeschichte zu, die sich zwischen dem Ich-Erzähler, dem toten Schriftsteller Weidel, dem Arzt sowie Weidels Frau Marie ergibt. Gleichzeitig enthält es den Höhepunkt der Erzählung: die erste Begegnung des Hauptprotagonisten mit Marie.

Beim Zusammentreffen des Ich-Erzählers mit dem Arzt an dessen Wohnungstür führt Anna Seghers die Figur der Marie ein. Doch der Hauptprotagonist sieht von ihr nur »den blauen seidenen Saum auf einem dünnen Handgelenk« (S. 89) und ahnt, dass der Arzt eine Frau hat, die »vielleicht sanft und schön« (S. 89) ist. Danach hört er noch ihre Stimme. Ihre Gestalt bleibt jedoch unsichtbar im Hintergrund.

In Bezug auf den Arzt spürt der Ich-Erzähler von Anfang an eine Art Eifersucht, denn dieser hat nicht nur eine Frau, sondern auch einen Beruf, der ihm Berufung bedeutet: »Dieser Mann ist Arzt mit Leib und Seele. Er kann den Menschen helfen.« (S. 91) Den kranken Jungen der Binnets behandelt er mit einem »Ausdruck von Weisheit und Güte« (S. 93) in seinem Gesicht. Des Weiteren hat er mit der Aussicht auf eine Stelle in Mexiko ein Ziel vor Augen. All diese Dinge fehlen dem Ich-Erzähler, und er ist selbst oft seines ziellosen »belanglosen müßigen Daseins« (S. 93) überdrüssig.

Am 28. November kommt es zu einer folgenreichen Begegnung in einem Café, die das Leben des Ich-Erzählers verändern wird. Um »sechs Uhr nachmittags« (S. 96) sieht er eine Frau eintreten und spürt sofort, dass er sich unsterblich in sie verliebt, denn: »Die Frau, die eben an mir vorbeiging, gönnte ich niemand.« (S. 97) Der Ich-Erzähler erklärt explizit: »Ich habe das Datum behalten.« (S. 92) Damit wird der Höhepunkt der Erzählung, der sich in dieser Szene darstellt, nochmals hervorgehoben.

Er nimmt die verzweifelte Suche dieser Frau wahr und fragt sich: »Wer war der Mensch, nach dem sie verzweifelt suchte?« (S. 97) Er hat die unbestimmte Empfindung, sie suche nach einem Mann, was ihn mit Eifersucht gegenüber dem Unbekannten erfüllt. Was die Lesenden schon vermuten, ist dem Ich-Erzähler noch nicht klar: Sie sucht ihren Ehemann Weidel (S. 97).

Die Autorin setzt hier ihre vier Figuren schon im ersten Zusammentreffen in eine klare Position zueinander, die sich innerhalb der Handlung bis zum Ende durchzieht. Marie bleibt für den Ich-Erzähler ein schattenhaftes Wesen. Da sie sich auf die Suche ihres toten Mannes Weidel fixiert hat, kann er letztendlich nicht zu ihr durchdringen. Den Arzt erklärt er zwar zu seinem Rivalen, jedoch ergeht es diesem ebenso wie dem Ich-Erzähler. Beide Männer begehren die gleiche Frau, die sich jedoch ihrem toten Ehemann verschrieben hat. Die Konstruktion dieser Vierecksgeschichte geht nach Aussage der Autorin auf die Tragödie »Andromache« von Jean Racine (1639–1699) zurück, die als Vorlage zu ihrer Geschichte diente.

Dem Ich-Erzähler sind die Fluchtgeschichten, mit denen er tagtäglich konfrontiert wird, zuwider, denn sie langweilen ihn (S. 95). Ihm wird jedoch bewusst, dass es sich um »uraltes Hafengeschwätz« (S. 95) handelt, das es seit Menschengedenken schon immer gab. In diesem geschichtlichen Strom der Zeit fühlt er sich selbst »unsterblich« (S. 96), sodass er sich mit der gegenwärtigen Situation versöhnt.

Indem ihr Hauptprotagonist mit diesen Gedankengängen kurzzeitig die Ebene der Realität verlässt, stellt sich die Autorin klar gegen die vorgegebenen Regeln des sozialistischen Schreibstils, die nach Lukács’ Position in der Expressionismusdebatte eine Beschreibung unerlebter Ereignisse nicht zulassen.

Als der Ich-Erzähler der unbekannten Frau aus dem Café hinaus in die verwinkelten Gassen der Altstadt folgt, vergisst er leider auch das Treffen mit seinem Freund Heinz, sodass er jetzt auch jemanden im Stich gelassen hat.

Des Weiteren gerät er dabei zufällig in einen mysteriösen Gottesdienst, in dem der Priester seiner Gemeinde aus einem Bibelvers aus dem zweiten Brief des Paulus an die Korinther (11:25) zitiert und sie damit beschwört, Gott zu vertrauen. Welches Unglück auch immer geschieht, ob »einmal gesteinigt, dreimal hab ich Schiffbruch erlitten, […]« (S.107), der Glaube erlaubt keine Furcht.

Die Reaktion des Hauptprotagonisten auf diesen Gottesdienst spiegelt die Haltung der Autorin zur Thematik des Glaubens wider: »Ich wollte nicht auf dem Meeresgrund leben bleiben, ich wollte dort oben zugrunde gehen mit meinesgleichen.« (S.197) Als Kommunistin sieht sie im Glauben keine Rettung aus der Katastrophe, sondern nur im aktiven Kampf gegen den Faschismus, der, wenn es sein muss, auch mit dem Tod bezahlt werden muss.

Das Spiel seiner wechselnden Identitäten (Seidel/Weidel) treibt der Ich-Erzähler munter weiter und kommt somit an die notwendigen Papiere zur Ausreise. Da Paul Strobel Wort gehalten hat, ist er dank seiner einflussreichen Freunde nun im Besitz einer Bürgschaft, die ihm seine Identität als Weidel bescheinigt. Er reiht sich jetzt immer mehr in den Kreis der Geflüchteten ein, die aktiv ihre Ausreise vorbereiten, aber nur aus einem Grund: »Man wird mir glauben, dass es mir ernst ist, abzufahren, man wird mich deshalb bleiben lassen.« (S. 112)

Dem Kind von Claudine, mit dem er mittlerweile eine enge Verbindung hat, versichert er nochmals, dass er nicht gehen wird: »Ich drückte ihn an mich, küsste ihn, schwor, ich würde nie von ihm weggehen.« (S. 112)

Die Autorin wählt für die Schilderung einer nochmaligen Verfolgung der unbekannten Frau durch ihren Hauptprotagonisten eine gespenstische Szenerie. In den dunklen Gassen kommt er an einem Haus vorbei, das einen Toten beherbergt und deshalb mit »schwarzen, silberbortigen Schärpen« (S.116) geschmückt ist. Gleichzeitig fühlt sich der Ich-Erzähler wie in einer Art Trance: »Mir war es wie ein Traum, ich sei selbst der Tote, und gleichzeitig griff es mir ans Herz.« (S. 116) Zum einen verstößt Anna Seghers mit der Verwendung dieser kurzen Traumsequenz wieder gegen den vorgegebenen sozialistischen Schreibstil nach Lukács, zum anderen umgibt sie die Figur der Frau mit einer Aura des Todes, die der Ich-Erzähler hier sogar bis in die Tiefen seines Körpers spürt.

Veröffentlicht am 9. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 9. Mai 2023.