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Transit

Aufbau des Werkes

Der Roman »Transit« ist in zehn Kapitel aufgeteilt, die jeweils nochmals in vier bis zehn Unterkapitel gegliedert sind. Die kleinschrittige Aufteilung sowie die fehlenden Überschriften unterstreichen die filmische Darstellung der Handlung und erinnern an einzelne Szenen eines Drehbuchs.

Es handelt sich überwiegend um eine chronologische Erzählung, die der Ich-Erzähler aus seiner Perspektive im Rückblick in einem Marseiller Café sitzend seinem fiktiven Gegenüber, das er sich selbst erschaffen hat, von ihrem Ende her berichtet. Als Auslöser dient ihm der mutmaßliche Untergang des Schiffes »Montreal«, auf dem sich unter zahlreichen Geflüchteten auch seine große Liebe Marie befunden hat.

Die erzählte Zeit umfasst weniger als ein Jahr und reicht vom Zeitpunkt der deutschen Besetzung Frankreichs Ende Juni 1940 bis einige Monate nach Abfahrt der »Montreal« aus Marseille im Frühjahr 1941, in dem auch Anna Seghers selbst an Bord der »Paul Lemerle« emigrierte. 

Da Anna Seghers in diesem Werk teilweise auch ihre eigenen autobiografischen Erlebnisse eingearbeitet hat, könnte man fast davon ausgehen, dass es sich hier um einen mündlichen Zeitzeugenbericht handelt. Dagegen sprechen jedoch folgende Aspekte:

Die Autorin stellt in ihrem Roman zwar Bezüge zu tatsächlich stattgefundenen Begebenheiten her, verzichtet dabei aber auf genaue Zeitangaben von historischen Ereignissen, sodass die Handlung von einer Mischung zwischen Fakten und Erfundenem bestimmt wird. Daher haftet ihr eine gewisse Zeitlosigkeit an. Nur ein einziges Mal wird durch den Ich-Erzähler ein genaues Datum genannt. Dies stellt den Höhepunkt der Geschichte dar und leitet gleichzeitig ihren Wendepunkt ein. Es handelt sich hier um die erste Begegnung mit Marie: »Ich komme jetzt auf das Wichtigste. Es war am 28. November.« (S. 92)

Die Autorin verleiht dem Ich-Erzähler den Beruf des Monteurs, dem sich hier eine gewisse metaphorische Bedeutung zuordnen lässt. Denn er vermag es im Verlauf der Geschichte durch den ständigen Wechsel seiner Identitäten, sich seine Realität immer wieder neu zu »montieren«. Er springt spielerisch zwischen den verschiedenen Persönlichkeiten (seinem eigenen Ich–Seidel–Weidel) hin und her, was dem Handlungsablauf eine gewisse Dynamik verleiht. Dadurch dass der Ich-Erzähler sein gesamtes Umfeld in sein Spiel hineinzieht, »montiert« er sich eine neue Realität, sozusagen eine Parallelwelt, die ihm letztendlich leider auch zum Verhängnis wird.

Als Vorbild für die tragische Vierecksgeschichte, die nun folgt, diente nach Anna Seghers’ Aussagen (Brief vom 7. März 1960) die Tragödie »Andromache« (1667) des französischen Dramatikers Jean Racine (1639–1699): »Was mit dieser Frau und ihren zwei Freunden und ihrem toten Geliebten passiert, das gleicht der Handlung von >Andromaque<: Zwei Männer kämpfen um eine Frau, aber die Frau liebt in Wirklichkeit einen dritten Mann, der schon tot ist.« 

Beim Aufbau ihres Romans hält sich die Autorin weitestgehend an die aristotelische Dramenstruktur, denn die Geschichte enthält in ihrem Ablauf die fünf Elemente, die eine solche Struktur kennzeichnen: die Exposition, die Komplikation, den Höhepunkt, ein retardierendes Moment und die Katastrophe am Schluss.

Zwar wird das Ende in »Transit« zu Beginn schon angedeutet und damit vorweggenommen, sodass die Lesenden eine Ahnung davon bekommen, dass es zu keinem guten Ausgang kommt. In den folgenden Kapiteln führt die Autorin sie jedoch in die Handlung ein und baut langsam einen Spannungsbogen auf. Dabei sind die persönlichen Ansprachen an den fiktiven zuhörenden Gast, mit der der Hauptprotagonist seine Erzählung häufig unterbricht, ein weiteres Element zur Steigerung der Spannung. 

Der Ich-Erzähler berichtet seinem fiktiven Gegenüber von seiner Flucht nach Paris. Hier kommt er unerwartet zum unvollendeten Romanmanuskript des toten Schriftstellers Weidel, dessen Identität er später annimmt. Nachdem die Deutschen Paris besetzt haben, muss der Ich-Erzähler weiter in die unbesetzte Zone Frankreichs fliehen. Schließlich kommt er in Marseille an, wo der Höhepunkt der Handlung erfolgt. Ein Café, in dem sich der Hauptprotagonist jetzt öfters aufhält, ist der Schauplatz, an dem er seine große Liebe Marie zum ersten Mal sieht: »Es war sechs Uhr nachmittags. Ich sah gleichgültig über die Leute weg auf die Tür. […] Eine Frau kam herein. Was soll ich Ihnen darüber sagen? Ich kann nur sagen: sie kam herein.« (S. 96)

In den folgenden Kapiteln versucht der Ich-Erzähler, Marie für sich zu gewinnen. Durch das Wechselspiel seiner Identität, seine Täuschungsmanöver, die Schwierigkeiten mit der Dokumentenbeschaffung sowie die gescheiterte Abreise des Arztes, den er als seinen Rivalen ansieht, wird der Handlungsablauf verzögert, wodurch wiederum die Spannung vor der Katastrophe aufgebaut wird. Schließlich kommt es zur abschließenden Tragödie: zur Abfahrt Maries und vermutlich sogar zu ihrem Tod.

Veröffentlicht am 9. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 9. Mai 2023.