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Transit

Sprache und Stil

Anna Seghers bedient sich im Roman eines männlichen Ich-Erzählers, der einem fiktiven Gegenüber aus seiner Perspektive seine persönliche Lebensgeschichte berichtet. In diesem mündlichen Monolog wird die unbekannte Person im Verlauf der Handlung immer wieder mit Floskeln in das Geschehen mit einbezogen, womit eine authentische Erzählsituation erzeugt wird (S. 6, S. 11). Zudem werden die Lesenden damit unmittelbar in das Geschehen hineingezogen. 

Es ist eine Art therapeutisches Erzählen, denn der Hauptprotagonist erhofft sich, dass er durch seinen mündlichen Bericht das Erlebte endlich verarbeiten und abschließen kann: »Denn abgeschlossen ist, was erzählt wird.« (S. 230)

Trotz seiner Herkunft aus der Arbeiterklasse besitzt der Erzähler ein erstaunlich hohes Bildungsniveau, was sich auch in seiner Sprachwahl ausdrückt, denn er bedient sich häufig einer bildlichen Wortwahl und teilweise poetischen Sprache, wie zum Beispiel am Ende seiner Geschichte: »Der abgerissene Fetzen von einem Schatten vor mir auf der Wand suchte noch einmal Anschluss an Fleisch und Blut. Ich konnte den Schatten an meinem eigenen Zufluchtsort in dem abgelegenen Dorf verstecken, wo er noch einmal aller Hoffnungen und aller Gefahren gewärtig wäre, die das Leben der echt Lebendigen belauern.« (S. 300)

Im Gegensatz dazu finden sich aber auch zahlreiche umgangssprachliche Äußerungen, wie:  »Ich selbst war im Jahre 1937 aus einem deutschen KZ getürmt« (S. 9) oder »Drei Tage hatte man dann geglaubt, die Hand sei futsch.« (S.16)

In die eigene Geschichte des Ich-Erzählers, in der häufig die Dialogform verwendet wird, sind wiederum viele Erzählungen eingewoben, die in direkter Rede von den Geflüchteten berichtet werden. Dabei bedient sich Anna Seghers einer Erzähltechnik, die stark an das szenische Schreiben erinnert. Wie mit einer Kamera werden diese persönlichen Schicksale herangezoomt, sodass für einen Moment eine Art Nahaufnahme eines einzelnen Schicksals entsteht. Anschließend richtet sich der Fokus wieder auf das gesamte Geschehen. Durch diese Technik wird ein Wechsel zwischen Nähe und Distanz erzeugt, mit dem die Autorin eine gewisse Dynamik im Handlungsablauf erwirkt, die zum Spannungsaufbau ihrer Geschichte beiträgt.

Während des Erzählens wird die Kontinuität der Ich-Perspektive häufig durchbrochen, indem der Hauptprotagonist seine Realität verlässt und die Geschehnisse in ein großes historisches Ganzes einordnet, sodass eine Metaebene entsteht, die von ihm kommentiert wird (S. 95, S. 289 f.). Zum einen schafft er damit eine Distanz zum gegenwärtigen Geschehen, sodass er selbst das Erlebte besser verarbeiten kann. Zum anderen ist die Einordnung in ein größeres Ganzes auch ein Zeichen dafür, dass ein gewisses Urvertrauen in die Menschheit besteht, die über alle Zeiten hinweg niemals aufgehört hat zu existieren.

Die ironischen Beschreibungen mancher Szenen, die der Hauptprotagonist tätigt, sind ebenso Ausdruck für eine Distanz vom Erlebten und dienen dem eigenen Überleben. 

Auffällig sind die vielen Verweise  auf die christliche Religion, die die Autorin immer wieder in  ihren Text einbindet. Hierbei legt sie oftmals eine gewisse Ironie an den Tag, die verdeutlicht, dass sie als bekennende Kommunistin an keinen Gott glaubt, der das menschliche Schicksal in seinen Händen hält. 

Durch ihre moderne Art der Erzähltechnik, die Anna Seghers im Roman »Transit« verwendet, stellt das Werk ein bedeutendes zeithistorisches Dokument dar, denn damit positioniert sie sich in der sogenannten Expressionismusdebatte. In diesem sehr konträr geführten Diskurs, der 1934 seinen Anfang nimmt und überwiegend in der Moskauer Exilzeitschrift »Das Wort« (1937) unter den links intellektuellen Kunstschaffenden ausgetragen wird, geht es darum, welche Techniken für den Kampf gegen das NS-Regime in der Literaturproduktion eingesetzt werden sollten.

Anna Seghers gehört als Kommunistin zwar ebenso zu den zahlreichen schriftstellerisch Tätigen, die ihre Kunst in den Dienst des antifaschistischen Kampfes stellen. Aber keinesfalls möchte sie sich dabei an verbindliche Regeln halten müssen, die für die Produktion antifaschistischer Literatur nach den Prinzipien des sozialistischen Realismus aufgestellt werden. Mit einem Brief an Georg Lukács vom 28. Juni 1938 stellt sie klar, dass sie entschieden gegen diese marxistische Doktrin ist, die gewisse Schreibtechniken vorschreibt. Diese Haltung bringt ihr viel Kritik ein, sie hält jedoch an ihrer Erzähltechnik der Moderne fest, was sich in ihrem Roman »Transit« widerspiegelt.

In ihrem literarischen Schaffen hält Anna Seghers sich im Falle des Romans »Transit« lieber an ihr Vorbild Franz Kafka, denn es finden sich zahlreiche kafkaeske Szenen in diesem Werk. Gerade die Beschreibungen der Einwanderungspraktiken auf den Konsulaten, die für die Geflüchteten mit ihren Hürden und ihrer undurchschaubaren Bürokratie jeglicher Logik entbehren, spiegeln die Absurdität menschlichen Lebens wider. Die Geschichte rückt damit auch in die Nähe der Existenzialisten, deren Hauptvertreter wie Sartre und Camus, annehmen, dass allem menschlichen Leben eine Absurdität zugrunde liegt. Aus dieser Absurdität gibt es zwar keine religiöse Befreiung, der Einzelne kann aber ihr zum Trotz individuell entscheiden und handeln und damit aus eigener Kraft seiner Existenz Sinn verleihen. 

Veröffentlicht am 9. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 9. Mai 2023.