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Transit

Kapitel 9

Zusammenfassung

Abschnitt I–II
Der Ich-Erzähler hat verstanden, dass Marie jetzt unweigerlich abreisen wird und beschließt, ihr dabei weiter zu helfen. Dazu begibt er sich im Café zu der ihm altbekannten Truppe von Exilsuchenden um Strobel, unter der auch Achselroth zu finden ist. Er versucht diesen zu überreden, Weidels Frau bei der Beschaffung eines Transits zu helfen, damit es für die schon gebuchte Schiffspassage auch gültig ist. Dazu müsse ihr bereits zugesagter Termin beim amerikanischen Konsul vordatiert werden. Achselroth zeigt sich hilfsbereit und gibt ihm einen Brief an Marie mit zwei Notizen darin mit.

Der Ich-Erzähler entscheidet, das Schreiben Marie nicht auszuhändigen und selbst die Sache in die Hand zu nehmen. Er öffnet den Brief und zerreißt die Notiz an sie. Auf dem anderen Papier stehen der Name und die Adresse des einflussreichen Menschen, der Marie helfen könnte. Es ist ein gewisser Professor Whitaker im Hotel Splendide, den der Ich-Erzähler jetzt sofort aufsucht.

Beim Warten in der Hotelhalle stellt der Ich-Erzähler fest, dass von ranghohen deutschen Offizieren über Abgeordnete verschiedener Kommissionen bis hin zu Agenten alle wichtigen Personen in diesem vornehmen Hotel vertreten sind. Als er schließlich vor dem Mann steht, der über das Schicksal Maries entscheidet, gelingt es ihm, ihn davon zu überzeugen, dass sein Lebensglück ebenfalls von seiner Hilfe abhängt.

Der Professor fragt, was er in Zukunft zu tun gedenke. Wahrheitsgemäß erzählt er ihm, dass er seine Schriftstellerei aufgeben wolle und lieber ein Handwerk erlernen möchte. Er wolle nicht mehr nur über das Leben schreiben, wichtig sei ihm jetzt eher das reine Erleben an sich. Der Professor sichert ihm seine Unterstützung zu.

Abschnitt III–V
Der Ich-Erzähler trifft auf Marie und lädt sie in die Pizzeria ein. Wieder kommt ihm der Gedanke, ihr endlich zu gestehen, dass ihr Mann in Paris Selbstmord begangen hat. Doch er verwirft ihn wieder. Marie freut sich über die gute Nachricht, dass er eine Vordatierung ihres Termins erwirken konnte, hat aber gleichzeitig Angst vor der bevorstehenden Anhörung beim amerikanischen Konsul.

Am Abend sitzt der Ich-Erzähler aufgrund einer Einladung im Hotel mit anderen Exilanten zusammen, die sich gegenseitig ihre Fluchtgeschichten erzählen.

Der Ich-Erzähler begleitet seinen Freund, den Legionär, wieder aufs brasilianische Konsulat. Hier bekommt dieser noch letzte Anweisungen, um zu den notwendigen Ausreisepapieren zu kommen. Am nächsten Tag wird er aus der Fremdenlegion entlassen und ist nun mit allen Papieren zur Abreise bereit. Abends bekommt er jedoch die Nachricht, dass er noch einen Ariernachweis benötigt. Der Legionär entscheidet, mit dem Nachtzug nach Deutschland zurückzufahren.

Abschnitt VI–VIII
Marie hat endlich ihr Transit bekommen, es fehlt jedoch noch das Visa de sortie, was sie nur bekommen könne, wenn ihr Mann dieses Papier auch schon erhalten habe. Damit sie ausreisen kann, muss der Ich-Erzähler das letzte Dokument für sich doch noch beschaffen. Er beschließt, Nadines Freundin Rosalie einzuschalten, die auf dem dafür zuständigen Amt arbeitet.

Maries Gedanken kreisen derweil um die Zukunft im neuen Land. Sie fragt sich, ob dann endlich Ruhe herrsche und sie dort mit ihrem Mann endlich in Frieden leben könne. Als Strobel und Achselroth das Café betreten, zieht er sie aus dem Café hinaus, um von ihnen nicht entdeckt zu werden.

Der Ich-Erzähler sucht nun Rosalie in ihrer Wohnung auf und bittet sie um das dringend benötigte Visa de sortie. Seinen Bestechungsversuch weist sie ab, stattdessen möchte sie von ihm den wahren Grund wissen, warum er aus Deutschland fliehen musste. Zum ersten Mal interessiert sich jemand für seine Geschichte, und bereitwillig erzählt er sie ihr. Dies hat zur Folge, dass sie ihm ihre Unterstützung zusagt.

Angesichts der bevorstehenden Abreise von Marie packt den Ich-Erzähler plötzlich die Angst, allein in dieser Stadt zurückbleiben zu müssen. Panisch läuft er zum amerikanischen Reisebüro und besteht darauf, ein Ticket für das Schiff nach Martinique zu bekommen. Da sein Reisegeld jedoch in Lissabon liegt und ihm nicht zur Verfügung steht, ist dies nicht möglich. Des Weiteren rät der Beamte ihm auch eindringlich davon ab.

Analyse

Der Ich-Erzähler begreift, dass er und auch sein Rivale, der Arzt, aufgrund ihrer Eigeninteressen Marie falsch eingeschätzt haben: »Wir hatten gezögert, der Arzt und ich, und uns um die Frau gestritten, die immer entschlossen gewesen war.« (S. 247)

Er sieht Marie nun in einem neuen Licht, denn sie ist diejenige mit einer starken Entschlusskraft, da sie genau weiß, was sie möchte: nämlich sofort abreisen, weil sie der Überzeugung ist, dass ihr Mann auch auf dem Schiff sein werde. Indem er dies erkennt, vermag er es, seine persönlichen Interessen zurückzustellen, um ihr noch zu helfen, das notwendige letzte Papier zur Ausreise zu besorgen.

Durch eine Empfehlung Achselroths wendet er sich an einen einflussreichen Professor, den er ironisch als »einen Mann Gottes« (S. 254) bezeichnet, da er Maries Schicksal in der Hand hat. Die Autorin greift im Zusammenhang der Praktiken auf den Konsulaten des Öfteren auf religiöse Vergleiche zurück, um deutlich zu machen, dass die Menschen keine Freiheiten mehr haben, ihr persönliches Schicksal in die Hand zu nehmen, sondern von einer höheren Macht abhängig sind, die sie nicht beeinflussen können.

Hier legt Anna Seghers eine gewisse Ironie an den Tag, was ihre Haltung zur Religion verdeutlicht. Selbst Gott, wenn es denn einen gäbe, könnte nichts mehr richten, sondern es sind menschliche Individuen, die es sich herausnehmen, mit undurchsichtigen Regelungen über das Leben der Geflüchteten zu entscheiden (S. 255). Mit dieser Ansicht kommt sie nahe an die Philosophie des Existenzialismus, in der diese Auffassung enthalten ist.

Der Professor fragt den Ich-Erzähler alias Weidel nach seinen Plänen für die Zukunft, und er äußert daraufhin, dass er kein Buch mehr schreiben werde und sich lieber dem Handwerk widmen möchte. Denn für ihn besteht nicht der Sinn des Lebens darin, nur zu erleben, um anschließend darüber schreiben zu können, wie seine Schriftstellerkolleginnen und -kollegen dies tun: »Und all diese Schreibenden, die mit mir in einem Lager steckten, die mit mir flohen, für die sind plötzlich die furchtbarsten und die seltsamsten Strecken unseres Lebens bloß durchlebt, um darüber zu schreiben: das Lager, der Krieg, die Flucht.« (S. 256)

Damit kritisiert Anna Seghers nochmals die Auffassung, die schriftstellerische Tätigkeit nur darauf auszurichten, das real Erlebte wiederzugeben, wie es für eine sozialistische Produktion von Literatur nach Georg Lukács erforderlich ist.

Wie absurd die Praktiken der Einwanderungsbehörden sind, thematisiert Anna Seghers noch einmal am Fall des Legionärs. Er ist jüdischen Glaubens und muss nach Aufforderung des brasilianischen Konsulats zu guter Letzt noch einen »Ariernachweis« (S. 262) erbringen, sodass er gezwungen ist, in seine Heimat zurückzufahren.

Marie hat jetzt ihren Transit erhalten und glaubt, dass ihr Mann sie »drüben« (S. 266) in der neuen Heimat erwarten werde, hat aber immer noch Zweifel, ob es einen neuen Anfang geben kann. Der Ich-Erzähler gibt sich realistisch und weiß, dass er in Frankreich »ganz gute Beziehungen« hat und sich »drüben« nicht auskennt (S. 266).

Um ihr noch das letzte Dokument, das »Visa de sortie« zu beschaffen, wendet er sich an Rosalie, eine Freundin Nadines, die in einer französischen Behörde arbeitet. Dieser Frau öffnet er sich und erzählt ihr seine Geschichte, woraufhin sie ihm hilft: »Zum ersten Mal half mir hier jemand, weil ich der war, der ich war« (S. 270).

Dass der Ich-Erzähler damit eine Wandlung in seinem Inneren durchgemacht hat, wird klar, als er sich nun seiner Gefühle bewusst wird. Die einstige Leichtigkeit und Abenteuerlust sind verflogen, und er sieht sich dem Ernst der Lage ausgesetzt. Es breitet sich Angst in ihm aus: »ich sah mich allein, als sei ich auf einer Insel im Ozean, ja auf einem Sternchen im Weltall. Ich war allein mit der schwarzen vierarmigen Riesenkrabbe, dem Hakenkreuz.« (S. 271)

Um dem entgegenzuwirken, packt ihn jetzt auch der Wille, so schnell wie möglich auszureisen, und zwar mit dem Schiff »Montreal«, auf dem auch Marie und der Arzt sich befinden werden. Auf dem amerikanischen Reisebüro kann er sich kein Gehör verschaffen, und man rät ihm sogar von diesem Schiff ab: »Das ist doch kein Schiff für Sie. Ein schlechtes abscheuliches Schiff. Es wird sie nie dahin bringen, wohin Sie wollen.« (S. 273)

Mit dieser Bemerkung verweist Anna Seghers direkt wieder auf den Anfang der Geschichte, und zwar auf den vermutlichen Untergang dieses Schiffes. Den Lesenden ist klar, dass der Ich-Erzähler letztendlich Glück gehabt hat, nicht mitgefahren zu sein, da es sich wohl tatsächlich um ein schlechtes Schiff gehandelt hat, denn es kommt nicht an.

Veröffentlicht am 9. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 9. Mai 2023.