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Transit

Kapitel 6

Zusammenfassung

Abschnitt I–III
Der Ich-Erzähler trifft auf dem mexikanischen Konsulat wieder auf Heinz, seinen Freund aus dem Arbeitslager. Er entschuldigt sich bei ihm, dass er damals nicht zum vereinbarten Treffen erschienen war. Des Weiteren bietet er ihm die Schiffspassage nach Oran an, die er eigentlich für den Arzt vorgesehen hat, weil er sich ihm gegenüber als Freund in der Pflicht fühlt.

Für sein eigenes Anliegen beantragt er beim Konsul mit der Identität Weidels, seine Frau Marie nachträglich noch als begleitende Person auf sein Visum einzutragen.

Da Heinz an der Schiffspassage interessiert ist, organisiert der Ich-Erzähler ein gemeinsames Treffen mit dem Kapitän, das in einer abgelegenen Herberge stattfindet. Der Ich-Erzähler verfällt hier in eine depressive Stimmung, da er wohl bald auch seinen Freund verlieren wird. Er beneidet Heinz um seine Charakterstärke und um sein festes Ziel, das er in sich trägt, denn er selbst fühlt sich innerlich leer.

Bei einem Gespräch mit dem Arzt bei der Familie Binnet erfährt der Ich-Erzähler, dass dieser zur Ausreise schon längst eine Alternative hat und die Überfahrt nach Oran nicht mehr benötigt. Zudem schildert ihm der Arzt seine gemeinsame Flucht mit Marie und warnt ihn davor, seine eigene Abreise von der Entscheidung Maries abhängig zu machen. Denn solange sie ihren Mann nicht finde, würde sie niemals abfahren können. Als der Arzt den möglichen Tod Weidels anspricht, fühlt sich der Ich-Erzähler ertappt. Er empört sich, aber anstatt die Wahrheit mitzuteilen, behauptet er, der Mann könne schließlich doch noch leben.

In der anschließenden Unterhaltung mit Claudine wird deutlich, dass der Ich-Erzähler sie für ihre klare Haltung zur Thematik der Flucht bewundert. Claudine weiß genau, dass sie mit ihrem Sohn bei Georg bleiben möchte, denn dieser Ort ist nach der Flucht aus ihrem Herkunftsland eindeutig ihre Heimat. Der Ich-Erzähler ist durch ihre innere Festigkeit stark beeindruckt, sodass er sich noch heimischer in dieser Familie fühlt. Gleichzeitig leidet er jedoch auch darunter, dass er anders ist und letztendlich immer allein bleibt.

Abschnitt IV–VII
Der Ich-Erzähler trifft in einem Café wieder auf die suchende Marie und hat den festen Vorsatz, ihr endlich die Wahrheit über ihren Mann mitzuteilen. Schnell verwirft er diesen Gedanken jedoch wieder, da sie froh ist, ihn zu sehen. Marie möchte jedoch nur von ihm wissen, ob es schon etwas Neues in Sachen ihres Visums gibt.

Auf seinem Heimweg wird er von Paul Strobel und seinen Freunden aufgehalten. Er setzt sich auf ihre Bitte hin zu ihnen an den Caféhaustisch. Hermann Achselroth, der Paul und seine Kameraden bei der damaligen Flucht aus dem Arbeitslager im Stich gelassen hat, befindet sich auch unter ihnen. Er erzählt, er habe Weidel kürzlich in einem Café, hinter einer Zeitung versteckt, gesehen. Zudem gibt Achselroth zu, dass er die damalige Fluchtmöglichkeit Weidels aus Paris zugunsten seiner Geliebten vereitelt habe. Im weiteren Gesprächsverlauf kommt heraus, dass Weidel damals tatsächlich über Massenerschießungen im Spanischen Bürgerkrieg berichtet hat.

Der Ich-Erzähler erblickt Marie und bringt sie dazu, einen Moment bei ihm stehenzubleiben. Sein Ziel ist es, sie daran zu gewöhnen, ihre Suche nicht mehr auf ihren toten Mann zu fokussieren. Er ist es, der von ihr gesucht werden möchte.
Marie scheint vorwiegend an der Beschaffung ihrer Dokumente zur Ausreise interessiert zu sein, was dem Ich-Erzähler missfällt. Er versucht, Marie nahezubringen, dass sie erst einmal hier zu dritt auskommen müssen. Des Weiteren hat sie Angst, ihrem Mann Weidel plötzlich zu begegnen. Der Ich-Erzähler beruhigt sie jedoch und konzentriert sich darauf, sie von diesen Gedanken abzubringen.

Abschnitt VIII–X
Der Ich-Erzähler trifft sich nun täglich mit Marie, wobei sie sich ein wenig näherkommen. Trotzdem überfällt ihn ab und an ein gewisser Argwohn, sie wäre nicht an seiner Person, sondern doch nur an der Beschaffung ihres Visums interessiert. Marie berichtet ihm von ihrem früheren Leben in Deutschland und vom zufälligen Kennenlernen ihres Mannes Weidel auf einer Bank in Köln. Wenig später folgte sie ihm aus einer gewissen Abenteuerlust heraus ins Exil.

Plötzlich wird Marie panisch, denn sie denkt, im Café ihren Mann zu erkennen. Es stellt sich jedoch heraus, dass es sich um einen alten Franzosen handelt. Beide brechen nun Arm in Arm zu einem Spaziergang auf.

Anschließend kehren sie in die Pizzeria ein, denn Marie ist hier mit dem Arzt verabredet. Dieser erklärt, dass bald wieder ein Schiff auslaufen wird. Er hat entschieden, dieses Mal auch allein mitzufahren, falls Marie bis dahin noch kein Visum haben sollte. Aus diesem Grund bittet er den Ich-Erzähler nochmals eindringlich, Marie schnellstmöglich das Dokument zu beschaffen.

Marie geht selbst auf das mexikanische Konsulat, um sich zu erkundigen, wie weit die Angelegenheit mit ihrem Visum gediehen ist. Dort erfährt sie, dass es einige Verwirrung um den Namen ihres Mannes gegeben hatte, sodass es zu einer Verzögerung gekommen ist. Sie fühlt sich dafür verantwortlich, da sie schließlich mit einem anderen Mann abreisen wollte. Um ihr diese Gewissensbisse zu nehmen, trägt sich der Ich-Erzähler mit dem Gedanken, ihr jetzt die Wahrheit zu gestehen. Aber es gelingt ihm wieder nicht. Er möchte noch warten, bis sie endgültig gefühlsmäßig nur ihm zugetan ist. Der Ich-Erzähler entscheidet, gar nicht mehr auf das mexikanische Konsulat zu gehen, denn er möchte, dass der Arzt ohne Marie abfährt.

Analyse

In einer erneuten Begegnung mit Heinz wird deutlich, wie sehr der Ich-Erzähler zu ihm aufschaut. Denn er beneidet ihn um sein Leben, das er nur einem Ziel untergeordnet hat: Heinz möchte dabei sein, »wenn sich alles verändert« (S. 158). Dahinter steht der Glaube, dass eines Tages eine neue Gesellschaftsordnung nach marxistischem Vorbild entstehen wird, die von Solidarität und Gleichberechtigung geprägt ist.

In der Figur Heinz spiegelt sich das ideale marxistische Menschenbild wider, was von der Autorin als die höchste Stufe menschlicher Entwicklung angesehen wird. Heinz hat als Einziger in diesem Roman das Endstadium des idealen Menschseins schon erreicht. Er hat sich vom kapitalistischen System emanzipiert und lebt nach dem Prinzip der Solidarität und Gleichberechtigung. Seine Tätigkeit ist nicht nur Selbstzweck, sondern bezieht sich immer auch auf seine Mitmenschen, denn nur gemeinsam ist es möglich, ein neues sozialistisches Gesellschaftssystem aufzubauen. Darin liegt seine Macht begründet, wie der Ich-Erzähler feststellt. Heinz hat ein unerschütterliches Vertrauen, dass immer Hilfe da ist, denn er ist überzeugter Kommunist und glaubt an die Partei und ihre Solidarität: Er war »davon überzeugt, dass er nie allein war, dass er, wo er auch war, über kurz oder lang auf seinesgleichen stoßen musste« (S. 154).

Der Ich-Erzähler kann ihm zwar nicht das Wasser reichen, fühlt sich ihm nicht ebenbürtig, aber er ist »stolz« (S.156) darauf, ihm bei seiner Flucht helfen zu können, sodass er ihm die Schiffspassage anbietet, die er eigentlich dem Arzt versprochen hatte.

Der Arzt hat sich schon um eine andere Überfahrt gekümmert, sodass er diese nicht mehr benötigt. Es scheint, als durchschaue er den Ich-Erzähler in seinen Absichten gegenüber Marie, denn er macht ihm deutlich, dass er sich keine falschen Hoffnungen zu machen brauche: »Sie wird sich zu nichts auf Erden endgültig entscheiden, bevor sie nicht einen Mann wiedergesehen hat, der vielleicht tot ist.« (S. 160) Zudem wirft der Arzt ihm vor, »zwei Leben haben« (S.161) zu wollen, sodass sich der Ich-Erzähler ertappt fühlt, denn schließlich spielt er tatsächlich mit zwei Identitäten. So fühlt er sich in seiner Gegenwart unwohl, da der Arzt in seiner Ruhe und Festigkeit genau zu wissen scheint, dass er mit seinem Vorhaben keinen Erfolg haben wird.

Mit der Figur Claudine zeichnet Anna Seghers eine starke Frau, die genau weiß, dass sie in Frankreich bleiben wird. Denn sie musste aus Gründen, die nicht näher beschrieben werden, ihr Heimatland Madagaskar verlassen. Ihre gegensätzliche Haltung zu den Geflüchteten aus Europa bringt sie klar auf den Punkt: »Für euch ist die Stadt zum Abfahren da, für mich war die Stadt zum Ankommen« (S.163) und übt gleichzeitig starke Kritik an den Europäern: »Eure kalten Augen! Die ihr lange braucht für etwas, was für uns im Augenblick abgemacht ist« (S.163). Der Ich-Erzähler bewundert ihre Einstellung und fühlt sich aus diesem Grund noch wohler in der Familie, da sie so stark ihr jetziges Heim verteidigt. Claudine schließt den Ich-Erzähler sogar in ihre Familie mit ein.

Zufällig stößt der Ich-Erzähler auf die Künstlergruppe um Strobel, wobei jetzt auch Achselroth dabei ist, der Weidel in Paris im Stich gelassen hat, indem er anstelle seiner seine Geliebte im Auto in die unbesetzte Zone mitgenommen hat. Klar wird, dass sie ihren Schriftstellerkollegen Weidel wenig schätzen und sich gegen sein Werk positionieren. Sein Schreibstil ist ihnen nicht genehm, denn er ist »ein großer Zauberer – mit dem alten Trick« (S. 168) und seine »Novelle à la Weidel über eine Massenerschießung« (S.169) findet ebenso ihre Kritik.

Diese Diskussion unter den Schriftstellerinnen und Schriftstellern über das Werk Weidels steht stellvertretend für die gegensätzlichen Positionen, die in der Expressionismusdebatte in Bezug auf die Produktion antifaschistischer Literatur eingenommen wurden. In der Figur Weidel hat Anna Seghers ihre persönliche Haltung dazu ausgedrückt, denn wie bei Weidel müsse nach Seghers Literatur einen gewissen »Zauber« verbreiten. Dies geschieht, indem man bei der Textproduktion über die Realitätsebene hinaus auch gewisse Erzähltechniken aus der Welt der Märchen und Mythologie verwendet.

Mit dem Bericht Achselroths über seine gescheiterte Ausreise – das Schiff fuhr zwar aus, in Kuba ließ man sie jedoch nicht an Land, und sie mussten wieder umkehren – spielt die Autorin auf ein Drama an, dass sich im Juni 1939 mit dem Schiff »St. Louis« ereignete. 937 Geflüchtete jüdischen Glaubens befanden sich auf diesem Schiff, das von Kuba und den USA keine Erlaubnis bekam, anzulegen, sodass schließlich einige Hundert in den deutschen Konzentrationslagern starben.

Auch wenn der Ich-Erzähler sich nun täglich mit Marie trifft, bekommt er keinen Zugang zu ihr. Er bildet sich zwar ein, dass sie nun ihn suche: »Sie suchte jetzt mich, nicht den Toten« (S. 176), aber letztendlich ist sie auf ihren Mann fixiert. Bei einem nächtlichen Spaziergang durch die dunklen Gassen Marseilles wird deutlich, dass Marie sich in ihrem Bewusstsein schon eher im Schattenreich der Toten befindet als in der Realität und er sie dort nicht mehr erreichen kann: »Sie sah auf das Meer hinaus. Auf ihrem Gesicht war der Widerschein eines Gedankens, den sie mir nie anvertraut, vielleicht überhaupt nie ausgesprochen hatte. Und eine mir unzugängliche, mir verhasste Übereinstimmung zwischen diesem Gedanken und dem mir in diesem Augenblick gleichfalls verhassten, gleichfalls unzugänglichen Meer.« (S. 180)

Veröffentlicht am 9. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 9. Mai 2023.