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Transit

Kapitel 5

Zusammenfassung

Abschnitt I–V
Tag für Tag kommen immer mehr Geflüchtete in der Hafenstadt Marseille an. Der Ich-Erzähler distanziert sich zwar von ihnen und fürchtet, in diesen Strom der Ausreisewilligen hineinzugeraten. Gleichzeitig treibt er jedoch ebenso wie diese seine Abfahrt weiter voran, indem er sich um die Beschaffung der notwendigen Dokumente kümmert. Dabei erfährt er, dass er für eine weitere Aufenthaltsverlängerung jetzt eine feste Schiffspassage und einen Transit vorlegen müsse.

Der Ich-Erzähler trifft im Café täglich auf bekannte Gesichter, wobei auch die Frau wieder auftaucht, auf deren Erscheinen er jedes Mal fieberhaft hofft. Sie stürmt jedoch sofort aus dem Café. Er will ihr folgen, doch stößt er dabei auf Paul Strobel. Dieser beklagt sich jetzt bei ihm, dass Weidel sich nicht für seine Hilfe bedankt habe. Der Ich-Erzähler beschwichtigt ihn, denn die Sache mit seinem Namenstausch darf keineswegs ans Licht kommen.

Er kümmert sich weiter um seine Papiere und sucht ein Reisebüro auf, um sich eine Schiffspassage zu verschaffen. Dabei erfährt er, dass für Seidel alias Weidel alles Notwendige schon bereitliege und die Passage bezahlt sei, es fehle jetzt nur noch der Transit. Beim Hinausgehen wird der Ich-Erzähler auf einen kleinen Mann aufmerksam, der demnächst nach Oran zu fahren scheint.

Der Ich-Erzähler folgt ihm aus Langeweile durch die Gassen zu einem heruntergekommenen Café, lässt sich dort nieder und wartet, bis er von den Einheimischen angesprochen wird. Aus purem Zeitvertreib handelt er jetzt mit ihnen eine Schiffspassage von Oran nach Lissabon aus. Während er noch verhandelt, erscheint die unbekannte Frau vor der Tür. Er folgt ihr zwar sofort nach, sie ist jedoch schon weg, sodass er wieder ins Café zurückgeht. Die Einheimischen halten die beiden für ein Liebespaar, das sich zerstritten hat. Dieser Umstand nimmt sie günstig für den Ich-Erzähler ein, denn sie raten ihm zu einer schnellen Versöhnung. Zudem soll er am nächsten Tag wiederkommen, um mit einer zuständigen Person seine Verhandlungen fortzusetzen.

Der Ich-Erzähler besucht an diesem Abend noch weitere Cafés und trifft nochmals auf die unbekannte Frau. Dieses Mal gelingt es ihm, ihr durch die Gassen bis zu einer Bank gegenüber dem mexikanischen Konsulat zu folgen. Er setzt sich nieder, steht jedoch sofort wieder auf, als er ihrem Blick begegnet, der ihm signalisiert, sie wolle allein sein.

Abschnitt VI–VII
Bei einem Besuch der Familie Binnet trifft der Ich-Erzähler auf den Arzt. Dieser ist verzweifelt, da er aufgrund einer Namensverwechslung nicht die erhoffte Schiffspassage nach Lissabon bekommen hat. Der Ich-Erzähler bietet ihm jetzt die Passage an, die er am Vorabend mit den Einheimischen ausgehandelt hat. Daraufhin lädt ihn der Arzt zum Abendessen ein, weil er mehr darüber erfahren möchte.

Hier kommt die unbekannte Frau nun hinzu. Es stellt sich heraus, dass sie die Lebensgefährtin des Arztes ist und Marie heißt. Nach diesem Abend setzt sich der Ich-Erzähler das Ziel, seinem Rivalen, dem Arzt, so schnell wie möglich eine Schiffspassage zu verschaffen, damit dieser ihm nicht mehr bei seinem Bemühen um die Liebe Maries im Weg steht.

So verfolgt der Ich-Erzähler nun vehement seinen Plan, dem Arzt die Schiffspassage nach Oran zu verschaffen. Dieser erklärt sich jetzt bereit, auch ohne Marie loszufahren. Während beide Männer fast täglich zusammen in der Pizzeria sitzen und warten, bis die Abfahrt des Schiffes endlich freigegeben wird, setzt Marie ihre Suche fort und gesellt sich danach zu ihnen. Die Anwesenheit des Ich-Erzählers scheint sie in ihrer Furcht, die sie oftmals befällt, zu beruhigen.

Abschnitt VIII–V
Der Ich-Erzähler kümmert sich um das notwendige Dokument für seinen Transit auf dem amerikanischen Konsulat. Zum ersten Mal spürt er eine Furcht in sich, es nicht zu bekommen, da er sich plötzlich der Macht bewusst wird, die der Konsul über ihn besitzt. Tatsächlich muss er sich auch einem Verhör unterziehen, denn Weidel alias Seidel soll einen Artikel über Massenerschießungen von Kommunisten im Spanischen Bürgerkrieg geschrieben haben, was dem Konsul missfällt.

Der Ich-Erzähler bestreitet dies zwar vehement, aber der Konsul verlangt einen Bürgen, der bezeugen kann, dass er keine näheren Verbindungen zu den Kommunisten unterhält. Er gibt Paul Strobel als seinen Leumund an. Beim Verlassen des Konsulats sieht er, dass ein Toter abtransportiert wird. Es handelt sich um den alten Prager Kapellmeister, der ihm einst bei seiner Ankunft die ersten Ratschläge über die Dokumentenbeschaffung zur Ausreise gegeben hat.

Bei einem anschließenden Cafébesuch ergibt sich ein Gespräch mit einem Exilanten, mit dem sich der Ich-Erzähler kurz über das irrwitzige Prozedere des Ausreiseverfahrens unterhält. Dieser wendet sich jedoch ärgerlich von ihm ab, als er verlauten lässt, dass es sich doch nur um ein Spiel handeln würde.

Marie betritt das Café und setzt sich an den Tisch des Ich-Erzählers. Sie erzählt ihm, dass sie verzweifelt ihren Ehemann sucht, von dem sie bei Ankunft der Deutschen in Paris getrennt wurde. Da sie nur durch ihn an ein Ausreisevisum komme, müsse sie ihn unbedingt finden. Dem Ich-Erzähler wird sofort klar, dass es sich bei Marie um Weidels Ehefrau handelt. Er klärt sie in diesem Moment nicht darüber auf, dass Weidel Selbstmord begangen und er seine Identität angenommen hat. Stattdessen verspricht er ihr, sich um sie und ihre Angelegenheiten zu kümmern.

Analyse

Zum ersten Mal spricht der Ich-Erzähler klar seine Angst aus, dass er in diesen Strom der Abfahrwilligen hineingeraten könnte, die die Stadt immer mehr bevölkern: »Ich fürchtete mich beim Zusehen, ich, der ich mich noch am Leben fühlte, durchaus zum Bleiben gewillt.« (S. 120) Er nennt sie abfällig »Abfahrtsbesessene« (S.120) und ein »Zug abgeschiedener Seelen« (S. 120), die schon dem Tod geweiht sind, da sie »ihre wirklichen Leben in ihren verlorenen Ländern gelassen hatten« (S.120).

Hier spielt Anna Seghers auf die Doppeldeutigkeit des Begriffs »Transit« an, der zum einen eine Überfahrt in das neue Leben bedeuten könnte, zum anderen aber auch den Übergang in den Tod. In der Figur des Kapellmeisters spiegelt sich diese Deutung wider, denn der Ich-Erzähler trifft ihn »klappernd vor Kälte, als sei er aus einem Grab gekrochen, um noch einmal mit den Lebenden registriert zu werden« (S.122) wieder. Schließlich findet dieser Geflüchtete in einer Schlange wartender Ausreisewilliger auf dem US-amerikanischen Konsulat den Tod (S. 144).

Eine Flucht bedeutet auch für den Ich-Erzähler nicht die Rettung, sondern seinen Untergang. Doch auch er betreibt seine Abreise weiter, und nur »aus purer Langeweile« (S. 127), wie er sich selbst versichert, handelt er in einer Kneipe eine Schiffspassage von Oran nach Lissabon aus.

Eine Wende seiner Einstellung erfolgt, nachdem er erfährt, dass die unbekannte Frau mit Namen Marie die Freundin des Arztes ist. Jetzt hat er ein Ziel, denn sein Rivale muss »über das Meer, möglichst rasch und weit« (S.136) weg. Sein Plan haucht ihm neue Lebensgeister ein. Den Arzt will er nun mit der Schiffspassage loswerden, die er ausgehandelt hat, und Marie soll auf einem anderen Schiff nachkommen. Er kümmert sich sofort darum, seine Ausreisepläne zu beschleunigen und fällt in eine Art »Transitärwut« und »Visumbesessenheit« (S. 141). Die Beschaffung des Transits ist jetzt unabdingbar mit Marie verbunden, denn bekommt er kein Transit, wird er auch die Frau verlieren.

Auf dem US-amerikanischen Konsulat gerät der Ich-Erzähler jedoch in Schwierigkeiten, da er alias Weidel Artikel über die Erschießungen von Kommunisten im Spanischen Bürgerkrieg in Badajos veröffentlicht hat, sodass er dem Konsul Rede und Antwort stehen muss (S. 143).

Die restriktive Einwanderungspolitik der USA während des Zweiten Weltkriegs zeichnete sich durch ihre zähe und langsame Bürokratie aus, die insbesondere auch von einer antikommunistischen Haltung und einem latenten Antisemitismus geprägt war. Zudem war die Zahl der Einwanderung durch eine feste Quotenregelung begrenzt. Anna Seghers bekam dies selbst als bekennende Kommunistin und Jüdin damals zu spüren, denn die USA verweigerten ihr die Einreise.

Die Schlacht von Badajoz am 14. August 1936 war einer der ersten größeren Siege der faschistischen Truppen Francos gegen die republikanischen Freiheitskämpfer, die für ein freies Spanien kämpften. Infolgedessen kam es zu den Massenerschießungen, über die Weidel seine Artikel schrieb und sich damit klar als linksgerichteter Intellektueller und entschiedener Gegner des NS-Regimes positionierte.

Der Ich-Erzähler ist der Überzeugung, dass Weidel diese Begebenheit zwar berichtet haben mag, ihr aber sicher dabei einen »Zauber« (S.143) verliehen habe. Denn er war im Besitz einer »Wunderlampe, die alles für immer erhellte« (S. 144), was er schrieb. Indem Anna Seghers den Schreibstil Weidels in Bezug zum Märchen »Aladin und die Wunderlampe« setzt, verweist sie darauf, dass sie sich für einen literarischen Pluralismus ausspricht, bei dem es durchaus möglich ist, beim Schreiben auch auf märchenhafte Elemente zurückzugreifen. Mit dieser Haltung richtet sie sich gegen die normativen Methoden des Schreibens, die der sozialistische Realismus den schriftstellerisch Tätigen vorgab.

Wenig später nimmt Seghers diese Thematik noch einmal auf. Der Ich-Erzähler stellt einem Geflüchteten zu viele Fragen, sodass dieser ihm vorwirft: »Sie sind vielleicht bloß ein Schriftsteller? Sie fragen nur, um zu schreiben?« (S.146), woraufhin der Ich-Erzähler dies erschrocken verneint. Damit kritisiert sie die Haltung vieler schriftstellerisch Tätigen aus dem kommunistischen Lager, nur zu erleben, um dann darüber schreiben zu können. Denn allein mit dem Vorsatz, nur über das real Erlebte schreiben zu wollen, wird jedes künstlerische Schaffen in seiner Kreativität schon im Ansatz erstickt, da alles Experimentelle verboten ist.

Als Marie »freudlos« und »gleichgültig« (S.147) dem Ich-Erzähler nun ihre Geschichte erzählt, wird ihm klar, dass sie ihren toten Mann Weidel sucht. Da nur er ihr ein Visum verschaffen kann, muss sie ihn unbedingt finden. Sie hat ein schlechtes Gewissen, da sie ihn wegen des Arztes verlassen hat und bildet sich ein, er kümmere sich deshalb nicht mehr um sie. Da man ihn aber gesehen hat, ist sie überzeugt, dass er sich noch in Marseille aufhält (S. 150).

Die Figur der Marie wird von Anna Seghers als sehr ambivalent gezeichnet. Sowohl für den Ich-Erzähler als auch für die Lesenden erscheint sie als schattenhaftes Wesen undurchschaubar. Zum einen wirkt sie recht unselbstständig und hilflos, sodass sie ohne männliche Hilfe im Leben nicht zurechtzukommen scheint. Als ihr jedoch der Ich-Erzähler erklärt: »Ich werde jetzt gut auf Sie achtgeben« (S.151), entgegnet sie ihm ruhig: »Ich fürchte mich nicht. Denn wenn ich allein zurückbleiben muss, dann ist es mir gleich, ob ich in Freiheit bin oder eingesperrt« (S.151).

Es kann angenommen werden, dass Anna Seghers sich bei Marie an dem Frauenbild der Zeit orientiert hat, bei dem die Frau zwar vordergründig immer dem Mann folgt. Wenn sie aber gefordert wird, entwickelt sie eine eigene Kraft und Stärke, wobei dann klar wird: »hinter dem Einfachen verbirgt sich wie immer eine stille, beträchtliche Leistung«. Diese Äußerung stammt aus dem Artikel »Frauen und Kinder in der Emigration«, den Anna Seghers 1938 verfasst hat.

Veröffentlicht am 9. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 9. Mai 2023.