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Transit

Kapitel 10

Zusammenfassung

Abschnitt I–IV
In seinem verzweifelten Zustand trifft der Ich-Erzähler auf den Arzt. Dieser berichtet ihm, dass Marie das Visa de sortie erhalten habe. Er ist froh darüber, denn er verspricht sich davon, dass sie endlich ihren Frieden finden wird, wenn sie die Vergangenheit hinter sich lassen kann. Der Ich-Erzähler ist wütend über sich selbst, da der Arzt und Marie jetzt abfahrbereit sind, er aber zurückbleiben muss.

Früh am Morgen geht er zur Schifffahrtsgesellschaft, um zu erfahren, ob er seine vorgebuchte Passage umschreiben lassen kann. Es wird ihm bewusst, dass er jetzt genau zu der Klientel gehört, die er vorher so verachtet hat, denn auch er ist jetzt besessen davon, so schnell wie möglich wegzukommen. Unerwartet bekommt er von einem Exilanten ein Ticket angeboten und im Tausch gegen sein Reisegeld in Lissabon sowie ein wenig Bargeld nimmt er es an. Nun kann er sich das Visa de sortie beschaffen und das Ticket kaufen.

Als er bei Rosalie ankommt, hat sie schon alles Notwendige für ihn vorbereitet und rät ihm, auf sich aufzupassen und nicht unter falschem Namen zu fahren, da überall Spitzel an Bord sein würden.

Mit den Papieren fährt der Ich-Erzähler sofort zum Hafenamt und bekommt dort einen letzten Stempel. Nun ist er endgültig abfahrbereit.

Plötzlich verspürt auch er den Wunsch, rasch abfahren zu wollen, um endlich neu anfangen zu können. Denn wenn er dabliebe, würde sich an seinem Leben nichts mehr ändern.

Abschnitt V–VII
Zum letzten Mal besucht der Ich-Erzähler Marie, um sich bei ihr zu verabschieden. Er sagt ihr aber noch nicht, dass er auch abfahren wird. Marie bedauert, dass sie sich so spät kennengelernt haben und gesteht ihm, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlt. Im weiteren Gespräch eröffnet sie ihm, dass nicht der Arzt sein Nebenbuhler ist, sondern Weidel, ihr Mann, an den sie immer denken muss.

Dies ist der Moment, in dem der Ich-Erzähler endlich den Mut aufbringt und ihr die Wahrheit über ihren Mann erzählt. Jetzt glaubt ihm Marie aber nicht mehr, denn Rosalie hat ihr auf dem Amt bestätigt, dass Weidel noch lebe und sie ihn wohl auf der Überfahrt treffen würde.

Nach dem Gespräch mit Marie ist dem Ich-Erzähler klar, dass er sie für immer verloren hat, denn mit einem Toten kann er niemals konkurrieren. Er geht zur Schiffsgesellschaft und gibt sein Ticket zurück. Sofort verbreitet sich diese Nachricht in der Menge der Geflüchteten, und es entsteht ein Tumult. Schnell wird das Ticket vom Beamten versteckt, denn es ist schon für eine andere Person vorgesehen.

Der Ich-Erzähler geht jetzt mit anderen Augen durch die Welt und nimmt zum ersten Mal wahr, was in seiner Umwelt geschieht. Er begreift, dass diese alltägliche Welt auch ihre Berechtigung hat, denn indem das normale Leben weiterläuft, haben auch diejenigen, die ihre Heimat verloren haben, eine Chance darauf, hier Schutz zu finden.

Er will sich von Marie nochmals verabschieden und geht in das Café, in dem sie sich zum ersten Mal getroffen hatten. Hier erwartet sie ihn, freudig darüber, dass sie nun alle Dokumente hat, um abreisen zu können. Der Arzt kommt hinzu und bedankt sich noch einmal förmlich für seine Hilfe.

Abschnitt VIII–X
Nach dem Auslaufen des Schiffes »Montreal« trifft der Ich-Erzähler im Café auf einen Freund Achselroths, und zwar auf den Musiker. Dieser erzählt ihm, dass er von ihm nun auch im Stich gelassen wurde. Denn Achselroth hatte das Glück, durch Bestechung an ein Ticket zu kommen. Es stellt sich heraus, dass es sich hierbei um das zurückgegebene Ticket des Ich-Erzählers handelt.

Weiter erzählt der Musiker, Weidel fahre sicher nicht mit, denn er hätte schließlich als Schriftsteller höhere Ideale, als um eine Frau zu kämpfen, die ihn mit einem anderen im Stich gelassen habe. Wichtiger sei ihm doch seine Muttersprache, mit der er seine Geschichten erzählen könne, die von den Menschen so geliebt werden. Über Paul Strobel berichtet der Musiker noch, dass er immer noch nicht über die notwendigen Dokumente verfüge, um endlich ausreisen zu können.

Der Ich-Erzähler besucht die Familie Binnet und wird von dem Jungen freudig empfangen. Er geht mit ihm in ein Café, und dort entschließt er sich, alle Dokumente Weidels mitsamt dem unvollendeten Manuskript von dem Jungen zum mexikanischen Konsul bringen zu lassen.

Wieder zu Hause angekommen, bekommt er die Nachricht, Heinz sei gut in Amerika angekommen und er solle hier auf ihn warten. Georg bestätigt dem Ich-Erzähler, dass er nun endgültig zu ihnen gehöre, denn er sei einer der ihren.

Kurz darauf kommt eine Nachricht von Marcel, dass er nun endlich auf die Farm kommen könne, und er nimmt das Angebot in Anspruch. Der Ich-Erzähler ist zwar ein Stadtmensch, aber ist mit seiner Situation dennoch zufrieden. Er hat eine neue Heimat gefunden und fühlt sich jetzt als Teil dieser Welt, in der er gerade lebt. Nun ist er auch bereit, in den Widerstand zu gehen, um Frankreich mit der Waffe zu verteidigen.

Manchmal kommt er noch in die Stadt, um der Familie Binnet Lebensmittel zu bringen. Im Café hört er dann die Nachricht, dass die »Montreal« untergegangen sein soll. Er begibt sich nochmals in die Pizzeria, an den Platz, an dem er immer auf Marie wartete, um ihrem Geist noch einmal nachzuspüren.

Analyse

In seiner »Abfahrtsbesessenheit« (S. 276) setzt der Ich-Erzähler weiterhin alles in Bewegung, um rechtzeitig an sein Ticket zu kommen, damit er auf dem Schiff »Montreal« ausreisen kann. Der Gedanke, »endlich alles zurücklassen und neu anfangen« (S. 283) zu können, packt ihn nochmals. Er hängt noch immer dem Traum nach, mit Marie ein neues Leben beginnen zu können.

Beim letzten Gespräch mit Marie kommt es jedoch zu einer entscheidenden Wendung. Denn auch wenn sie ein tiefes Gefühl der Vertrautheit zu ihm hat, berichtet sie ihm, dass Weidel der Mann ist, den sie wiedertreffen möchte. Sie bittet ihn, endlich der Wahrheit ins Gesicht zu sehen: »Du weißt, wer uns trennt. Wir wollen einander doch nicht belügen, in der letzten Minute, du und ich.« (S. 285)

Endlich ist der Ich-Erzähler in diesem Moment bereit, ihr die Wahrheit zu sagen: »Das waren für mich die letzten Minuten vollkommenen Friedens. Ich war auf einmal zur Wahrheit bereit.« (S. 285 f.) Er muss jedoch feststellen, dass sein Geständnis vom Tod ihres Mannes zu spät kommt. Denn jetzt glaubt sie ihm nicht mehr, da er mit der Annahme der Identität Weidels ein perfektes Netzwerk einer Parallelwelt gesponnen hat. Nun wird ihm bewusst, dass er Marie endgültig verloren hat: »Da gab ich es auf. Der Tote war uneinholbar. Er hielt in der Ewigkeit fest, was ihm zustand. Er war stärker als ich.« (S. 287)

Daraus zieht der Ich-Erzähler jetzt die Konsequenzen und gibt sein Ticket zurück. Indem er endlich die Wahrheit laut ausgesprochen hat, befreit er sich von seiner eigenen Schuld, sodass er einen neuen Blick auf die Welt bekommt. Der frühe Morgenspaziergang, den er am nächsten Tag unternimmt, stimmt mit seinem innerlichen Zustand überein, denn er erlebt in sich eine Art Erwachen. Im Außen bemerkt er zum ersten Mal eine erwachende Stadt und nimmt wahr, wie das geschäftige Treiben langsam anfängt und für die Fischer und Händlerinnen der Alltag beginnt: so wie alles Leben anfängt, für die, die bleiben, und er fühlt sich ihnen jetzt zugehörig Er begreift plötzlich, dass er nicht allein ist, sondern schon eine Zuflucht hat (S. 290).

Zeitgleich hat auch Marie eine Entwicklung durchgemacht. Die innere Gewissheit, dass Weidel noch lebt und er sie erwarten wird, lässt sie endlich aus ihrem Schattendasein heraustreten. Sie wird plötzlich zu einer lebendigen Person, die zum ersten Mal glücklich wirkt: »Ein Wind von Freude bewegte ihr Haar und straffte ihre Brust und ihr Gesicht.« (S. 290)

Beim Abschied wird der Ich-Erzähler sich bewusst, dass er nun mit dem toten Weidel allein zurückbleibt. Im Café sitzend flüchtet er in Gedanken aus der realen Situation auf eine Metaebene, die das Geschehene in den ewigen Strom der menschlichen Geschichte einreiht: »Uraltes frisches Hafengeschwätz, phönizisches und griechisches, kretisches und jüdisches, etruskisches und römisches.« (S. 292)

Dabei kommt ihm die Erkenntnis, dass die Vergangenheit und Zukunft niemals vom menschlichen Bewusstsein erfasst werden können, denn sie bleiben im Dunkeln. Der gegenwärtige Zustand, in dem die Menschen leben, ist von Geburt an bis hin zum Tod immer ein transitäres Dasein, wobei »die Unversehrtheit« (S.293) das Einzige ist, was zählt.

Auch die Thematik des Imstichlassens verliert jetzt zum Ende hin die Schwere ihrer Bedeutung, die sich durch die Geschichte zog. Angesichts dessen, dass jedes menschliche Leben immer und überall von gegenwärtigem Leben umgeben ist, vertritt der Ich-Erzähler jetzt die Meinung, »dass da von Alleinsein die Rede nicht sein konnte« (S. 294 f.).

Die Autorin würdigt zum Abschluss nochmals das Werk Weidels alias Ernst Weiß, indem sie zum einen die Figur des Musikers ein Lob für sein künstlerisches Schaffen aussprechen lässt: »Er hat um Besseres gekämpft. [...]. Um jeden Satz, um jedes Wort seiner Muttersprache, damit seine kleinen, manchmal ein wenig verrückten Geschichten so fein wurden und so einfach, dass jedes sich an ihnen freuen konnte, ein Kind und ein ausgewachsener Mann.« (S. 295)

Zum anderen symbolisiert die Abgabe des unvollendeten Romanmanuskripts Weidels im mexikanischen Konsulat die Hoffnung, dass sein Werk doch noch in die Welt hinausgetragen wird. Gleichzeitig ist es der letzte Akt der Selbstbefreiung des Hauptprotagonisten. Nun hat er sich seiner Vergangenheit entledigt und ist endlich frei. Die Nachricht seines Freundes Heinz, dass er gut angekommen sei, er aber solle bleiben und auf ihn warten, bestätigt ihm nochmals, dass sein Entschluss zu bleiben richtig war. Auch von Georg bekommt er Zustimmung (S. 298).

Mit der Klarheit in seinem Innern werden plötzlich Wege in seine Zukunft geöffnet, denn er bekommt endlich die Möglichkeit, auf einer Farm zu arbeiten: »So gibt mir denn diese Familie, gibt mir dieses Volk bis auf weiteres Obdach.« (S. 299). Des Weiteren ist er jetzt bereit, aktiv am Widerstandskampf gegen die Deutschen teilzunehmen.

Zum Abschluss ihrer Geschichte schlägt die Autorin nochmals einen Bogen zum Anfang, indem sich der Ich-Erzähler im Café aber jetzt mit dem Rücken zur Tür setzt, denn er erwartet nun nichts mehr – seine Geschichte ist zu Ende erzählt (S. 300).

Veröffentlicht am 9. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 9. Mai 2023.