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Antigone

Stasimon und 2. Epeisodion

Zusammenfassung

Der Chor beschreibt den Menschen, der sich die Erde untertan gemacht habe. Dazu gehören das Meer und die Erde, die Tiere, geistige Fähigkeiten wie die Sprache oder die Organisation des Staates sowie der Schutz in Behausungen. Nur den Tod bezwingt er nicht, weiß sich aber bei Krankheit zu helfen. Der Mensch kann sich sowohl zum Guten als auch zum Bösen wenden. Wer sich an das Gute hält, wird geehrt werden. Wer dem Bösen verfällt, wird verstoßen.

Der Chor der Ältesten kündigt Antigone als Unglückskind an und ist erschrocken, sie zu sehen. Der Wächter führt Antigone Kreon als Täterin vor. Er habe sie beim Schmücken des Grabes erwischt. Daraufhin ist er entgegen seinem Versprechen zu Kreon zurückgekehrt, um somit seine Unschuld zu bezeugen. Der Wächter beschreibt, dass, nachdem sie die Leiche vom Staub befreit hatten, Antigone auftauchte, um ihr Werk zu wiederholen. Es ist ihm unangenehm, sie auszuliefern. Doch sein eigenes Leben zählt für ihn mehr. Auf Kreons Frage gesteht Antigone ihre Tat. Der Wächter wird freigesprochen und geht ab.

Kreon befragt Antigone, ob sie von seinem Verbot wusste. Auch das bejaht sie. Antigone beruft sich auf die Gesetze der Götter, die über denen des sterblichen Kreons stünden. Sie selbst will lieber sterben, anstatt ihren Bruder unbestattet zu wissen. Bei ihrem unheilvollen Leben scheint der Tod ein Geschenk. Kreon sieht sich in der Pflicht, Antigone zu bestrafen, sonst verleugne er sein Wort. Er verdächtigt weiterhin Ismene und lässt sie holen. Antigones stolze Überzeugungen machen Kreon wütend. Er beharrt auf seinem Feindbild. Antigone argumentiert, dass dies im Hades nicht zähle. Dort sei Polyneikes noch immer ihr Bruder.

Der Chor kündigt Ismene an, die wegen des Schicksals ihrer Schwester weint. Kreon bezeichnet sie als hinterhältig und verlangt ihre Aussage. Ismene bekennt sich als mitschuldig. Antigone widerspricht, doch Ismene bekennt sich zu ihrer Schwester und will nicht ohne sie leben. Anhand von Leben und Tod versucht Antigone, die unterschiedlichen Auffassungen der Schwestern zu verdeutlichen und verurteilt Ismenes Einstellung. Ismene soll leben. Nur Antigone sei für den Tod bestimmt. Kreon hält beide für verrückt und verurteilt Antigone zum Tode. Dies trifft bei Ismene und den Ältesten auf Entsetzen, ist Antigone doch mit Kreons Sohn Haimon verlobt. Doch Kreon ist entschlossen und lässt die beiden Schwestern abführen.

Analyse

Das 1. Stasimon ist in vier Strophen untergliedert, bei der sich jede Strophe jeweils einer Errungenschaft des Menschen widmet. Auffallend sind die ersten zwei Verse, bei denen das Wort »ungeheuer« sowohl als Verstärkung eines Zustandes oder einer Eigenschaft als auch als etwas Fragwürdiges gedeutet werden kann. Die Anapher (Wiederholung eines Wortes am Versanfang) »Und« verstärkt die Aufzählung in der dritten Strophe und damit die bemerkenswerten Fähigkeiten des Menschen. Seine Grenze wird durch den Tod verdeutlicht, aber selbst dieser lässt sich mit Heilungsmethoden hinauszögern.

Die letzte Strophe berichtet von der Willensfreiheit des Menschen, sich für das Gute oder Schlechte zu entscheiden. Das Gute, welches mit dem Befolgen von Gesetzen, seien sie staatlichen oder göttlichen Ursprungs, einhergeht, wird als lobend bewertet; eine Abwendung von den Gesetzen mit Ausstoß bestraft. Dies stellt einen Bezug zur vorherigen Szene her, in der Kreons Gesetz missachtet wurde. Gleichzeitig lässt sich der Konflikt zwischen den staatlichen und göttlichen Gesetzen erahnen, der später zwischen Kreon und Antigone entflammt.

Der Chor stellt die Überleitung zum 2. Epeisodion her. Mit einer Personifizierung der Augen wird die Überraschung ausgedrückt, dass Antigone als Täterin vorgeführt wird (vgl. V 377). Der Ausdruck »sinnlose[s] Tun« (V 382) erinnert an Ismenes Worte. Die Erschrockenheit des Chors steht im Kontrast zum vorherigen Lied.

Es kommt zum zweiten Auftritt des Wächters und später auch Ismenes, was eine von mehreren Dopplungen im Stück ist. Antigone vollzieht ihre Tat ebenfalls zweimal. Die Charakterzüge der Figuren treten stärker hervor. Der Wächter bricht sein Versprechen und liefert Antigone aus, um sich selbst zu schützen. Dennoch hegt er Mitleid für sie, womit eine Verbindung zur Sympathie des Volkes hergestellt wird, wie sie Haimon im 3. Epeisodion beschreibt.
Im Zentrum steht jedoch das Aufeinanderprallen von Kreon und Antigone. Hier handelt es sich nicht um den bloßen Konflikt zwischen zwei Persönlichkeiten. Kreon und Antigone personifizieren gegensätzliche Prinzipien wie: göttliche und staatliche Gesetze, öffentliches und individuelles Recht, Mystizismus und Rationalismus, Familie und Staat. (Kästler, 44)

Das Verhör beginnt nach juristischer Manier, in dem Antigone ihre Tat gesteht. Folglich kommt es zur Offenlegung der jeweiligen Standpunkte. Antigones Orientierung an den göttlichen Gesetzen, welche nach ihrer Meinung die irdischen übersteigen, zeigt sich in der Aussage: »Der das verkündete, war ja nicht Zeus« (V 450). Antigone bedenkt den Tod, der für Kreon keine Relevanz zu haben scheint. Sie sieht darin die Zusammenführung ihrer Familie. Ihre Argumentation: »Mitlieben, nicht mithassen ist mein Teil« (V 523) unterstreicht ihre Emotionalität. Diese Liebe ist jedoch nicht als generelle Liebe, sondern explizit auf ihre Blutsverwandten zu beziehen. (Kästler, 43f.) Damit wird Antigones Motivation, den verlorenen Bruder zu bestatten sowie die Familie im Tod zusammenzuführen, deutlicher. Sie scheut vor dem Tod nicht zurück und ist standfest in ihren Überzeugungen.
In dieser Eigenschaft gleichen sich Kreon und Antigone. Er stützt sich jedoch auf die irdischen Gesetze und den Staat. Antigone ist provozierend. Ihr Auftreten ist untypisch für eine Frau der damaligen Zeit, was Kreon zusätzlich dazu anspornt, die Oberhand zu gewinnen und keine Milde walten zu lassen: »Wenn sie sich ungestraft das leisten darf, | Bin ich kein Mann mehr, dann ist sie der Mann!« (V 484f.) Mit mehreren Metaphern kritisiert er ihre Überheblichkeit (vgl. V 473ff.).

Für Antigone sind alle Toten gleichberechtigt. Für Kreon bleibt der Feind ein Feind, auch wenn er stirbt: »ANTIGONE: ›Und dennoch fordert Hades gleiches Recht.‹ KREON: ›Man ehrt nicht gleich den Edlen und den Schlechten.‹« (V 519f.) Die versweise wechselnde Rede (Stichomythie) ab V 508 stellt den Streitcharakter des Dialogs besonders heraus. Dieser wiederholt sich beim Aufeinandertreffen von Ismene und Antigone. Kreons Verdacht bezüglich Ismene unterstreicht sein starkes Misstrauen: »Du krochst an mich heran wie eine Natter | Und sogst mein Blut im Stillen!« (V 531f.)

Entgegen ihrer anfänglichen Haltung stellt sich Ismene nun auf Antigones Seite. Dies tut sie aus Liebe zu ihrer Schwester und der Hoffnung, im Tod vereint zu sein. Antigone gönnt ihr dies jedoch nicht. Sie war es, die dieses Ziel angestrebt hatte, und dem sich Ismene nicht angeschlossen hat. Nun verlangt sie von ihrer Schwester zu leben, während sie sterben wird. Dahinter könnte jedoch auch Antigones Wille stehen, die Schwester zu schützen.

In einem letzten Appell versucht Ismene, Kreon umzustimmen. Dessen Radikalität und Tyrannei zeigt sich, indem er nicht davor zurückschreckt, die Verlobte seines Sohnes zu töten.

Der Konflikt zwischen Antigone und Kreon kann auch als Fortführung des Krieges der beiden Brüder gedeutet werden. Kreon führt dabei die Linie des Eteokles fort, der für den Staat stand, Antigone die des Polyneikes für das Familienrecht. (Möbius, 53)

Veröffentlicht am 6. Februar 2024. Zuletzt aktualisiert am 6. Februar 2024.