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Antigone

Stasimon und 4. Epeisodion

Zusammenfassung

Der Chor besingt Eros, der sich aller bemächtigt. Weder Götter noch Menschen können sich ihm entziehen. Er vermag es, Gerechte unrecht handeln zu lassen und Familien in Streit zu versetzen. Dadurch wird er, zusammen mit der Liebesgöttin Aphrodite, unbezwingbar.

Die Ältesten kündigen Antigone an, deren Anblick sie zu Tränen rührt. Mit einem Klagelied verabschiedet sich Antigone vom Leben. Der Chor formuliert tröstende Floskeln, die bei Antigone jedoch das Gegenteil hervorrufen. Lebendig begraben zählt sie weder zu den Lebenden noch zu den Toten. Sie klagt über den Fluch ihrer Familie, die sie nun wiedersehen wird. Der Chor der Ältesten bemerkt, dass sie ihren Tod durch ihre Taten selbst herbeigeführt habe. Antigone glaubt, dass niemand um sie weinen werde. Von ihrem Jammern erzürnt, lässt Kreon sie abführen. Antigones einzige Hoffnung ist es, ihre geliebten Eltern wiederzusehen. Sie sterbe unverheiratet und ohne wirklich gelebt zu haben. Doch die Bestattung ihres Bruders ist für sie von größerer Bedeutung als ein Ehemann, den man ersetzen könne. Antigone ist davon überzeugt, im Sinne der Götter richtig gehandelt zu haben.

Analyse

Das 3. Stasimon erfolgt in zwei Strophen. In diesen besingt der Chor Eros, der für Sehnsucht, Begehren und Liebe steht. Die Liebe ist so mächtig, dass sich weder Götter noch Menschen ihr entziehen können und sie auf der höchsten Stufen neben den Göttern steht: »Hohen Gesetzen zur Seite | Thront er gewaltig.« (V 796f.) Eros vermag Streit und Unrecht in den Menschen hervorzurufen. Dies kann als Anspielung auf Haimon gelesen werden, was verdeutlicht, dass der Chor keine allwissende Instanz ist, sondern wie die anderen Figuren das Geschehen subjektiv, eventuell falsch, einordnet: Er sieht die Liebe zu Antigone als Grund für Haimons Aufbegehren, wobei dieser zunächst zum Schutz des Vaters, im Sinne der Regierung und des Volkes gehandelt hat. Der Chor stellt sich somit auf Kreons Seite.

Dies gerät allerdings ins Wanken, als er Antigone erblickt. Die Ältesten können die Tränen nicht zurückhalten und zeigen ihr Mitleid. Dabei ergreifen sie keine Partei, steigern aber die Sympathie für Antigone. (Kästler, 51f.) Auf Antigones Klagen reagiert der Chor mit tröstender Höflichkeit. Den Argumenten fehlt es jedoch an Tiefe, sodass verständlich ist, dass sie bei Antigone auf Widerstand stoßen: »Weh! Ich werde verlacht!« (V 839).
Antigone ist auf dem Weg zu ihrer Grabkammer. Stand sie dem Tod erst willkommenheißend gegenüber, ist nun ein deutlicher Unterschied dazu zu sehen. Der Grund mag psychologischer Natur sein. Es liegt eine Differenz zwischen Todessehnsucht und dem tatsächlichen Sterben. Ihre Stärke weicht einem Klagen. Antigone trauert, Erfahrungen wie die Ehe nicht gemacht haben zu können. Sie beklagt ein Gefühl von Einsamkeit, dass in ihren Worten »Unbeweint, ungeliebt, unvermählt | Führen sie mich den beschlossnen Weg« (V 877f.), ausgedrückt wird. Antigone fühlt sich von ihren lebenden Angehörigen verlassen. Allein schreitet sie dem Tod entgegen. Ihre einzige Hoffnung liegt darin, ihre Familie wiederzusehen und damit ihr Ziel zu erfüllen.
Die Bestattung ihres Bruders wiegt für Antigone mehr als die Zuwendung zu einem Ehemann. Diese Auffassung traf zum Beispiel bei Goethe auf Empörung. Grund dafür mögen historische, kulturelle und gesellschaftliche Auffassungen sein, die sich zwischen den Zuschauern des antiken Griechenlands und denen späterer Jahrhunderte stark unterscheiden. Die Erhöhung der leidenschaftlichen Liebe bestand in dieser Form im 5. Jh. nicht. Stattdessen wurde die Beziehung zur Familie geehrt. (Kästler, 55)
Bis zum Schluss handelt Antigone im Sinne der göttlichen Gesetze und steht zu ihrer Tat: »Weil ich Heiliges heilig gehalten habe!« (V 943) Nach diesem Vers wird Antigone abgeführt, womit ihre Handlungslinie im Drama endet.

Der Chor sieht Antigones Tod als selbstverschuldet an, begründet diesen jedoch auch mit dem Lakdakidenfluch, womit der mythische Bezug hergestellt wird. Das Schicksal ihrer Familie beschreibt Antigone in einem Monolog ab Vers 891. Die Aussage des Chors »Frommes Dienen ist Gottesdienst, | Unüberschreitbar aber bleibt | Der Machtbefugten Machtgebot« (V 872ff.) ehrt Antigones Frömmigkeit, aber stellt sie durch das Verstoßen gegen Kreons Gesetz klar als Schuldige dar.

Dass Antigone lebendig in ein Felsengrab gesperrt wird, anstatt wie ursprünglich vorgesehen, gesteinigt zu werden, bereitet zusammen mit dem folgenden 5. Epeisodion das retardierende Moment vor.

Veröffentlicht am 6. Februar 2024. Zuletzt aktualisiert am 6. Februar 2024.