Skip to main content

Antigone

Stasimon und 3. Epeisodion

Zusammenfassung

Der Chor der Ältesten klagt über das fortwährende Unheil einer Familie, wenn solche einst davon betroffen ist. So ist es auch den Nachfolgern des Labdakos ergangen. Zu denen gehört Ödipus mit seinen Kindern. Zeus Macht besteht auf ewig fort und ordnet. Das Unheil ist ein Begleiter des Menschen. Selbst wenn er in Hoffnung Trost findet, sei dies doch bloß eine Illusion.

Haimon, Kreons Sohn und Antigones Verlobter, tritt auf. Kreon stellt ihn zur Rede, ob er nun wütend auf seinen Vater sei oder ihm weiterhin vertraue und gehorche. Haimon steht zu seinem Vater und behauptet, er lasse sich von dessen Weisheit leiten. Kreon reagiert freudig darauf und spricht sich für Loyalität, Zucht und Ordnung aus. Haimon trägt allerdings das Gerücht an ihn heran, dass im Volk über seine Entscheidung gesprochen würde. Die Menschen hegen Sympathie und Verständnis für die unschuldige Antigone, die ihren Bruder bestatten wollte. Haimon bittet seinen Vater um Weitsicht und darum, eine andere Perspektive als bloß seine eigene einzunehmen. Die Ältesten loben die Argumente von Vater und Sohn.

Kreon wird wütend und will sich von seinem Sohn, der deutlich jünger ist als er, nichts sagen lassen. Für ihn klingt es, als würde man von ihm verlangen, die Verbrecher zu ehren. Haimon versucht, ihn zu beruhigen und seinen Blick auf das Wesentliche zu lenken. Es kommt zum Streit zwischen Vater und Sohn. Haimon will die Stimme des Volkes berücksichtigen, während Kreon sich auf die Macht und sein Recht als Herrscher bezieht. Haimon warnt ihn vor den Göttern und davor, das Volk zu missachten. Kreon lässt sich nicht darauf ein. Er fühlt sich bevormundet und behauptet, Haimon trauere um Antigone. Im Streit nennt Haimon seinen Vater einen Narren und warnt, mit Antigones Tod auch den seines Sohnes herbeizuführen. Haimons Drohungen bringen Kreon in Rage und er will Antigone vor Haimons Augen sterben lassen. Haimon ist entsetzt. Er entsagt seinem Vater und will fortgehen.

Der Chor der Ältesten weist Kreon auf Haimons Verzweiflung hin. Kreon lässt dies kalt. Haimon würde Antigone nicht retten können. Allerdings will Kreon Ismene verschonen und nur Antigone sterben lassen. Dafür soll sie lebendig in ein Felsengrab gesperrt werden, mit so viel Nahrung, die sie über die Zeit der Reue bringt.

Analyse

Im 2. Stasimon thematisiert der Chor Unheil und Flüche, die auf Menschen lasten können. Genauer geht er dabei auf den Labdakidenfluch ein, der auf Antigones Familie liegt und von dem sie als Nachfolgerin betroffen ist. Mit diesem wird Antigones Schicksal begründet. Gleichzeitig macht der Chor sie aufgrund ihres radikalen Handelns selbst verantwortlich: »Gedankenloses Wort und Geist der Rache.« (V 603) Kreon ist Begründer von Antigones Schicksal. Doch auch ihm wird Unheil aufgrund seiner Verblendung drohen. (Kästler, 46) Die Ehrung des Zeus stellt die Macht der ungeschriebenen göttlichen Gesetze dar. Dass Hoffnung illusorisch sei, wie es in der letzten Strophe beschrieben wird, lässt die nahende Katastrophe vorausahnen. Das 2. Standlied ist somit ein Gegenentwurf zum 1. Im 1. Stasimon wurde die beinahe grenzenlose Herrschaft des Menschen dargestellt, im 2. seine Ohnmacht.

Der Chor kündigt Haimon an sowie den Verdacht, dass er von Antigones Schicksal aufgebracht ist. Auch Kreon spiegelt diese Sorge wider. Haimon tritt allerdings diplomatisch und sachlich auf, indem er Kreon seine Treue zusichert: »Dein bin ich Vater. [...] Denn mir wird keine Ehe köstlicher | Als deine Führung sein« (V 635ff.), und diese sogar über die Ehe mit Antigone stellt. Der Nachtrag »auf rechtem Weg« (V 638) stellt diese Hingabe jedoch unter Bedingungen, die später zum Tragen kommen. Seine Beziehung zu seinem Vater ist aufrichtig.

Kreon reagiert positiv auf die Worte seines Sohnes und lobt den Gehorsam. Kreon fordert absoluten Gehorsam – in der Familie und im Staat: »Zücht ich den Trotz | Schon bei Verwandten, wie viel mehr im Volk!« (V 660) und erklärt Zuchtlosigkeit als Ursache für zerfallende Staaten. Er warnt seinen Sohn außerdem, sich von einer Frau blenden zu lassen, was den Mann-Frau-Konflikt aufgreift und Kreons Abneigung gegenüber Antigone verstärkt.

In Haimons anschließendem Monolog tritt er als Diplomat auf, der versucht, seinen Vater für die Perspektive des Volkes und der Götter zu sensibilisieren. Ab Vers 712 stellt er dies mit Metaphern bildhaft dar. Seine Motivation ist in erster Linie politischer Natur und nicht in der Liebe zu Antigone begründet.

Der Chor schlägt sich nach dem Vortrag der Männer auf keine Seite. Er bleibt neutral und schätzt die Worte beider. Kreon ist für die von seinem Sohn gewünschte Weitsicht nicht bereit. Er verschließt sich aus zwei Gründen, die zu zwei weiteren Gegensätzen des Dramas führen: Als Erstes beruft er sich auf sein Alter und damit gleichzeitig seine Erfahrung gegenüber Haimon. Er glaubt, nicht von der jüngeren Generation lernen zu können und lehnt damit frische und entwicklungsfördernde Impulse ab. Weiterhin stellt sich zwischen Kreon und Haimon der Gegensatz zwischen Alleinherrschaft und Demokratie heraus. Haimon hört und achtet die Stimme des Volkes: »Das ist kein Staat, der einem nur gehört.« (V 737) Kreon hingegen fordert den uneingeschränkten Gehorsam beruhend auf seinen Gesetzen und glaubt, Eigentümer des Staates zu sein (vgl. V 736ff.). Er legt ein Schwarz-Weiß-Denken an den Tag, während Haimon ihn für Kompromisse ermutigen will: »KREON: ›Und Sache heißt: Empören huldigen!‹ HAIMON: ›Verrat zu ehren, das verlang ich nicht!‹« (V 730f.) Stichomythie verdeutlicht ihre Auseinandersetzung.

Der Konflikt kann als Anspielung auf die politische Situation in Athen gedeutet werden, da sich die attische Demokratie im 5. Jh. v. Chr. etablierte. Männer, die das Bürgerrecht innehatten, konnten an politischen Versammlungen teilnehmen und Politik aktiv mitgestalten. Womöglich warnt Sophokles mit einer Figur wie Kreon vor einem autoritären und absolutistischen Herrscher. (Pelster, 70f.)

Der Streit zwischen Haimon und Kreon spitzt sich zu. Kreon unterstellt Haimon, dass sein Handeln nur auf seiner Liebe zu Antigone beruhe. Haimon geht es allerdings um das Recht und den Willen des Volkes. Kreon fehlt offensichtlich die Einsicht für Haimons Beweggründe. Seine Angst, das Volk könnte sich gegen ihn richten und er seine Macht verlieren, weiß er nur durch seine eigenen Prinzipien unter Kontrolle zu halten. Haimon kann seinen sachlichen Tonfall nicht länger aufrechterhalten und verfällt ebenfalls in eine emotionale Argumentation. Seine Aussage: »So stirbt sie und vernichtet einen Zweiten!« (V 753) kündigt die Katastrophe an, was durch die Sorge des Chores verstärkt wird. Haimon wendet sich von seinem Vater ab. Sein Versuch, Kreon umzustimmen, ist der erste von zweien.

Veröffentlicht am 6. Februar 2024. Zuletzt aktualisiert am 6. Februar 2024.