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Homo faber

Aufbau des Werkes

Max Frisch bezeichnet seinen Roman »Homo faber« in einem Untertitel als einen »Bericht«. Als Berichterstatter hat der Autor einen fünfzigjährigen Schweizer Ingenieur mit Namen Walter Faber gewählt, aus dessen alleiniger Perspektive die Lesenden von den Geschehnissen, die ihm widerfahren, in Kenntnis gesetzt werden. 

Die Aufzeichnungen seines Hauptprotagonisten sind in zwei Schreibphasen, genannt »Stationen«, unterteilt. Mit dem Begriff der »Station« entsteht im Zusammenhang mit Fabers Lebenssituation schnell eine Assoziation zum Terminus der Krankenstation. Tatsächlich befindet sich Faber beim Verfassen des ersten Teils krank in seinem Hotelzimmer. Den zweiten Teil schreibt er kurz vor seiner Operation im Athener Krankenhaus. Im weitesten Sinne handelt es sich hier um Fabers Lebensstationen, die er zum einen für Hanna, die Mutter seiner Tochter, zu Papier bringt. Zum anderen ist es ihm aber auch ein Bedürfnis, vor sich selbst den Tod seiner Tochter zu rechtfertigen, um sein Gewissen zu entlasten.

Mit seinem Roman »Homo faber« bewegt sich Max Frisch in den 50er-Jahren auf einem hohen erzählerischen Niveau. Die chronologische Erzählweise, ein spezifisches Merkmal der traditionellen Erzähltechnik, wird teilweise aufgehoben und durch eine Montagetechnik, die unvermittelte Reihung szenischer und reflexiver Passagen, ersetzt. 

Sowohl auf der zeitlichen als auch auf der inhaltlichen Ebene werden der Leserschaft vom Hauptprotagonisten nach und nach Teile seiner Geschichte präsentiert, die wie ein Puzzle zusammengesetzt werden müssen, um am Ende vom Geschehen ein aussagekräftiges Bild zu erhalten.

Gerade die Brüche innerhalb des Romans deuten auf die innere Zerrissenheit des Hauptprotagonisten hin. Sein bruchstückhaftes Erzählen verdeutlicht, wie sehr Faber persönlich in die Geschehnisse verstrickt ist. Er ist anfänglich nicht in der Lage, Ereignisse, die sein Inneres aufwühlen, vor sich selbst einzugestehen, geschweige denn, sie jemandem mitzuteilen. Dies betrifft sowohl seine eigene Krebserkrankung als auch die inzestuöse Beziehung zu seiner Tochter sowie den genauen Ablauf ihres Unfalls.

Das Erzählen ist also geprägt von den inneren Konflikten des Ich-Erzählers und gehört zur gut durchdachten Erzählstrategie des Autors. Denn durch das versetzte Erzählen, das sowohl durch Fabers Verschweigen von Ereignissen als auch durch seine Vorausdeutungen gekennzeichnet ist, baut Frisch für seine Leserschaft Spannung innerhalb der Geschichte auf. Erst nach und nach kommen alle wichtigen Details der Geschichte ans Licht.

Max Frisch verwendet für seinen Roman eine duale Erzähltechnik, das heißt, die beiden Teile unterscheiden sich in ihrer Erzählweise erheblich voneinander. Die Geschehnisse des ersten Teils, bei dem es sich um Fabers Reiseaufzeichnungen handelt, werden vom Ich-Erzähler sachlich und distanziert berichtet. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass Faber von Beruf Techniker ist und auf Objektivität großen Wert legt.

Dadurch werden die Lesenden immer in einer gewissen Distanz zum Geschehen gehalten. Die Ebene des Mitfühlens wird fast gänzlich ausgeschaltet. Der Autor Frisch bedient sich einer Art von Verfremdungstechnik, was auf eine Verbindung zum Autor Bertolt Brecht schließen lässt, mit dem er in den 40er-Jahren befreundet war und in einem regen Austausch stand. Nach Brechts Theatertheorie ist es eine wesentliche Voraussetzung, dass die Zuschauenden seiner Theaterstücke immer eine gewisse Distanz zum Geschehen wahren können, damit sie zu jeder Zeit in der Lage sind, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Die erzählte Zeit umfasst – vom Tag des Abflugs in New York, dem 25. März 1957, bis zum Morgen seiner anstehenden Operation in Athen, dem 26. Juli 1957 – ungefähr fünf Monate. Die Vorgeschichte, die darin eingebettet ist, geht aber bis in die Jahre 1933–1936 zurück.

Der erste Teil wird vom Ich-Erzähler in Venezuela/Caracas zwischen dem 21. Juni bis zum 8. Juli 1957 in einem Hotelzimmer verfasst, nachdem die Kernhandlung abgeschlossen ist: Faber hat seine Tochter Elisabeth, die er Sabeth nennt, auf einer Schiffsreise von New York nach Europa kennengelernt, macht mit ihr anschließend eine Reise durch Europa und geht zunächst unwissend, dass es sich bei dem Mädchen um sein eigenes Kind handelt, eine Beziehung mit ihr ein. Schließlich kommt es durch einen unglücklichen Unfall in Griechenland zu ihrem Tod (März–Juni 1957).

Diese Haupthandlung beinhaltet wiederum zwei Zeitebenen. Faber berichtet sowohl über Geschehnisse, die sich in den Wochen vor Sabeths Unfall ereignet haben, als auch über seine eigene Vergangenheit, die über zwanzig Jahre zurückliegt. Zudem werden von ihm zahlreiche gedankliche Überlegungen und Rückblicke eingeflochten, die erst während seines Schreibprozesses entstehen.

Der zweite Teil des Romans ist kürzer, zum Ende hin mehr im Stil eines Tagebuchs gehalten und mit etlichen präzisen Angaben zu Zeit und Daten versehen. Faber beginnt diese Aufzeichnungen im Athener Krankenhaus, in das er sich kurz nach seiner Ankunft sofort hineinbegeben muss. Sie enthalten Fabers Bericht über seine Reisen in der Zeit vom 1. Juni (New York) bis zum 18. Juli 1957 (Ankunft in Athen) sowie seine Notizen vom 19. Juli bis zum 26. Juli 1957 über seine letzten Tage im Krankenhaus in Athen. Diese Passagen hat der Autor in Kursivschrift gesetzt, um sie von den Abschnitten des Reisetagebuchs deutlich abzusetzen. 

In diesem Teil berichtet Faber abwechselnd über seine vergangenen und gegenwärtigen Erlebnisse, bis schließlich die zeitlichen Ebenen miteinander verschmelzen und nur noch die Jetztzeit – das Warten auf die Operation – übrig bleibt. Thematisch stehen in der zweiten Station Fabers Reisen nach Sabeths Tod, die Verarbeitung der Ereignisse sowie seine Beziehung zu Hanna und die letzten Tage seines Lebens im Fokus.

In diesen letzten Aufzeichnungen geht Faber gedanklich nochmals weit in die Vergangenheit zurück. Seine distanzierte Haltung zum Geschehen hat er abgelegt. Die Gedanken über Hannas Leben und seine Beziehung zu ihr bringen inhaltlich nochmals eine Verlagerung der Kernthematik mit sich. Den Lesenden wird zum Ende hin deutlich, dass die Trennung von Hanna für Fabers Leben letztendlich bedeutender gewesen sein muss als die zufällige Bekanntschaft mit seiner Tochter Sabeth. 

Veröffentlicht am 18. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. Juli 2023.