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Homo faber

Sprache und Stil

Aus einem Gespräch, das Max Frisch mit Werner Koch am 15.10.1970 (Text und Bühne, 2012, 4:42–5:15) führte, geht hervor, dass für den Autor die Sprache ein zentrales Element im Roman »Homo faber« darstellt. Denn in ihr spiegelt sich zum einen der eigentliche Seelenzustand seines Hauptprotagonisten wider. Zum anderen legt sie den Lesenden schonungslos offen, welche Diskrepanz zwischen Fabers Sprachwahl und seinem eigentlichen Erleben und Handeln liegt. »Sprache ist der eigentliche Tatort« (ebd.), denn indem er sein eigenes Verhalten immer wieder mit deren Hilfe selbst interpretiert und sich dabei falsch interpretiert, »richtet er sich selbst« (ebd.).

Da der Ich-Erzähler sich vollkommen mit seinem Beruf des Technikers identifiziert, spiegelt sich dies auch in seiner Ausdrucksweise und seinem Sprachgebrauch wider. Fabers Sprache ist als »Rollensprache« zu verstehen, die im ersten Teil seines Berichts durch einen trockenen, nüchternen Nominalstil geprägt ist. Detaillierte Zeit- und Ortsangaben sowie die Aufzählung statistischer Daten und Literaturangaben sollen der Geschichte einen objektiven und sachlichen Charakter verleihen.

Seine verkürzten Sätze erinnern oftmals an Aktennotizen, die nur den Zweck haben, kurz über eine Sache zu informieren. Teilweise verfällt er hier sogar in eine Art Telegrammstil. Adjektive verwendet er nicht zur näheren Ausschmückung seiner Schilderungen, sondern setzt sie zur sachlichen Kennzeichnung, wie Maß oder Form, ein. In Fabers Sprachgebrauch sind Anglizismen selbstverständlich und ein Kennzeichen dafür, dass er sich als weitgereister Europäer weltmännisch auf internationalem Parkett bewegen kann. Oftmals enthalten seine Aussagen aber auch einen herablassenden, schnoddrigen Grundton in der Umgangssprache, der erkennen lässt, dass er kein Gefühl dafür hat, was sprachlich in gewissen Situationen angemessen ist.

Durch diese sprachliche Ausdrucksweise soll demonstriert werden, dass Faber unfähig ist, zu sich selbst und zu seiner Umwelt eine angemessene Beziehung herzustellen. Dies wiederum resultiert daraus, dass er ein Bild von sich zeichnet, das mit den realen Gegebenheiten immer weniger übereinstimmt. Bei seinen Ausführungen verstrickt er sich selbst immer mehr in dem Unterfangen, sich für die Tatsache, am Tod seiner Tochter mitschuldig zu sein, zu rechtfertigen. Die sprachlichen Verdrängungsmechanismen Fabers werden damit den Lesenden deutlich offenbart. Was der Leserschaft schon längst klar ist, nämlich dass er dabei ein falsches Bildnis von sich selbst erstellt hat und damit an der Realität vorbeilebt, dringt nur langsam in Fabers Bewusstsein.

Im zweiten Teil des Romans lässt sich eine Veränderung in der Sprache Fabers feststellen. Seine tagebuchartigen Eintragungen, die er in der Erzählgegenwart im Krankenhaus notiert (kursive Abschnitte), sind dementsprechend durch Subjektivität und Unmittelbarkeit geprägt. Faber hat nach Sabeths Tod langsam wieder einen Zugang zu seinen inneren Gefühlen und damit zum Leben an sich gefunden.

In den Abschnitten, in denen Faber rückblickend über seine Kubareise berichtet, fällt auf, dass er sich hier einer recht bildhaften Sprache bedient, mit der er den Lesenden jetzt seine Gefühle mitteilt. Zum ersten Mal nimmt er in Kuba seine Umwelt wahr und geht von sich aus mit Menschen in Kontakt. Er empfindet eine gewisse Lebensfreude und genießt seine Streifzüge durch die Straßen in Havanna. Diese innere Wandlung spiegelt sich auch in seiner Sprache wider, denn jetzt berichtet er enthusiastisch und ausschweifend von den Beobachtungen, die er auf seinen Spaziergängen macht.

Veröffentlicht am 18. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. Juli 2023.